Big Eyes

Ich glaube, ich habe es irgendwann schon einmal erwähnt, dass Christoph Waltz und ich bei unserer einzigen persönlichen Begegnung keine Freundschaft geschlossen haben. Es ist schon eine ganze Weile her, er war noch kein international gefragter Schauspieler und ich noch Student an der Filmhochschule, da kam er in unser Seminar, um sich unsere Drehbuchprojekte anzusehen. Eine Rolle in der Geschichte, an der ich damals arbeitete, wäre perfekt für ihn gewesen, weil er zu der Zeit abgründige Figuren häufig gespielt hat. Ziemlich süffisant hat er uns dann darauf hingewiesen, dass er es hasst, in Schubladen gesteckt zu werden, was ich gut verstehen und akzeptieren konnte. Weniger schön war, dass er anschließend versucht hat, unsere Ideenskizze – mehr war es zu dem Zeitpunkt noch nicht – schlecht zu reden. Ich will die Anekdote jetzt nicht weiter vertiefen, nur so viel: Der Mann ist nicht nur ungeheuer belesen, sondern liebt es auch, anderen Vorträge zu halten …

Aber das ist lange her und vergeben, allerdings nicht vergessen. Es war immer leicht, ihm aus dem Weg zu gehen, bis Inglourious Basterds kam, den ich seinetwegen noch immer nicht gesehen habe. Immerhin habe ich mich durchgerungen, mir eine andere Produktion mit ihm anzuschauen. Wie immer mit gemischten Gefühlen.

Big Eyes

Margaret (Amy Adams) ist unglücklich in ihrer Ehe und verlässt zusammen mit ihrer Tochter ihren Mann. Für eine Frau war das 1958 ein gewagter Schritt. Sie fasst Fuß in San Francisco, schlägt sich mit einem Job durch, in dem sie Möbel bemalt, und versucht nebenbei, sich als Künstlerin zu etablieren – ohne Erfolg. Auf einem Flohmarkt, auf dem sie Passanten gegen Kleingeld zeichnet, trifft sie Walter Keane (Christoph Waltz), der dort seine Pariser Straßenszenen anbietet. Sie verliebt sich in den eloquenten Mann und heiratet ihn überstürzt, um das Sorgerecht nicht zu verlieren. Gemeinsam versuchen sie, ihre Bilder zu verkaufen, und als sich endlich jemand für Margarets Arbeiten interessiert, gibt Walter sie für seine aus. Der Beginn einer enormen Erfolgsgeschichte und eines großen Betrugs …

Irgendwas müssen ihre Bilder in den Betrachtern jener Zeit ausgelöst haben, Darstellungen trauriger Kinder mit riesigen Augen, die stark an japanische Mangas erinnern, anders lässt sich der riesige Erfolg nicht erklären. Im Film heißt es einmal, der Verkauf ihrer Bilder und Replikationen hätte 17 Millionen Dollar eingebracht, für die damalige Zeit eine enorme Summe. Das wäre schon bemerkenswert genug, aber richtig interessant wird die Geschichte erst durch den Betrug, den ein Mann an seiner eigenen Frau begangen hat und den der Film zum Anlass nimmt, die Unterdrückung der Frauen in der Gesellschaft der Fünfzigerjahre zu thematisieren. So ist Margarets Geschichte vor allem die einer Emanzipation.

Es ist interessant, dass der Film bereits mit einer solchen beginnt, als Margaret ihren ersten Mann verlässt, und man sollte meinen, dass dieser Schritt, der enormen Mut verlangte, ihr mehr Selbstvertrauen und Stärke verliehen hätte. Doch Amy Adams spielt die Heldin weiterhin wie eine verängstigte Maus, ebenso hilflos und allein wie die Kinder auf ihren Bildern, so still und blass, dass sie beinahe zu verschwinden scheint. Ihre Darstellung ist zwar nuanciert, hat aber verglichen mit der Wucht ihres Partners keine Chance, sich wirklich zu entfalten. Christoph Waltz steht bereits in der ersten Szene die Bezeichnung Schaumschläger auf die Stirn geschrieben, und hätte Margaret ihn nur einmal richtig angesehen, hätte sie ihn sofort durchschauen müssen. Wirklich subtil ist an seiner Performance leider nichts, Waltz übertreibt hemmungslos, was vielleicht gewollt ist, aber beinahe schon manisch wirkt. Auf Dauer nerven seine Auftritte gewaltig. Beinahe scheint es so, als wollte seine Figur den Film komplett an sich reißen, ihn zu einer Erzählung über Hybris und Untergang machen und Margaret komplett verdrängen. Beinahe gelingt das sogar.

Sobald der Betrug einmal etabliert ist, auch durch Margarets eigenes Zutun, passiert nicht mehr viel. Man wird Zeuge des Erfolgs und fragt sich, wie das nur passieren konnte. Im Grunde reicht der Stoff nur für einen Kurzfilm und wird erst in seinen letzten zwanzig Minuten einigermaßen interessant, wenn es um die Enttarnung des Betrügers geht. Im Film sind darüber nur einige Jahre vergangen, im wahren Leben dauerte es zwei Jahrzehnte und verlief auch nicht ganz so triumphal, wie die Macher es uns vorgaukeln. Aber wäre man bei den Fakten geblieben, wäre die Heldin wohl noch blasser und unscheinbarer geworden.

Tim Burton soll schon lange ein Fan ihrer Kunst sein, nicht von ungefähr erinnern wohl die Figuren seiner Animationsfilme entfernt an die Darstellungen auf ihren Gemälden, und daher nimmt es nicht Wunder, dass er sich an diesem Biopic versucht hat. Das merkt man aber höchstens an ein, zwei Einstellungen, der Rest ist so durchschnittlich, dass man sich unwillkürlich fragt, ob nicht ein anderer Regie geführt hat …

Note: 4+

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.