Begrabt die Leichen oben auf dem Berg

Als die letzten Tage unserer Rundreise anbrachen, waren wir ziemlich erschöpft. Kein Wunder nach 225 km Wanderungen, viele davon in großer Höhe. Daher beschlossen wir, es etwas ruhiger angehen zu lassen. Unser erster Stopp war in Ashcroft, einer Geisterstadt wenige Kilometer von Aspen entfernt. Die Fahrt dahin führte durch ein waldreiches Tal mit vielen Birken, die vereinzelt bereits gelbe Blätter bekamen. In zwei Wochen muss es hier traumhaft aussehen.

Ashcroft war ein typisches Minenstädtchen, das 1880 gegründet wurde. Innerhalb kürzester Zeit siedelten sich hier 2000 Menschen an, die Stadt hatte drei große und zahlreiche kleine Straßen und erstreckte sich über das gesamte Tal, es gab zwei Zeitungen, eine Schule und rund 20 Saloons. Eine blühende Gemeinde. Doch die Minen waren nicht sehr ertragreich, der Transport über Land teuer und schwierig, weil eine geplante Eisenbahnverbindung nicht zustande kam. Nur fünf Jahre nach seiner Gründung lebten nur noch 100 Leute hier.

Die junge Frau, die am Eingang des kleinen Museums saß, erzählte uns, dass die Menschen teilweise mitsamt ihren Behausungen weggezogen sind, die sie auf Baumstämmen durch das Tal nach Aspen rollten. Muss ein faszinierender Exodus gewesen sein. Heute stehen nur noch wenige Häuser dort, einige in ganz gutem Zustand, andere halb verfallen. Der Rundgang hat nicht lange gedauert, war aber sehr interessant, weil man viel über das harte Leben in diesem einsamen Tal mit seinen langen Wintern lernen konnte.

Apropos Winter: Als wir von Ashcroft nach Aspen zurückfuhren, sahen wir einen einzelnen Baum mit roten Blättern am Straßenrand, ein Vorbote des nahen Herbstes. Und die Stadtverwaltung ist sogar noch einen Schritt weiter gegangen, denn sie hat bereits Schilder aufstellen lassen, auf denen zu lesen war: „Winter is coming“. Was bei Game of Thrones noch eine unheilverkündende Botschaft war, ist hier eher eine freudige Nachricht, denn dann beginnt der lukrative Wintersport …

Von Ashcroft aus ging es dann weiter nach Glenwood Springs, das zwar nur rund 10.000 Einwohner hat, aber ein Verkehrsaufkommen wie eine Großstadt. Ursprünglich trug sie den trotzigen Namen Defiance, bis die Frau des Stadtgründers die Verantwortlichen überredete, sie nach ihrer Heimatstadt in Iowa umzubenennen. Man fragt sich, ob diese Maßnahme tatsächlich Einfluss auf die berüchtigten rauen Sitten hatte.

Nach einem Mittagessen in einem niedlichen Achtzigerjahre-Diner wollten wir Doc Hollidays Grab auf dem historischen Friedhof besuchen. Dorthin zu gelangen, erwies sich jedoch als schwierig, denn die Wegbeschreibung war dürftig, und als wir neben einer Hinweistafel parkten, die den Weg zur letzten Ruhestätte wies, dachten wir noch, wie wären in wenigen Minuten wieder zurück. Doch der Weg führte zunächst einen sehr steilen, staubigen Hügel hinauf, was in der heißen Mittagssonne und nach einem reichen Mahl alles andere als ein Vergnügen war. Warum wurde der Friedhof nur hoch oben auf einem Berg, sehr weit von der historischen Altstadt entfernt angelegt? Und wie schafften die Einwohner die Särge ihrer Verstorbenen hier herauf?

„This is funny“, waren angeblich die letzten Worte von Doc Holliday, als er mit nur 36 Jahren an Tuberkulose verstarb. Lustig fand der bekannte Revolverheld und gelernte Zahnarzt, der durch seine Teilnahme an der Schießerei am O.K. Corral berühmt wurde, vermutlich, dass er im Bett und nicht bei einer bleihaltigen Auseinandersetzung starb. Nachdem wir ihm die Ehre erwiesen hatten, machten wir uns wieder an den Abstieg.

Eigentlich hatten wir noch eine weitere Wanderung geplant, die uns abermals einen steilen Berg hinaufgeführt hätte. Wir waren jedoch müde und beschlossen, den restlichen Tag stattdessen am Hotelpool zu verbringen. Die nächsten Tage sollten schließlich noch anstrengend genug werden.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Mark G. & Pi Jay in La-La-Land 2022 und verschlagwortet mit , , , von Pi Jay. Permanenter Link zum Eintrag.

Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.