Sicario

Heute wird ein anstrengender Tag, denn ich muss für eine Projektbesprechung aus dem Süden der Republik nach Hamburg reisen und am Abend wieder zurück. Positiv ist daran nur eines: Ich habe endlich Zeit zum Lesen. Mein SuB (Stapel ungelesener Bücher) ist inzwischen so hoch, dass er bereits bedenklich wackelt, und ständig kommen neue Geschichten hinzu, die ich unbedingt lesen will. Nach Hamburg begleiten wird mich übrigens Edith Wharton, die ich vergangenes Jahr wiederentdeckt habe. Im Augenblick lese ich Dämmerschlaf, ihr bissiges Porträt der New Yorker High Society der Zwanziger Jahre, das so heutig wirkt, dass man nicht meinen könnte, dass es bereits vor neunzig Jahren geschrieben wurde.

Das Kartell von Don Winslow befindet sich ebenfalls in meinem SuB, die hoffentlich nicht minder spannende Fortsetzung von Tage der Toten. Vor ein paar Wochen habe ich bereits darüber geschrieben, dass ich mich in diversen TV-Serien mit dem organisierten Verbrechen beschäftigt habe, passend dazu habe ich vor kurzem Sicario nachgeholt, der sich ebenfalls diesem Sujet verschrieben hat.

Sicario

Kate Macer (Emily Blunt) stürmt mit ihrem FBI-Team ein Versteck mexikanischer Drogenschmuggler in Arizona und entdeckt dabei nicht nur zahlreiche Leichen, sondern verliert auch zwei Kollegen durch eine Sprengfalle. Um dem eskalierenden Drogenkrieg zu bekämpfen, gründet CIA-Agent Matt Graver (Josh Brolin) eine neue Spezialeinheit, der diverse Agenten verschiedener Behörden angehören. Kate meldet sich freiwillig und lernt bald Alejandro Gillick (Benicio del Toro) kennen, einen Kolumbianer, der ebenfalls dem Team angehört. Der Auftrag der Einheit ist, den örtlichen Boss, Manuel Diaz, durch eine Reihe von Einsätzen so zu schwächen, dass er Hilfe bei dem Anführer in Mexiko sucht und sie zu ihm führt. Doch Gillick verfolgt eine eigene Agenda …

Der Anfang des Films ist spannend und erinnert auf beklemmende Weise an die vielen realen Verbrechen der mexikanischen Drogenkartelle, von denen in den letzten Jahren immer wieder zu lesen war. Nach dem fulminanten Start nimmt die Geschichte sich allerdings viel Zeit, um sich zu entwickeln, ist dabei aber immer wieder ziemlich spannend, bleibt einem aber einen dramatischen Höhepunkt weitgehend schuldig, woran die episodenhafte Struktur nicht ganz unschuldig ist.

Kate ist zwar die Sympathieträgerin in dieser Story, bleibt jedoch weitgehend passiv und beobachtend, ohne gegen Ende die Initiative zu ergreifen. Die wichtigste Figur ist Gillick, den Benicio del Toro gewohnt rau und ein wenig undurchsichtig angelegt hat; sein Geheimnis ist letzten Endes auch der Schlüssel zur ganzen Geschichte, bei der seine Kollegen kaum mehr als Schachfiguren sind. Das hätte man durchaus etwas spannender und hintergründiger erzählen können.

Die Geschichte hat einige Schwächen, ist aber durchweg interessant und entwickelt nicht zuletzt aufgrund der starken Bilder von Roger Deakins und der Musik von Jóhann Jóhannsson einen starken Sog.

Note: 3

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.