Inferno

Der Dienstag war schneller rum als uns lieb war. Nach dem Frühstück überlegten wir, nach Downtown zu fahren, um uns in der Olvera Street das Festival anlässlich des Día de los Muertos anzusehen, doch nach einer kurzen Online-Recherche mussten wir feststellen, dass die Umzüge und musikalischen Darbietungen erst am Nachmittag losgingen – natürlich mitten in der täglichen Rush Hour. Wir verzichteten dankend.

Stattdessen entschieden wir uns, ins Kino zu gehen, auch wenn ich mir von Inferno nicht viel versprach. Danach aßen wir noch eine Kleinigkeit zu Mittag – und ehe wir es uns versahen, war es schon wieder dunkel. Die Tage sind inzwischen zwar wieder angenehm warm, aber leider genauso kurz wie in Deutschland.

Inferno

Robert Langdon (Tom Hanks) erwacht in einem Krankenhaus in Florenz, mit einer Kopfwunde und fehlenden Erinnerungen an die vergangenen zwei Tage. Als eine Auftragsmörderin versucht, ihn zu töten, kann er nur dank der Hilfe der engagierten Ärztin Sienna Brooks (Felicity Jones) entkommen. Gemeinsam versuchen sie herauszufinden, was es mit Langdons Visionen, die Bildern aus Dantes Inferno gleichen, auf sich hat, und entdecken, dass der radikale Milliardär Zobrist (Ben Foster) ein tödliches Virus kreiert hat, um die Überbevölkerung zu stoppen. Nach dessen Freitod befindet es sich nun an einem geheimen Ort, den man nur finden kann, wenn man zuvor einige Rätsel löst …

Die beiden überaus erfolgreichen Vorgängerfilme waren, wie die Romane, im Grunde nichts anderes als aufwendige Schnitzeljagden mit Bezügen zur europäischen Kunstgeschichte. Dan Brown wäre vermutlich schlecht beraten gewesen, seinen Professor Langdon plötzlich mit einer anderen Aufgabe zu konfrontieren, weshalb er dasselbe Schema immer und immer wieder benutzt. Originell oder plausibel war es jedoch schon beim ersten Mal nicht.

Auch der dritte Streich unterscheidet sich nicht von den beiden zuvor, Tom Hanks spielt den Kunstgeschichtsprofessor erneut souverän als Indiana Jones im Tweedanzug, der sämtliche Geheimgänge in allen wichtigen europäischen Museen kennt und nebenbei Banalitäten zu diversen Kunst- oder Bauwerken absondert, als hätte er zu viele Reiseführer gelesen. Natürlich spielt der Film wieder an den tollsten Schauplätzen der Kunstgeschichte, diesmal Florenz, Venedig und Istanbul, zeigt dann aber nur das, was man ohnehin schon tausendmal gesehen hat. Das Abseitige, das Besondere oder Raffinierte, das, was Geschichte lebendig und erfahrbar macht, taucht leider nicht auf. Immerhin muss man Regisseur Ron Howard zugutehalten, dass er diese Schauplätze wunderschön in Szene setzt.

Die Geschichte selbst ist unnötig kompliziert und völlig überkonstruiert. Das einzige, was einigermaßen Spaß macht, ist zu raten, welche Figur zu den Guten und welche zu den Bösen zählt und wie oft sie im Verlauf der Handlung die Seiten wechselt. Wer was warum herausfindet oder auch nicht, gerät dabei eher zur Nebensache und interessiert einen nach einer Weile ohnehin nicht mehr. Leider verrät der Trailer viel zu viel über den Film, so dass man bis weit über die Hälfte hinaus das Gefühl hat, bereits alles zu kennen.

Inferno ist die Art von Film, die man am besten betrunken anschaut, oder wenn man zumindest vorher seinen Verstand an der Garderobe abgegeben hat. Man sollte einfach die Verfolgungsjagden sowie die prachtvolle Ausstattung genießen, ohne sich groß mit Gedanken zu logischen Zusammenhängen, der Sinnhaftigkeit des Tuns der diversen Figuren oder deren Verhalten allgemein zu belasten. Sobald man jedoch anfängt, über die Story nachzudenken, ist es vorbei, dann fragt man sich – Achtung, Spoiler! – warum zum Beispiel Zobrist sein tödliches Virus ausgerechnet an einem öffentlich zugänglichen Ort versteckt, der gerade für eine Veranstaltung in einer vom Terrorismus geplagten Stadt vorbereitet wird, wo die Wahrscheinlichkeit einer Entdeckung sehr hoch ist, anstatt es entweder in seinem Geheimlabor zu belassen, das niemand je gefunden hat, oder es sofort einzusetzen. Und dann noch ein Schild daneben zu platzieren, damit seine Anhänger es leichter finden, nachdem er sie zuvor mit seinen verschlüsselten Hinweisen durch halb Europa geschickt hat. Oder warum sind sämtliche „Geheimtüren“, von denen jeder Museumswächter weiß, stets unverschlossen? Oder warum fliehen Langdon und Brooks in die Katakomben von San Marco, wenn sie ihren einzelnen Verfolger mit Leichtigkeit austricksen und zum Haupteingang hinausspazieren könnten? Oder warum…

Wie gesagt, man sollte besser nicht so genau über die Handlung nachdenken. In unserem Kino saß übrigens ein Pärchen, das diesem Rat gefolgt ist – zumindest zur Hälfte. Es hat sich nicht nur heimlich betrunken (vielleicht haben sie auch ein Trinkspiel gespielt, bei dem man jedes Mal, wenn Dante erwähnt wurde, einen Schnaps hinunterkippen musste?), sondern sich auch lautstark unterhalten. Aber vielleicht haben sie sich auch einfach nur laut über den Quatsch auf der Leinwand gewundert.

Note: 4-

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Mark G. & Pi Jay in La-La-Land 2016 und verschlagwortet mit , , von Pi Jay. Permanenter Link zum Eintrag.

Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.