Thor: Love and Thunder

Irgendwann vergangenen Sommer, so wurde berichtet, trafen sich die Kreativen des Marvel Studios, um über die nächsten zehn Filme zu beraten, die das Marvel Cinematic Universe weiter vergrößern werden. Das wird, so könnte man sagen, auch höchste Zeit. Seit Avengers: Endgame vor immerhin bereits drei Jahren hat man nämlich das Gefühl, das MCU ist ein ins Schlingern geratener Ozeandampfer, der verzweifelt versucht, seinen Kurs wiederzufinden.

Phase Vier umfasste bislang ein Prequel (Black Widow), etablierte mit Shang-Chi and the Legends of the Ten Rings sowie Eternals eine Reihe neuer Helden und widmete sich dann ausschließlich den alten Figuren, nämlich Spider-Man, Doctor Strange, Thor und Black Panther. Während es in Phase Eins bereits nach wenigen Filmen erste Hinweise auf den Krieg gegen Thanos gab, sucht man bisher Vergleichbares vergeblich. Das Multiversum spielte mehrfach eine Rolle, aber unabhängig davon hat man nicht das Gefühl, dass sich die Geschichten in eine bestimmte Richtung bewegen oder ein filmübergreifender Handlungsstrang entwickelt wird, der dann wieder in einem fulminanten Finale mündet. Wohin steuert das MCU also?

Thor: Love and Thunder

Irgendwo im Universum schleppt sich Gorr (Christian Bale) mit seiner Tochter durch eine Wüste. Ihre Heimat wurde zerstört, sie selbst sind dem Tode nah. Gorr fleht seinen Gott an, ihnen zu helfen, aber dieser schweigt, und das Kind stirbt. Doch eine unbekannte Macht lockt den verzweifelten Gorr schließlich in eine fremde Welt, in der sein Gott residiert. Dieser hat gerade einen Krieger ausgeschaltet, der mit dem Nekroschwert die einzige Waffe besaß, die den Göttern gefährlich werden kann. Dieses Schwert bietet sich nun Gorr an, und als dieser begreift, dass sein Gott unbarmherzig und grausam ist, schwört er, alle Götter des Universums zu vernichten.

Derweil hat Thor (Chris Hemsworth) gemeinsam mit den Guardians of the Galaxy viele Abenteuer bestanden und Welten gerettet. Er hat zu seiner alten Form zurückgefunden, versucht aber immer noch die emotionale Leere in sich zu füllen, die durch den Verlust seiner großen Liebe, seiner Heimat und Familie entstanden ist. Als er der Asgardianerin Sif (Jaimie Alexander) zu Hilfe eilt, die schwer verletzt wurde, erfährt er erstmals von Gorr und seinen Plänen. Er bringt sie auf die Erde, nach Neu-Asgard, wo just in diesem Moment Gorr zuschlägt …

Es gibt relativ am Anfang eine Szene, die in Neu-Asgard spielt, das inzwischen zu einer Mischung aus Freizeitpark und Waisenhaus für Alienkinder geworden ist und auf dessen Bühne einige Schauspieler (u.a. Matt Damon und Melissa McCarthy in Cameos) ein kitschig-groteskes Stück aufführen. In diesem werden die Ereignisse des dritten Thor-Films zusammengefasst und gleichzeitig persifliert, es gibt furchtbar pathetische Dialoge, und das Ganze ist eher eine peinliche Farce. Und genauso ist Thor: Love and Thunder.

Schon nach dem plumpen Anfang, der den Schurken Gorr einführt, möchte man am liebsten das Kino verlassen. Wie kann man eine Figur ernstnehmen, die Religion scheinbar mit dem Drive-Thru eines Fast-Food-Restaurants verwechselt, bei dem man seinen Wunsch äußert und sofortige Erfüllung garantiert bekommt? Aber mit etwas gutem Willen kann man über diese Albernheit hinwegsehen, einfach hinnehmen, dass Gorr ein Gestörter mit einer Mission ist, und ihn als Gegenspieler akzeptieren. Im Grunde spielen seine Motive auch keine große Rolle.

Auf das Wiedersehen mit den Guardians haben sich viele Zuschauer sicherlich gefreut. Natürlich geht es nicht um sie, sondern um Thor, aber ein paar witzige Szenen und flotte Sprüche sollten schon drin sein. Die gibt es durchaus, vor allem Groot ist wieder einmal köstlich, aber Thor drängt alle Figuren in den Hintergrund. Dies ist eine One-Man-Show. Zudem ist die Episode so irrwitzig überdreht, plump-albern und vorhersehbar in ihrer Pointe, dass sie nur wenig Vergnügen bereitet. Was vielleicht auch an den Muppet-Rockern liegt. Sind wir denn hier im Kindergarten?

Aber auch darüber blickt man wohlwollend hinweg, und mit dem Schicksal von Jane Foster (Natalie Portman), die unheilbar krank ist, wird es sogar ernst. Aber auch hier baut Taika Waititi, der nicht nur Regie geführt und zusammen mit Jennifer Kaytin Robinson das Buch geschrieben hat, sondern auch einigen Figuren seine Stimme leiht, ein paar billige Gags ein, die nicht zum Wesen von Jane Foster passen. Und spätestens jetzt dämmert es dem bisher sehr geduldigen Zuschauer, dass dies Methode hat: Sämtliche Figuren verwandeln sich in Karikaturen ihrer selbst. Wie bei den Schauspielern auf der Bühne in Neu-Asgard werden ihre Charakterzüge grob vereinfacht und dann überdeutlich herausgestellt, bis sie nur noch alberne Witzfiguren sind.

Das haben weder Thor noch die Guardians of the Galaxy verdient, nicht einmal Gorr. Taika Waititi fährt den Film komplett gegen die Wand, und als Zuschauer kann man dabei nur fasziniert und fassungslos zuschauen.

Als Regisseur ist Taika Waititi gar nicht mal schlecht, Thor: Tag der Entscheidung war unterhaltsam und stimmig und hat einen nach dem vergurkten zweiten Teil wieder mit der Figur versöhnt. Aber als Autor ist der Mann eine Katastrophe (was er auch in der Vergangenheit bereits mehrfach unter Beweis gestellt hat): Die Storyline ist zu simpel, wichtige Informationen fallen den Helden einfach in den Schoß, und die Dialoge sind einfach nur unsäglich peinlich und plump.

Es gibt nicht viel, was man an Thor: Love and Thunder mögen kann. Die Spezialeffekte sind gut, aber das sollten sie bei diesem Budget auch sein, und die Kampfszenen sind allesamt solide gemacht, nicht aufregend, aber immerhin haben sie den Vorteil, dass dabei wenig geredet wird. Der Rest ist leider kaum zu ertragen, eine Ansammlung idiotischer Einfälle, die bestenfalls Langeweile verbreiten (der Besuch bei Zeus), schlimmstenfalls ärgerlich sind (der Einsatz von Kindersoldaten). Dagegen wirkt retrospektiv Ang Lees Hulk von 2003 (der freilich nicht zum MCU gehört) wie ein cineastisches Meisterwerk.

Leider gibt es auch bei diesem Film bzw. in den beiden Post-Credit-Szenen keinen Hinweis darauf, welche Richtung das MCU ansteuert. Vielleicht gibt ja bald Ant-Man and the Wasp: Quantumania, mit dem Phase Fünf eingeläutet wird, eine Antwort darauf.

Man kann nur hoffen, dass sie Taika Waititi vorher über Bord werfen, und bei dem Gedanken daran, was der Mann als nächstes Star Wars antun könnte, überkommt mich das Grausen. Wer Thor und die anderen Figuren des MCU in guter Erinnerung behalten möchte, sollte diesen Film meiden.

Note: 5

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.