The Grandmaster

Als er vergangenes Jahr auf der Berlinale aufgeführt wurde, wollte ich ihn unbedingt sehen, was aber aus zeitlichen Gründen leider nicht geklappt hat. Die Rede ist von The Grandmaster, dem jüngsten Werk von Wong Kar-Wai, dessen Filme stets ein vollendeter visueller Genuss sind, auch wenn sie mich inhaltlich in letzter Zeit eher enttäuscht haben. Hinzu kommt, dass ich kein ausgewiesener Experte von Kung Fu-Filmen bin und entsprechend keinerlei Ahnung von der Materie habe. Gesehen habe ich nun die westliche Fassung mit knapp zwei Stunden Laufzeit, die chinesische Version soll ja angeblich sehr viel länger sein.

The Grandmaster

Der berühmte Kung Fu-Meister Gong (Wang Qingxiang) aus dem Norden reist Mitte der Dreißigerjahre in das südliche Foshan, um seinen Abschied zu verkünden. Zu seinen Ehren wird ein Fest ausgetragen, dessen Höhepunkt ein Kampf gegen einen Meister der südlichen Schulen ist. Ausgewählt wird Ip Man (Tony Chiu Wai Leung), der ihn sogar bezwingen kann. Dies empfindet Gongs Tochter Gong Er (Ziyi Zhang) als Demütigung, woraufhin sie Ip Man herausfordert und besiegt. Jahre vergehen, Japan besetzt China, und ein blutiger Bürgerkrieg fordert weitere Opfer. Gong wird von seinem Meisterschüler getötet, woraufhin Gong Er für ihre Rache ihre Zukunft opfert. Erst in den Fünfzigern trifft sie in Hong Kong auf den inzwischen verarmten Ip Man wieder, der inzwischen als Kung Fu-Lehrer arbeitet.

Wie die meisten chinesischen Dramen ist The Grandmaster ein ausschweifendes Epos, das von der modernen Geschichte des Kung Fu handelt, von seinen wichtigsten Strömungen, Schulen und Lehrern. Es ist eine Geschichte über den Kampf zwischen Tradition und Moderne, über Treue und Verrat, Familie, Liebe und Rivalität. Erzählt wird das alles von Wong Kar-Wai in betörend schönen Bildern und langen Einstellungen. Es ist eine Elegie, ein Totengesang auf das kaiserliche China, das zur Zeit des Films bereits Geschichte ist, auf althergebrachte Werte und Traditionen. Kamera und Musik beschwören eine wunderschöne, eindrucksvolle Welt herauf, die einen von Anfang an gefangen nimmt, die Schauspieler agieren gut, die Kampfszenen sind hervorragend choreografiert und traumschön in Szene gesetzt.

Streng genommen ist der Film ein Bio Pic, denn Ip Man, der Lehrer von Bruce Lee, und (vermutlich auch) die anderen Kung Fu-Meister sind historische Personen, und insofern besitzt der Film auch all die üblichen Schwächen dieses Genres. So wirkt vieles exemplarisch und anekdotenhaft und nicht wie aus einem Guss, geschichtliche Zusammenhänge werden schlecht erklärt und einige Lebensabschnitte bleiben ganz im Dunkeln. Darüber hinaus hat man als Europäer auch Probleme, die vielen Namen auseinander zu halten, zumal Ip Man bisweilen auch mit einem anderen Namen angesprochen wird. Und als wäre das alles noch nicht kompliziert genug, werden etliche Handlungsstränge durch die Kürzung des Films auf zwei Stunden verstümmelt oder bis zur Unkenntlichkeit verkürzt. Das gilt insbesondere für einen weiteren Meister, der „das Rasiermesser“ genannt wird und durch die Geschichte geistert, ohne dass einem klar wird, welche Funktion er über seine historische Bedeutung hinaus eigentlich besitzt. Vielleicht muss ich mir irgendwann tatsächlich die Langfassung ansehen.

Inhaltlich nicht leicht verständlich, aber ansonsten ein ästhetischer Genuss, daher …

Note: 2-

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.