Tralala

Ich kann nicht singen. Vermutlich ist es genetisch bedingt, weil niemand in meiner Familie singen kann, und es ist auch nicht so, als ob ich es vermissen würde. Gelegentlich, wenn niemand zuhört, lasse ich mich vielleicht mal dazu hinreißen, bei einem Song mitzusingen, aber ansonsten habe ich mich gut im Griff.

Vielleicht ist das der Grund, warum ich kein großer Fan von Musicals bin. Schon als Kind fand ich es furchtbar albern, wenn Menschen im Film ihre Tätigkeit unterbrechen und grundlos in Gesang ausbrechen. Und manchmal tanzen sie auch noch dazu – wie peinlich. Viele Jahre lang war das Musical ein nahezu ausgestorbenes Genre, aber dann kamen Filme wie Moulin Rouge, Chicago oder Haispray, und irgendwie waren sie gar nicht so unangenehm, im Gegenteil, The Producers war sogar besser als der Originalfilm. Ich konnte tatsächlich meinen Frieden mit den Musicals schließen.

Dann kam ein neues Phänomen auf, das seinen Ursprung vermutlich im Teenie-Tanzfilm hat, der eine frühe Blüte in den späten Siebzigern (Grease) erlebte, in den Achtzigern mit Footlose, Flashdance und Dirty Dancing Erfolge feierte und sich nach der Jahrtausendwende neu erfand. Honey, Step Up, StreetDance waren perfekt auf die heutige Teenie-Generation zugeschnitten und profitierten auch vom 3-D-Boom. Das alles waren aber Tanzfilme – bis Highschool Musical kam, zuerst seinen Siegeszug im Fernsehen antrat und dann die Kinos infizierte. Zugegeben, ich habe keinen der 35 Teile (gefühlter Wert) gesehen, aber nun wurde nicht nur getanzt, nun wurde auch gesungen.

Natürlich muss man an dieser Stelle auch einem weiteren Phänomen Rechnung tragen, das viel zum Erfolg der neuen Gesangs-Filme (Musicals im klassischen Sinn sind sie ja nicht) beigetragen hat: Die Castingshow. Seither kommen sie aus ihren Löchern gekrochen, alle, die bislang nur heimlich unter der Dusche gesungen haben, suchen nun das Rampenlicht. Der nächste Erfolg war dann – unverständlicherweise – Glee. Wobei ich zugeben muss, dass ich die ersten zwölf Folgen sogar ziemlich unterhaltsam fand, aber danach gingen den Machern die Ideen aus, weshalb sie ihre alten Einfälle einfach immer wieder wiederholt haben. Den Zuschauern war das jedoch egal.

Mit Smash gab es dann noch den Versuch, das klassische Musical als TV-Serie wiederzubeleben, um auch eine ältere Generation anzusprechen, aber nach zwei Staffeln war hier mangels Qualität Schluss. Auch hier waren die ersten Folgen der Serie richtig gut, es gab jede Menge Intrigen und Zickenkriege, gute Songs mit Ohrwurmqualität und tolle Darsteller, aber in der zweiten Staffel ging alles schneller den Bach runter, als man Broadway buchstabieren konnte.

Gestern haben wir im Freundeskreis Serienmördern bei ihren Untaten zugesehen (darüber gibt es bald etwas zu lesen), und nach drei Stunden Gemetzel und Seelenpein wurde die Frage nach einem leichteren Gegenprogramm laut. So kamen wir – Überraschung – auf:

Pitch Perfect

Beca (Anna Kendrick) ist neu an der Barden University und eigentlich eine Einzelgängerin, die seit der Scheidung ihrer Eltern niemanden mehr emotional an sich heranlässt. Obwohl ihr der nette und talentierte Jesse (Skylar Astin) gut gefallen würde. Dummerweise gehört er zu den „Troublemakern“, einer rein männlichen A-Capella-Gruppe, die in scharfer Konkurrenz zu den „Barden Bellas“ steht, ihrem weiblichen Pendant – bei dem sich Beca eingeschrieben hat…

Auf dem Papier klingt die Geschichte ziemlich dämlich, wie ein typischer Teenie-Hupfdohlen-Film mit Gesang (wobei kaum getanzt wird), aber der Film hat ein paar versteckte Qualitäten, und nein, eine der spektakulärsten Kotz-Szenen seit Der Exorzist ist es nicht. In erster Linie lebt der Film von seinen sympathischen Darstellern, die man schon in diversen Filmen und Serien gesehen hat, darüber hinaus gibt sich das Drehbuch große Mühe, die ausgetretenen Pfade wenigstens für kurze Zeit einmal zu verlassen, auch wenn das Ende schließlich sämtliche Klischees erfüllt, die man an dieses Genre stellt. Die Musikauswahl ist stimmig, und A-Capella-Gesang seit einiger Zeit wieder angesagt. Wer also einen unangestrengten, poppigen und leichten Film für einen späten Sommerabend sucht, sollte es einmal mit Pitch Perfect versuchen. Man muss ja nicht mitsingen…

Note: 3

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.