Dinner mit Alligator

IMG_6167_smallBei einer Rundreise wie dieser, auf der man fast jeden Tag in einem> anderen Hotel erwacht, ist es schwierig, den überblick darüber zu behalten, wo man sich gerade befindet. Im Moment weiß ich sogar nicht einmal mehr, welchen Wochentag wir gerade haben. Und dass wir Freitag schon wieder die Zeitzone wechseln, macht es auch nicht gerade einfacher.

Donnerstag verließen wir Mississippi am Vormittag und fuhren nach Alabama. Direkt hinter der Staatsgrenze erkundigten wir uns in einem> Tourismusbüro nach den Sehenswürdigkeiten in Selma und Montgomery, unsere beiden Ziele für diesen Tag. Die beiden entzückenden Damen hinter dem> Tresen waren überaus hilfsbereit und suchten uns gleich eine Menge Informationsmaterial und Karten heraus. Inzwischen hat sich mein Ohr auch einigermaßen an den weichen und melodischen Südstaatendialekt mit seinen langgezogenen Vokalen gewöhnt.

überhaupt sind die Menschen hier unglaublich freundlich und höflich; den halben Tag lang ist man damit beschäftigt, Leute zu grüßen, die man noch nie zuvor gesehen hat. Und alle sagen ständig ?Sir? zu mir, wodurch man sich unheimlich nobel und weise vorkommt ? und verdammt alt. Irgendwie kaum zu glauben, dass die Vorfahren dieser wahnsinnig höflichen Menschen Sklaven gehalten haben. Andererseits könnte durchaus jeder von ihnen mit einer Waffe in der Tasche herumlaufen ? das könnte sogar eine Erklärung dafür sein, dass alle so nett und zuvorkommend sind ?

Selma ist eine kleine Stadt mit großer historischer Bedeutung, die für den alten Süden und die Bürgerrechtsbewegung steht. Dabei fing das große Drama der Geschichte bereits viel früher an, mit Hernando de Soto, einem> spanischen Konquistador, von dem> eine Museumsmitarbeiterin uns sagte, dass man ihm besser nicht begegnet wäre ? es sei denn, man wäre ?der König oder die Königin von Spanien?. Besagter Krieger traf sich hier mit einem> Indianerstamm, und diese Begegnung ging für die Ureinwohner nicht gut aus.

Selma gab es damals, 1540, natürlich noch nicht. Die Stadt wurde erst 1815 gegründet und erlebte durch die Baumwolle einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung. Zu dieser Zeit und etwas später zog es nämlich viele Farmer von der Ostküste in den damaligen Südwesten der USA, nachdem> ihr Land durch zu intensive Bewirtschaftung ausgelaugt war und sie neue Anbaugebiete erschlossen. Im Bürgerkrieg war Selma dann eine der Rüstungsschmieden des Südens ? und wurde dafür schwer bestraft: Anfang April 1865 nahm General Wilson die Stadt ein, brannte einen Großteil davon nieder und zerstörte alle Fabriken.

Rund hundert Jahre später geriet Selma erneut in die Schlagzeilen, als nach dem> Tod eines jungen Afro-Amerikaners ein Protestmarsch auf der Edmund Pettus Bridge blutig beendet wurde. über fünfzig Verletzte zählte man an jenem> ?Bloody Sunday?, dem> zwei Wochen später ein viel größerer Marsch mit Dr. Martin Luther King an der Spitze folgte. Es dauerte vier Tage, bis die Teilnehmer die Hauptstadt Montgomery erreichten und mit ihrer Entschlossenheit dazu beitrugen, dass alle Menschen an den Wahlen teilnehmen können, egal welche Hautfarbe sie haben.

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.