Vier Länder in vierundzwanzig Stunden

Je länger man sich auf ein Ereignis freut, desto unwirklicher kommt es einem vor, wenn es endlich eintrifft. Kinder, die auf Weihnachten oder ihren Geburtstag warten, können ein Lied davon singen, gestresste Mitteleuropäer, die ihren Urlaub herbeisehnen, auch. Vergangenes Wochenende war es endlich soweit: Mark G. und ich brachen wieder einmal auf Richtung USA.

Die Flugpreise in diesem Jahr hatten sich im Vergleich zu 2015 leider nahezu verdoppelt, ein Grund dafür war nicht festzustellen. Die günstigsten Anbieter waren noch Aeroflot und Turkish Airlines, aber keine wirklichen Alternativen, obwohl die eine zur besten Fluggesellschaft Osteuropas, die andere sogar Europas gewählt wurde, jedoch macht es wenig Sinn, zunächst Richtung Osten zu fliegen, wenn man eigentlich nach Westen will. Am Ende fanden wir ein sensationell günstiges Angebot, das leider einen kleinen Nachteil hatte: Wir mussten in Paris und Vancouver umsteigen.

Früher absolvierten Amerikaner auf Europarundreise sieben Länder in fünf Tagen, was manche Asiaten heute noch tun. Wir haben es immerhin auf vier Länder in vierundzwanzig Stunden gebracht. Angefangen haben wir in Frankfurt, wo wir am Flughafen übernachtet haben, um vor dem Abflug noch ein wenig Schlaf zu bekommen. Dass ich dabei von Katzen aus dem Weltraum geträumt habe, war seltsam, aber hoffentlich kein schlechtes Omen – wenigstens kamen sie nicht von rechts. Oder links? Wenn ich abergläubisch wäre, wüsste ich das.

Der Check-in verlief weitgehend störungsfrei, wenn man von dem klitzekleinen Polizeieinsatz absieht, den wir verursacht haben. Schuld waren aber nicht allein wir, sondern auch der Kontrolleur, der seinen Job gerade erst begonnen hatte und bei zwei verdächtigen runden Objekten mit Kabeln misstrauisch wurde. Zweimal wurde Mark G.s Koffer ergebnislos durchleuchtet, dann kam die Polizei und stellte Fragen. Mark G. versuchte ihnen zu erklären, dass es sich bei den Objekten um ein Geburtstagsgeschenk in Form von Solarleuchten handelte, nur fiel ihm das Wort nicht ein. Es war ein bisschen wie bei einem Quiz, nur waren die beiden Beamten nicht gerade die geduldigsten Kandidaten. Schlussendlich wurde festgestellt, dass es sich dabei um „Deko“ handelte, und wir durften unsere Reise fortsetzen. Nicht ohne zuvor noch einem chemischen Sprengstofftest unterzogen worden zu sein …

„Allez hop“, sagt ein Dompteur, wenn im Zirkus ein Hund, Löwe oder Elefant durch einen Reifen springen soll. Nun ja, Elefanten springen eher selten durch Reifen, aber egal. Hop! hieß unsere Fluggesellschaft, eine Tochter von Air France, die uns nach Paris brachte, und irgendwie musste ich an Dressur (und an den Osterhasen) denken, als wir alle geordnet in den Bus, später ins Flugzeug stiegen, ohne dass jemand aus der Reihe tanzte. Der Mensch ist eben ein Herdentier.

Flughäfen sehen sich so ähnlich, dass man sie erst auf den zweiten Blick erkennt. In Paris an den Tonnen von Macarons und Käse in den Auslagen der Geschäfte. Am Schalter angekommen, stand Mark G.s Name auf der Anzeigetafel, was unwillkürlich gemischte Gefühle hervorrief. Standen wir doch unter Terrorverdacht und sollten zur Befragung abgeholt werden? Die Auflösung war banal und seltsam zugleich: Wir bekamen andere Plätze, seltsam war nur, dass wir gleichzeitig auch andere Namen erhielten. Anscheinend wollte der Computer uns in den April schicken. Am Ende saßen wir aber dort, wo wir ursprünglich auch hätten sitzen sollen.

Nachdem wir schon mit etlichen europäischen und amerikanischen Fluggesellschaften geflogen sind, kann ich über Air France immerhin sagen: Sie haben die schönsten Speisekarten. Abgesehen davon, dass sie die einzigen mit Speisekarten sind, die ich kenne, ist es ein schöner Zug. Wenn man sie liest, kann man sich bereits aufs Essen freuen: Salade de légumes jamaїcaine, vinaigrette à la pulpe d’abricot. Und das war nur die Vorspeise. Die Ernüchterung kam dann mit dem Essen selbst, das genauso aussah wie bei allen anderen, geschmacklich aber vielleicht ein paar Nuancen besser war. Champagner und Käse gab es natürlich auch. Fliegen wie Gott in Frankreich sozusagen.

Trotz der Länge war es ein kurzweiliger Flug, kombiniert mit einem Sprachkurs. Ein wenig konnte ich mein Schulfranzösisch aufpolieren, weil sie bei manchen Durchsagen die Wiederholung auf Englisch vergessen haben. Außerdem habe ich mir zwei Filme angesehen (die Auswahl war wegen fehlender Synchronisationen bei den Dutzenden französischen Filmen leicht eingeschränkt): The Dressmaker und Ewige Jugend. Beide haben mir gut gefallen, die Kritiken folgen später einmal im Blog.

Schade, dass wir keine Zeit für einen Ausflug nach Vancouver hatten, denn es ist eine wunderschöne Stadt – der eine oder andere wird sich an meinen Reiseblog vom letzten Jahr erinnern. Interessant war, dass man bereits am Flughafen die US-amerikanischen Einreiseformalitäten erledigen kann – auch das immer wieder ein kleines Abenteuer.

Wenn man fliegt, lernt man neue Menschen und Länder kennen und kann Vorteile abbauen, manchmal werden sie aber auch bestärkt: Es gibt tatsächlich Inder, die immer, wenn sie außer Haus gehen, Unmengen an selbstgemachtem Essen mitnehmen, und Asiaten, die drängeln und unfreundlich sind. Man sollte nur nicht annehmen, dass dies die Regel ist. Der Eingang zum „amerikanischen“ Teil des Flughafens wurde von einem Kanadier bewacht, der sehr nett und gesprächig war, bei der Immigration saß hingegen eine amerikanische Beamtin mit asiatischen Wurzeln …

Effektiv ist das System, dass sie sich haben einfallen lassen, durchaus. Wie überall auf der Welt wurde auch hier massiv Personal abgebaut und durch Automaten ersetzt. Dank Ikea dürfen wir unsere Möbel nun selbst zusammenbauen, die Telekom hat uns gezeigt, dass wirklich jeder genauso schlecht ein Telefon installieren kann wie ihre ausgebildeten Fachkräfte, und die Amerikaner bringen uns dazu, uns selbst Fingerabdrücke abzunehmen und ins System einzuspeisen. Immerhin durfte man entscheiden, ob einem das dazugehörige Foto auch wirklich gefällt. Ein Zugeständnis an die Selfie-Generation vermutlich. Unwillkürlich frage ich mich, ob man sich auch selbst einsperren darf, wenn einem die Einreise verweigert wird.

Am Ende kamen wir so schnell durch die Grenzkontrollen wie nie zuvor, was den Vorteil hatte, dass wir dafür keine Zeit in Las Vegas verschwenden mussten. Weil wir danach noch etwas Zeit und Hunger hatten, gingen wir essen. Vergangenes Jahr konnten wir ja leider keine Poutine kosten, deshalb wollten wir das noch nachholen. Poutine ist eine kanadische Spezialität und besteht aus Pommes mit Käse, die mit Bratensauce übergossen werden. Klingt seltsam und schmeckt auch so. Man sollte, wenn man in Kanada ist, es einmal kosten, einmal reicht dann aber auch. Als Vorbereitung auf unseren USA-Aufenthalt gab es dazu selbstverständlich Burger, für mich immerhin in der vegetarischen Version.

Am Abend waren wir dann endlich in Las Vegas. Oder vielmehr am frühen Morgen unserer Zeit. Auf Reisen ist das am Anfang ja immer ganz schön verwirrend. Es war selbst nach Einbruch der Dunkelheit noch unglaublich warm und ich ein wenig zu dick angezogen. Der Taxifahrer hat uns auf den neuesten Stand gebracht, was sich seit dem letzten Jahr alles verändert hat. Es war nicht viel, nur eine neue Mulitfunktions- und Sportarena wurde gebaut, mit der Las Vegas nun in die nationale Eishockeyliga aufsteigen will. Macht ja auch Sinn in der Wüste.

Ansonsten ist Las Vegas wie immer: Laut, bunt und heiß. Es ist seltsam, einmal nicht in L.A. anzukommen, aber immerhin gibt es auch hier Palmen und Wüste, also fühle ich mich schon heimisch, und fremd ist es nach ca. einem Dutzend Aufenthalten eigentlich auch nicht mehr. Übergewichtige betrunkene Frauen torkelten auf erschreckend dünnen Absätzen durch die Lobby, das Klingeln und Scheppern der Spieltautomaten erfüllte die viel zu kalte Luft in den Kasinos, und der neueste Trend in Sachen Geschmacklosigkeit sind Wikingerhelme, deren Hörner von bunten LED-Lampen beleuchtet werden. Aber wie heißt es so schön (ein Satz, den wir ungefähr ein Dutzend Mal auf dem Weg hierher gehört haben): „What happens in Vegas stays in Vegas“. Eine schlagfertige Flugbegleiterin fügte beim Landeanflug allerdings noch hinzu: „But better keep it off Facebook“.

My hotel is my castle

My hotel is my castle

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Mark G. & Pi Jay in La-La-Land 2016 von Pi Jay. Setze ein Lesezeichen zum Permalink.

Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.