Manhattan

Meine Watchlist treibt mich gerade zur Verzweiflung, weil immer mehr alte Filme bei den diversen Streamingdiensten, vor allem aber bei Prime Video, auftauchen, die ich noch nicht gesehen habe oder wiedersehen möchte. Eigentlich eine schöne Entwicklung und kein Grund zur Panik, sollte man meinen, schließlich bleiben, einmal in den Katalog aufgenommen, diese Filme einem recht lange erhalten und sind jederzeit verfügbar. Leider nicht. Manchmal scheinen die Rechte nur für drei Monate gekauft zu werden, aber das erfährt man leider erst, wenn sie bereits auf der Liste der Produktionen stehen, die demnächst wieder aus dem Programm entfernt werden. Es kann zwar sein, dass sie nach einer Weile wieder zurückkehren, nur kann man sich nicht darauf verlassen.

Nur wenige Tage vor seinem Verschwinden habe ich deshalb noch schnell Manhattan angesehen, den ich bislang nicht kannte. Und damit geht diese kleine Woody-Allen-Retrospektive in die zweite Runde.

Manhattan

Isaac (Woody Allen) ist ein erfolgreicher Gagschreiber fürs Fernsehen, der vor einiger Zeit von seiner Frau Jill (Meryl Streep) verlassen wurde. Schlimm genug, dass sie ihn wegen einer anderen Frau sitzengelassen hat, schreibt sie überdies an einem Enthüllungsbuch über ihre Ehe, in dem Isaac befürchtet, nicht gut wegzukommen, vor allem weil er versucht hat, ihre neue Lebensgefährtin zu überfahren. Versehentlich, natürlich.

Seit einiger Zeit ist Isaac mit der siebzehnjährigen Tracy (Mariel Hemingway) liiert, die schwer in ihn verliebt ist. Doch er kann sich keine Zukunft mit ihr vorstellen, zu groß ist der Altersunterschied zwischen ihnen. Eines Tages lernt er Mary (Diane Keaton) kennen, die er als snobistisch und elitär verachtet – bis er sie näher kennenlernt. Er fühlt sich stark zu ihr hingezogen, doch dummerweise ist Mary die heimliche Geliebte seines besten Freundes Yale (Michael Murphy).

Nach seinem großen Erfolg Der Stadtneurotiker wollte Allen vermutlich ein neues Kapitel aufschlagen und inszenierte seine Bergmann-Hommage Innenleben. Auch dieser kam sowohl beim Publikum als auch bei den Kritikern sehr gut an, scheint für Allen jedoch in erster Linie eine Art Experiment gewesen zu sein, um sich und allen anderen zu beweisen, dass er auch ernsthafte Filme drehen kann.

Mit Manhattan knüpft er wieder an Der Stadtneurotiker an und spielt erneut die Hauptrolle. Sein Alter Ego ist ein weiteres Mal ein Fernsehautor und Gagschreiber, der von einigen Neurosen geplagt wird und in zahlreiche amouröse und romantische Verwicklungen verstrickt ist. Es ist Woody Allen, wie wir ihn alle kennen, ein überspannter, unter Neurosen und Komplexen leidender mittelalter Mann, der an den Frauen verzweifelt und sie an ihm. Dass die Gags ausschließlich auf seine Kosten gehen, ist ein glücklicher Einfall, der die Geschichten vom Vorwurf des Sexismus befreit, den man als heutiger Zuschauer leider oft genug bei Filmen jener Ära konstatieren muss.

Ein gewisses Geschmäckle hat die Liebesbeziehung zu einer Minderjährigen dennoch, auch wenn ihn seine Freunde deshalb selbst aufziehen und Vergleiche mit Lolita bemühen. Wie auch in Der Stadtneurotiker geht es auch, allerdings nur am Rande, um die intellektuelle Erziehung der Frau. Kein Wunder, dass Isaac sich zu Tracy hingezogen fühlt, ist sie doch weder in erotischer noch intellektueller Hinsicht eine Gefahr oder Herausforderung für ihn. Der verunsicherte Mann, ein Standardthema bei Allen.

Im Gegensatz zu Der Stadtneurotiker, der ein überbordendes Schatzkästlein voller ungewöhnlicher Regieinfälle, Gags und pointierter Oneliner ist, ist Manhattan deutlich reduzierter. Allen verzichtet auf inszenatorische Gimmicks und auch auf eine ausufernde Handlung. Stattdessen konzentriert er sich auf fünf Charaktere, die in einem Liebesreigen miteinander verbunden sind.

Überzeugend sind vor allem Allen und Keaton, die einmal mehr ein perfektes Timing an den Tag legen. Mariel Hemingway wurde für ihre Rolle zwar oscarnominiert – vermutlich wegen ihres entzückenden schüchternen Lächelns, denn viel mehr hat sie leider nicht zu bieten. Im Gegensatz dazu schafft es Meryl Streep mit ihren wenigen Auftritten, nachhaltig in Erinnerung zu bleiben. Ihr bisweilen abschätziger Blick, mit dem sie den hoffnungslosen Fall Isaac betrachtet, sagt mehr aus als sämtliche Dialogzeilen.

Alles in allem ist Manhattan, zumindest aus heutiger Sicht, für mich einer der schwächeren Film aus Allens Frühwerk, der einmal mehr die üblichen Storyelemente und Figurenkonstellationen bemüht. Lediglich die wunderschönen Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus New York bleiben einem nachhaltig in Erinnerung.

Note: 3

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.