Lucy

Einstein ist an allem schuld. Von ihm stammt angeblich der Spruch, dass der Mensch nur zehn Prozent seines Gehirns nutzen würde, und dass er heute immer noch für bare Münze genommen wird, scheint ihn beinahe zu bestätigen. Ist aber dennoch nicht der Fall, denn Mutter Natur würde nicht neunzig Prozent Leistungskapazität einfach so vergeuden. Aber mit dieser Prämisse und der Frage, was passieren würde, wenn es jemandem gelänge, tatsächlich hundert Prozent zu nutzen, hat Luc Besson einen sehr unterhaltsamen Film gemacht.

Lucy

Nachdem Lucy (Scarlett Johansson) sich eine Woche lang mit Richard (Pilou Asbaek) in den Clubs von Taipeh amüsiert hat, zwingt er sie dazu, einen mysteriösen Koffer bei einem nicht weniger mysteriösen Mr. Jang (Min-sik Choi) abzuliefern. Dieser kidnappt sie kurzerhand, implantiert ihr eine neue Superdroge und missbraucht sie als Kurier. Doch etwas geht schief, die Drogen werden in Lucys Körper freigesetzt – und sie erhält dadurch Superkräfte. Hilfe erhofft sie sich von einem bekannten Neurologen: Professor Norman (Morgan Freeman).

Wie gesagt, die Prämisse ist wissenschaftlich nicht haltbar, wie auch etliche andere Thesen in der Geschichte äußerst krude klingen. Aber Luc Besson wollte keine Doku über Hirnforschung drehen, sondern einen knackigen Thriller über eine junge Frau, die von einigen brutalen Männern ausgenutzt, lebensgefährlich verletzt wird und danach grausame Rache nimmt. Frauen, die über sich hinauswachsen, sind ohnehin beliebte Figuren in der Welt Bessons, was ihn schon fast zum emanzipiertesten Vertreter seiner Zunft macht.

Die Story ist simpel, aber effektiv. Man hätte sich noch einige spannende Verwicklungen gewünscht, aber Besson mag es eher geradlinig und bleibt auch diesmal seiner Vision treu. Wie üblich gibt es eine junge Frau, die sich durchkämpfen muss, sich aber schließlich als ihren Gegnern überlegen erweist. Kennt man ja von Besson, nur ist seine Lucy diesmal ihren Kontrahenten meilenweit überlegen, was zu einigen höchst amüsanten Szenen führt.

Nicht alles ist wirklich logisch durchdacht. So könnte Lucy sich ihrer Gegner am Ende wesentlich leichter entledigen, was uns Zuschauer jedoch um ein bleilastiges Finale gebracht hätte. Auch lassen sich, meiner Meinung nach, nicht alle ihre Fähigkeiten mit der Nutzung weiterer Hirnareale erklären – da gehen Besson eindeutig die Pferde durch, doch da er alles so wunderbar leicht und visuell aufregend inszeniert hat, sieht man auch darüber gerne hinweg. Störend empfand ich eigentlich nur die vollkommene Emotionslosigkeit der Hauptfigur, die proportional mit der Nutzung ihrer Hirnkapazität stieg. Als hätte Lucy sich plötzlich in eine Vulkanierin verwandelt.

Viele beschweren sich über das Ende, das in der Tat ein wenig an 2001 – Odyssee im Weltraum erinnert, mit dem Unterschied, dass Bessons Antwort auf die zentrale Frage der Geschichte weniger intellektuell, sondern eher popkulturell angehaucht und mit viel Ironie beantwortet wird. Und ich mag mich täuschen, aber ein gewisser USB-Stick am Ende sieht einem mysteriösen Monolithen doch sehr ähnlich …

 Note: 3+

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.