Amadeus

Gute Filme sind ein bisschen wie Freunde – man schließt sie ins Herz und möchte sie gerne wiedersehen. Manchmal dauert es Jahre, bis es dazu kommt, und man stellt fest, dass die Filme gealtert sind, sie sind langsamer als früher oder weniger spannend, witzig oder dramatisch als man sie in Erinnerung hatte. Mitunter hängt es auch davon ab, wie alt oder in welcher Stimmung, welcher Entwicklungsphase man selbst war, als man sie zum ersten Mal sah – schließlich ist man für bestimmte Themen, Stimmungen und Meinungen als jüngerer Mensch noch wesentlich empfänglicher als mit mehr Lebenserfahrung. Die Sicht auf die Welt und die Dinge verändert, verschiebt sich, man wird reifer, verliert Illusionen, der Geschmack ändert sich.

Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich in den Achtzigern Amadeus im Kino sah. Es war während eines Besuchs bei meinen Großeltern in Süddeutschland, und ich hatte Langeweile. Über den Film hatte ich Gutes gehört, vielleicht hatte ich einen Artikel darüber gelesen oder jemand hatte ihn empfohlen – vor dem Internet war man auf solche Informationsquellen angewiesen. Zu der Zeit fing ich gerade erst an, das Kino als Heranwachsender zu entdecken, und mein Geschmack war vermutlich noch recht einfach, wenig anspruchsvoll. Aber von der ersten Szene an spürte ich, dass Amadeus etwas Besonderes war, ein Film, wie man ihn nicht alle Tage zu sehen bekommt. Das Kino war klein, und es gab Holzstühle, was schon damals extrem altmodisch war, und obwohl der Film Überlänge hatte und mir nach einiger Zeit der Allerwerteste wehtat, war ich wie gebannt von dem Geschehen auf der Leinwand.

Irgendwie ist es schade, dass solche Entdeckungen heutzutage immer seltener werden, sei es, weil die Qualität der Filme abnimmt oder weil man selbst nicht mehr so leicht zu begeistern ist. Daher tut es gut, sich hin und wieder seiner alten Freunde zu vergewissern…

Amadeus – Director’s Cut

Nachdem er einen Selbstmordversuch unternommen hat, landet der ehemals berühmte Komponist Antonio Salieri (F. Murry Abraham) in einer Nervenheilanstalt. Einem Priester erzählt er schließlich von seiner Liebe zur Musik, seinem Wunsch, berühmt zu werden, und dass er Gott gelobte, keusch zu leben, wenn dieser ihm seinen Wunsch erfüllt. Tatsächlich steigt Salieri zum Hofkomponisten Kaiser Josefs II. (Jeffrey Jones) auf und schreibt bekannte und beliebte Opern. Doch dann taucht Wolfgang Amadeus Mozart in Wien auf, ein vulgärer Mensch, aber ein Genie, wenn es um Musik geht. Schon bald ist er der umjubelte Star der Gesellschaft, und Salieri begreift, dass er im Vergleich dazu bestenfalls Mittelmaß ist. Er fühlt sich von Gott betrogen und setzt alles daran, dessen neues Sprachrohr zu vernichten.

Das dem Film zugrunde liegende Theaterstück von Peter Shaffer wurde Ende der Siebziger uraufgeführt. Die Geschichte Salieris, der an Gott und seinem Glauben verzweifelt, weil sein Opfer verschmäht wird, während ein unwürdiger Rivale ungerechterweise mit Gaben überschüttet wird, erinnert stark an Kain und Abel. Milos Forman erzählt sie entsprechend mit biblischer Wucht und untermalt sie mit Mozarts Musik zur Bestätigung von Salieris Behauptungen. Dass vieles davon nicht der Wahrheit entspricht, ja, die historischen Tatsachen zugunsten der dramatischen Wirkung sogar ins Gegenteil verkehrt werden, darf man nicht überbewerten. Gewiss, wer historische Korrektheit fordert, mag vieles an dem Film auszusetzen haben, doch die Geschichte an sich ist spannend, meisterlich komponiert und hervorragend in Szene gesetzt.

Auch nach über dreißig Jahren hat der Film nichts von seiner künstlerischen Kraft eingebüßt, für heutige Betrachter ist die Inszenierung vielleicht an der einen oder anderen Stelle zu behäbig, aber wenn man sich dem Rhythmus des Films hingibt, fällt das kaum weiter ins Gewicht. Etwas ärgerlich ist vielleicht die Vergöttlichung des Genies, die den Eindruck erweckt, dass große Kunst ohne große Anstrengung entsteht. Auch Mozart hat sich nicht einfach hingesetzt und die Noten aus seinem Kopf aufs Papier fließen lassen …

Der Director’s Cut von 2002 ist etwas länger und enthält einige neue Szenen, die die Geschichte vielleicht ein wenig vertiefen, aber nicht verändern. Dass in der ersten Fassung auf sie verzichtet wurde, macht fast durchgehend Sinn. Da der Film ohnehin inzwischen etwas behäbig wirkt, ist es beinahe sogar zu viel des Guten.

Note: 2+

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Pi Jays Corner von Pi Jay. Setze ein Lesezeichen zum Permalink.

Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.