Meine Frau, die Hexe

Bis ich sechs Jahre alt war, durfte ich nicht fernsehen. Das war kein strenges Verbot – wenn der Kasten lief, musste ich nicht gleich das Zimmer verlassen – erzeugte aber natürlich eine ungeheure Neugier auf das Verbotene. Manchmal habe ich mich abends aus dem Bett geschlichen und heimlich zugeguckt, und ich erinnere mich noch, wie ich den Anfang eines alten Schwarzweiß-Films gesehen habe, den ich schrecklich gruselig fand. Viele Jahre später habe ich den Film erneut gesehen, in dem gleich in der ersten Szene Menschen verbrannt wurden und dann als Geister herumspukten, kein Wunder, dass ich das beängstigend fand. Dennoch ist der Streifen eine harmlose Komödie, deren humorvolle Untertöne – den Zuschauern der Hinrichtung wird zum Beispiel Popcorn verkauft – mir als Kind völlig entgangen waren. Im Augenblick läuft der Film auf SkyGo, und da konnte ich natürlich nicht widerstehen …

Meine Frau, die Hexe

Die Puritaner Neu-Englands machen Jagd auf Hexen und verbrennen Jennifer (Veronica Lake) und ihren Vater Daniel (Cecil Kellaway) auf dem Scheiterhaufen. Vor ihrem Tod belegt sie den Anführer der Hexenjäger, Jonathan Wooley (Frederic March), mit einem Fluch: Seine Ehe und die all seiner Nachfahren solle unglücklich werden. Die Jahrhunderte vergehen, der Fluch erfüllt sich, und kein Wooley bekommt jemals eine liebevolle Frau. 270 Jahre später setzt ein Blitzschlag die in einer Eiche gefangenen Seelen der Verurteilten frei, und sie sinnen auf Rache. Jennifer will Wallace Wooley (ebenfalls March), der gerade für das Amt des Gouverneurs kandidiert und am Tag vor der Wahl die Tochter (Susan Hayward) eines Zeitungsmoguls heiraten will, mit einem Zaubertrank in sich verliebt machen und dann sein Leben zerstören – dummerweise trinkt sie versehentlich selbst den Trank …

Die Story ist witzig und ungewöhnlich, da Hexen und Zauberer im amerikanischen Mainstream jener Zeit eher selten auftauchten, und verleiht durch die Rachegeschichte dem damals beliebten Sujet des Geschlechterkampfs eine besonders bissige Note. Kein Wunder, dass nach der Grundidee später die populäre TV-Serie Verliebt in eine Hexe entstand. Dass ein bekannter Roman als Vorlage diente, beweist darüber hinaus, dass Hollywood sich schon immer gerne auf etablierte Vorlagen verlassen hat – irgendwie hat sich da wenig verändert.

Verändert haben sich hingegen die Sehgewohnheiten der Zuschauer und das Tempo der Filme, weshalb manche Gags reichlich lahm und vor allem langsam wirken. Trotz einiger hinreißender Einfälle wird vieles leider auch ziemlich umständlich erzählt, aber auch hier muss man Abstriche machen und das Alter des Films berücksichtigen. Das gilt natürlich auch für die Trickeffekte, die sich für die damalige Zeit durchaus sehen lassen können, dem heutigen Zuschauer aber kaum mehr als ein müdes Lächeln entlocken.

Die größte Schwäche des Films ist jedoch die mangelnde Chemie zwischen den Hauptdarstellern. Veronica Lake, die unter starken Alkoholproblemen litt, galt bei ihren Kollegen als ungemein zickig, weshalb die Zusammenarbeit mit ihrem Partner March sehr schwierig war. Außerdem ist sie nicht gerade für ihre wechselvolle Mimik oder Ausdrucksstärke bekannt, um es einmal höflich zu formulieren. Eine Claudette Colbert hätte aus der Rolle ein wahres Feuerwerk an Emotionen herausgeholt, bei Lake stand jedoch die Inszenierung ihrer Haare im Vordergrund. Sie war berühmt für ihre lange, blonde Mähne, die ihr halbes Gesicht bedeckte und von Millionen Frauen zum Vorbild für ihre eigenen Frisuren wurde. Erst als es während des Krieges zu Unfällen in den Fabriken kam, in denen Arbeiterinnen mit ihren langen Haaren in Maschinen gerieten und skalpiert wurden, musste Lake sich von ihnen trennen – und von ihrer Karriere einige Jahre darauf gleich mit. Möglicherweise hat sie niemand mehr erkannt …

Wer alte Filme mag, sollte sich Meine Frau, die Hexe einmal ansehen – und sei es nur, um Veronica Lakes Haare zu bewundern.

Note: 3

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.