Abenteuer und Kulinarik in La-La-Land

In erster Linie diente unser Aufenthalt in L.A. natürlich der Erholung. Wir wollten zwar noch den einen oder anderen Ausflug unternehmen, haben uns dann aber meist dagegen entschieden. Faulheit siegt. Stattdessen konzentrierten wir uns darauf, unsere to-eat-Liste abzuarbeiten. 2005 habe ich den California Fish Grill kennengelernt, der in dieser Gegend seit 1998 eine Institution war (erkennbar an der Anzahl der Polizei- und Feuerwehrautos auf dem Parkplatz, quasi eine real life-Bewertung).

Vor vier Jahren erfuhren wir jedoch, dass das Lokal verkauft worden war und die neuen Besitzer eine Kette daraus gemacht haben. Mit einer neuen Speisekarte. Meine Favoriten waren immer die Muschelsuppe (nicht so gut wie von Boudin, aber eine solide Alternative), der Shrimp Burrito mit der hausgemachten Remoulade sowie die gerillte Zucchini. Allein bei dem Gedanken an die Zucchini mit der angenehmen Räuchernote und einer Marinade, die an Zitrusfrüchte erinnerte, beginne ich zu sabbern. Traurigerweise ist all das nun Geschichte. Die Zucchini gibt es nicht mehr, die Burritos verschwanden bereits vor vier Jahren, und wegen der Suppe allein lohnt sich der Besuch nicht. Wir hatten Cajun-Tacos mit Shrimps (schön scharf) und Lachs (ziemlich fad), die okay waren, aber okay reicht leider nicht.

Immerhin gibt es noch die japanische Bäckerei 85°, die ihr Sortiment (und anscheinend auch ihre Preise) beibehalten hat. Im Vergleich zu amerikanischem Gebäck sind die Kuchen nicht übermäßig süß, die Cheesecake-Bites sind immer noch der Hit, und mein Schoko-Haselnuss-Muffin hatte sogar einen leicht flüssigen Kern.

Dafür, dass wir nur rund fünfzehn Autominuten vom Strand entfernt wohnen, haben wir uns dort ziemlich selten blicken lassen. Aber mindestens einen Sonnenuntergang muss man am Pazifik erlebt haben, denn die sind meistens fantastisch. Zuvor waren wir jedoch noch einmal in Mark G.s Lieblingsimbiss Rascal’s, um Chicken Teriyaki zu essen: saftiges, gegrilltes Hähnchen mit rauchig-süßer japanischer Sauce, serviert mit einem Salat, der für mich sogar noch etwas besser als das Hähnchen ist. Das Geheimnis liegt im Dressing, das süß-fruchtig schmeckt, mit Koriander, Limettensaft und evtl. etwas Orangensaft. Es ist mir leider noch nicht gelungen, es nachzubauen. Zum Dessert gab es erneut Handel’s Homemade Ice Cream, diesmal in Redondo Beach, wo sie mehr Sorten zur Auswahl haben, darunter mein geliebtes Schokoladen-Himbeer-Trüffel-Eis. Zur Abwechslung haben wir es als Shake genossen, und es war wieder ausgezeichnet. Getoppt wurde das Ganze nur von einem wunderschönen Sonnenuntergang und einem Spaziergang am Strand.

Wir haben aber nicht nur gegessen, sondern uns auch einige Filme im Kino angesehen. Don’t Worry Darling lief beispielsweise im Chinese Theatre, das zu den schönsten Filmpalästen Amerikas, wenn nicht der Welt zählt. Ob Hollywood eine Reise wert ist, muss jeder für sich selbst entscheiden, aber schon allein dieses Kinos wegen lohnt die anstrengende (und aufgrund der permanenten Staus recht langwierige) Fahrt durch Downtown.

Viel zu sehen gibt es in Hollywood nicht: Wer sich für die Sterne am Walk of Fame interessiert, kann diesen abschreiten und Fotos von seinen Favoriten machen. Das Egyptian Theatre ist zurzeit leider eine einzige Baustelle mit einem riesigen Erdhaufen im Hof, so dass man meinen könnte, dort fänden archäologische Ausgrabungen statt. Wer auf Disney-Filme steht, sollte ins El Capitan Theatre gehen, das mit seiner Leuchtreklame sofort ins Auge sticht. Aber das Chinese ist immer noch der eleganteste Filmpalast. Von den Wandgemälden im Foyer, über die antikisierten Säulen im riesigen Saal, den roten Lampion-Lampen und anderen verspielten Details hin zu der Decke mit ihren Verzierungen aus Metall und Holz gibt es eine Menge zu entdecken. Im Foyer gibt es auch immer noch Vitrinen mit Filmkostümen und Figuren wie Hitchcock und Stan Lee.

Ganz in der Nähe befindet sich die Hollywood and Highland Mall, die gerade für 100 Millionen frisch renoviert wurde. Das ist eine Menge Geld, das hier verschwendet wurde, denn das Resultat ist langweilig und insgesamt eine eindeutige Verschlechterung. Aber über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten. Verschwunden sind beispielsweise die beiden Elefanten und der babylonisch anmutende Bogen, die ursprünglich als Hommage an D.W. Griffiths Intoleranz gedacht waren und nun der Wokeness zum Opfer gefallen sind. Welch Ironie.

Man sollte dazu wissen, dass Griffith 1915 mit Die Geburt einer Nation nicht nur den damals teuersten Film aller Zeiten gedreht hat (100.000 Dollar Produktionskosten), sondern auch den erfolgreichsten (60 Millionen Dollar Einspielergebnis, was heute deutlich über eine Milliarde wäre). Auch filmhistorisch gilt das dreistündige Epos mit seiner innovativen Technik und raffinierten Erzählweise als Meilenstein. Blöd ist nur, dass es ein rassistisches Werk ist, das bereits damals höchst umstritten war.

Nur ein Jahr später brachte der Regisseur dann Intoleranz in die Kinos, einen Film mit humanistischer und pazifistischer Botschaft – und eine Antwort auf seine Kritiker, denen er eine intolerante Haltung vorwarf. Auch dieser Film war über drei Stunden lang (zu einer Zeit, als in den Kinos vor allem Kurzfilme liefen) und ein erzähltechnisches Meisterwerk, dessen Handlung mehrere tausend Jahre umspann und dessen Episoden parallel montiert waren. Der Film kostete die unglaubliche Summe von knapp zwei Millionen Dollar – und war der größte Flop der damaligen Zeit. Die USA bereiteten sich gerade auf ihren Eintritt in den Ersten Weltkrieg vor, und das Publikum wollte schlichtweg nichts von Frieden wissen.

Eine Episode spielt im antiken Babylon, und das legendäre Szenenbild von Frank Wortman enthielt unter anderem riesige, auf Säulen thronende Elefanten (deren fiktiven Skulpteuren Vittorio und Paolo Taviani 1987 mit Good Morning, Babylon ein wunderbares cineastisches Denkmal gesetzt haben). Zwei Replika aus Fiberglas wurden beim Bau der Mall aufgestellt, zusammen mit besagtem babylonisch anmutenden Bogen, als Huldigung an das alte Hollywood. Doch da Griffith inzwischen als Rassist gebrandmarkt ist, durften sie nicht bleiben. Man fragt sich jedoch unwillkürlich, ob den meisten Besuchern diese Referenz überhaupt bewusst war und ob Kritik an einem Regisseur und seinem Film, der vielleicht aus den falschen Motiven, jedoch mit der richtigen Botschaft entstanden ist, nicht genau jenen Geist widerspiegelt, den Griffith als zeitlosen Wesenszug des Menschen angeprangert hat.

Wie dem auch sei, dem Gelände fehlt nun ein bestimmendes und beliebtes Element, und auch die Entscheidung, den stilisierten roten Teppich mit seinen eingelassenen Zitaten sowie den Brunnen in der Mitte zu entfernen, ist zu bedauern. Stattdessen erstreckt sich dort nun eine langweilige Kunstrasenfläche mit Sitzgelegenheiten. Der Bogen, von dessen Zwischengeschossen man einen Blick auf das Hollywoodzeichen hat, wurde mit modernen Wandgemälden versehen. Auf einer Seite agieren Figuren, auf der anderen wird ihnen applaudiert. Doch dies ist keine Huldigung an die Stars und Sternchen Hollywoods, sondern soll die Tatsache feiern, dass wir alle Kreative sind – auf TikTok, Instagram und anderen Social-Media-Kanälen. Man kann förmlich sehen, wie sich die Designer für diese Idee gegenseitig auf die Schultern geklopft haben.

Die Mall hat auch einen neuen Namen bekommen und firmiert nun als Ovation Hollywood, was schiere Ironie ist, denn mit dem Filmgeschäft oder dem reichen Erbe Hollywoods hat das Gelände nun außer der geografischen Nähe nichts mehr zu tun. Wie in vielen Malls herrschte auch hier ziemlich viel Leerstand, und von Touristen hat es auch nicht gerade gewimmelt. Was sollen sie auch noch hier, die meisten Souvenirshops liegen außerhalb der Mall.

Wir waren auch nur kurz hier, wollten ein Foto vom Hollywoodzeichen machen – und blieben prompt im Fahrstuhl stecken, wenn auch nur für wenige Minuten. Derart bedient, fuhren wir durch den dichten Feierabendverkehr wieder nach Hause, wo hausgemachte Enchiladas auf uns warteten. Wenigstens haben wir an dem Tag großartig gespeist.

Am nächsten Tag ging es erneut ins Kino, diesmal in die Del Amo-Mall, um zusammen mit einer Freundin Avatar – Aufbruch nach Pandora in einem Imax-Kino zu sehen. Anschließend gingen wir im dortigen Food-Court Burger im Shake Shack essen. Die Kette kannten wir bislang noch nicht, und die Cheese-Burger (mit geräuchertem Bacon bzw. ganz klassisch) waren ausgezeichnet, jedoch klein (wir haben sie two-bites-Burger getauft). Auch die Portion Pommes mit Bacon und Käse war nicht gerade üppig bemessen, was kalorientechnisch sicherlich von Vorteil war. Zum Ausgleich gab es zu Hause noch einen Brownie …

Das Wochenende in den USA steht in vielen Familien ganz im Zeichen des Sports, und so lief auch im Haus unserer Freunde eine Football-Berichterstattung im Fernsehen. Nachdem die favorisierten Teams gewonnen hatten, fuhren wir mit allen in unserem Wagen zu La Barca, einem mexikanischen Restaurant in Downey. Wir sind inzwischen amerikanisch genug, um ganz selbstverständlich eine halbe Stunde lang quer durch den Großraum L.A. zu fahren, um essen zu gehen.

Das Restaurant hat eine von uns geschätzte Spezialität auf der Karte: Birria de chivo. Das ist ein Gericht aus der Region Jalisco, das aber auch in anderen Landesteilen Mexikos gegessen wird. In San Felipe, wo Freunde von uns ein Ferienhaus haben, isst man es vor allem zum Frühstück. Im Prinzip ist es ein langsam geschmortes Fleischgericht (in diesem Fall Ziege), das mit viel Sauce, Reis, Bohnen, frischen Zwiebeln, Koriander und Limette serviert wird. Dazu gibt es Weizen- und Maistortillas. Wir finden es sehr schmackhaft.

Weil zu einem guten Essen hierzulande auch immer ein üppiges Dessert gehört, unternahmen wir einen weiteren Ausflug zu Handel’s Homemade Ice Cream in Redondo Beach, was zugegebenermaßen nicht gerade um die Ecke liegt. Unsere Freunde waren noch nie in dieser Filiale, die wesentlich mehr Sorten anbietet als die Location in der Manhattan Village Mall. Sie waren begeistert, und wir haben uns gefreut, den Einheimischen etwas Neues zeigen zu können. Weil ich ein alter Langweiler bin, habe ich den gleichen Shake wie zuvor bestellt und erneut jeden schokoladigen Tropfen davon genossen.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Mark G. & Pi Jay in La-La-Land 2022 und verschlagwortet mit , von Pi Jay. Permanenter Link zum Eintrag.

Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.