Finding You

Auf den Film bin ich gestoßen, als ich neulich bei Prime Video nach einen heimeligen, anspruchslosen Film für einen Abend gesucht habe, an dem ich mit Halsschmerzen auf der Couch lag und keine Lust hatte, über einen komplizierten Plot nachzudenken.

Finding you

Finley Sinclair (Rose Reid) bewirbt sich als Violinistin an einer New Yorker Musikhochschule, wird aber abgelehnt. Um sich neu zu orientieren, nimmt sie an einem Austauschprogramm teil und geht für vier Monate nach Irland. Auch ihr kürzlich verstorbener Bruder hat daran teilgenommen, und Finley wohnt bei derselben Familie wie er, die ein B&B betreibt. Auf dem Flug bekommt sie unerwartet ein Upgrade in die erste Klasse, wo sie den Filmstar und das Teenager-Idol Beckett Rush (Jedidiah Goodacre) kennenlernt, den sie als fürchterlich arrogant empfindet. Beckett dreht in Irland den jüngsten Teil eines Fantasy-Franchises – und wohnt zufällig im selben B&B wie Rose.

Manchmal frage ich mich, was Jane Austen wohl dazu sagen würde, dass ihre Romane, allen voran Stolz und Vorurteil, zur Blaupause mediokrer Romanzen geworden sind. Eine der vielen Aufgaben, die Finley zu bewältigen hat, ist die Betreuung einer mürrischen Altenheimbewohnerin: Cathleen Sweeney (Vanessa Redgrave) hat einst ihrer Schwester den Mann ausgespannt und wird seither im Dorf gemieden, und Finley will die beiden miteinander versöhnen. Zunächst muss sie jedoch das Vertrauen der alten Dame gewinnen, und sie entscheidet sich dafür, ihr Stolz und Vorurteil vorzulesen. So weit, so gut. Doch das Buch gefällt Finley nicht, und Cathleen will ohnehin keine Gesellschaft. Was tut also die junge Dame? Sie liest ihr Twilight vor, was viel besser ankommt. Und damit ist schon alles über das Niveau des Films gesagt.

Dass ich an diesem Punkt nicht abgeschaltet habe, ist vor allem dem recht charmanten ersten Drittel geschuldet. Sicher, nichts in dieser Geschichte ist überraschend oder auch nur ansatzweise originell, aber zumindest der Anfang funktioniert gut. Rose Reid kann als Finley überzeugen, ohne besonders herausgefordert zu werden. Sie ist genau jene freundliche, liebenswerte junge Frau, die als amerikanische Standard-Heldin zur Massenware geworden ist. Finley hat ein gutes Herz, und deshalb müssen ihr auch lauter gute Dinge widerfahren. Daraus kann sich dann nur ein Märchenplot ergeben, in dem sie ohne ersichtlichen Grund ein Upgrade zur ersten Klasse erhält oder einen Filmstar kennenlernt, der, man glaubt es kaum, einen Märchenprinzen verkörpert.

Auch Jedidiah Goodacre gibt sein Bestes, verleiht seiner Figur sogar eine gewisse Nachdenklichkeit und hadert vor allem mit seinem Status als Prince Charming in Hollywood und dem damit einhergehenden Typecasting. Für einen Star oder zumindest für den Märchenprinzen in einer RomCom fehlt ihm aber das gewisse Etwas, und auch die Chemie zwischen ihm und seiner Kollegin lässt zu wünschen übrig. Vielleicht liegt es nur daran, dass auch diese Figur viel zu gut für diese Welt ist. Überhaupt sind alle Menschen in dieser Welt so furchtbar nett und zuvorkommend, so hilfsbereit und selbstlos, dass selbst die Schurken noch sympathisch sind. Oder in Irland ist einfach alles besser.

Tatsächlich ist diese Haltung wohl eher dem christlichen Fundament der Romanvorlage geschuldet, was auf den ersten Blick gar nicht auffällt. Rose sucht zwar nach einem keltischen Kreuz, das ihr Bruder bei seinem Aufenthalt gezeichnet hat und das am Ende eine moralische und christliche Botschaft für sie bereithält, aber das Ganze wird sehr beiläufig und unaufdringlich erzählt. Dennoch ist das Ganze eine sehr erbauliche Geschichte über Menschen, die Gutes tun und denen daher Gutes widerfährt. Ein Coming-of-Age-Movie und eine RomCom, in der die Liebe nicht alle Probleme löst, sondern die beiden Menschen, die sich verlieben, dazu anspornt, bessere Versionen ihrer selbst zu werden.

Dabei lässt Autor und Regisseur Brian Baugh kein Irlandklischee aus: Finley kann erst dann die Aufnahme an der Musikhochschule bestehen, nachdem sie Nachhilfe bei einem typisch irischen Fiedler und Teilzeit-Alkoholiker (Patrick Bergin) genommen hat. Auch sonst gibt es jede Menge Witze über das unberechenbare Wetter, und die berühmten Klippen von Moher werden gleich mehrfach besucht.

Nach einem sehr charmanten ersten Drittel geht der Geschichte leider die Puste aus. Der Rest des Films plätschert auf angenehme, aber unaufgeregte und vor allem sehr vorhersehbare Weise vor sich hin. Lediglich Vanessa Redgrave kann in ihren wenigen Szenen berühren, und sie allein verleiht dem Film einen Hauch von Klasse.

Note: 4+

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Pi Jays Corner und verschlagwortet mit von Pi Jay. Permanenter Link zum Eintrag.

Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.