Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford

Diese Woche geht es um Western. Heute um ein Bio-Pic, morgen um einen stylischen Neo-Western, und am Freitag um einen Klassiker. Obwohl ich als Kind natürlich auch Cowboy-und-Indianer gespielt habe, bin ich mit dem Genre lange Zeit nicht warm geworden. Die Geschichten waren mir immer zu schwarz-weiß, zu fern von meiner Lebenswirklichkeit, aber seit ich selbst im amerikanischen Südwesten und vor allem im John Ford-Country unterwegs gewesen bin, kann ich ihnen mehr abgewinnen.

Wenn ich mich richtig erinnere, wurde Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford relativ kontrovers aufgenommen. Die einen hielten ihn für ein Meisterwerk des Kunstwestern, die anderen bemängelten, dass er zu sehr Kunst und zu wenig Western sei, insgesamt zu lang und zu langweilig.

Sechzehn Jahre sind inzwischen vergangen, und als ich vor einiger Zeit über den Titel auf der Liste jener Filme gestoßen bin, die demnächst bei Prime Video verschwinden, dachte ich mir, ich geben ihm mal eine Chance.

Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford

Im Herbst 1881 sind nur noch wenige Mitglieder der berüchtigten James-Younger-Bande in Freiheit und am Leben: Neben Jesse (Brad Pitt) und seinem Bruder Frank (Sam Shepard) ihr Cousin Wood Hite (Jeremy Renner) sowie Dick Liddil (Paul Schneider) und Ed Miller (Garret Dillahunt). Deshalb heuern sie für einen Eisenbahnüberfall die Brüder Charley (Sam Rockwell) und Robert Ford (Casey Affleck) an. Der Jüngere, von allen Bob genannt, ist ein großer Fan des berühmten Gangsters und hat alle Groschenromane über seine Taten verschlungen. Eines Tages, so sein innigster Wunsch, möchte er ebenso berühmt sein wie Jesse James. Doch dieser ist misstrauisch und distanziert und macht sich immer wieder über seinen Fan lustig.

Heutzutage scheint ein Großteil der jüngeren Generation unbedingt berühmt werden zu wollen. In den Zeiten der sozialen Medien ist dies sogar dann möglich, wenn man praktisch über keinerlei Talent verfügt, aber dafür über einiges Geschick darin, sich selbst zu vermarkten. Im 19. Jahrhundert war dies nicht ganz so einfach. Damals wusste man, dass es nur zwei Wege gibt, um berühmt zu werden: Entweder leistet man etwas Herausragendes oder man tötet den berühmtesten Menschen seiner Zeit.

Der Film von Andrew Dominik, der den Roman von Ron Hansen für die Leinwand adaptiert, erzählt von der Beziehung zwischen Jesse und Bob, die nur wenige Monate dauerte und tragisch endete. Er beginnt, nicht unspannend, mit einem Eisenbahnüberfall, nach dem Frank sich zur Ruhe setzt, während Jesse überlegt, mit den verbliebenen Mitgliedern der Bande weitere Überfälle zu begehen, zu denen es aber nie kommt.

Dominik hat keinen klassischen Western im Sinn, sondern vielmehr eine Charakterstudie oder auch einen Abgesang auf eine Legende. Jesse James war zwar ein Räuber, wurde aber von einigen Medien zu einer Symbolfigur hochstilisiert, zu einem Rächer der verlorenen Sache. Damit ist die Sache der Konföderierten gemeint, für die James im Bürgerkrieg als Guerillero kämpfte. Die dort erlernten Strategien setzte er später bei seinen Raubzügen ein, und viele seiner ehemaligen Kameraden wurden zu seinen neuen Komplizen. Berühmt wurde er, als er einen Kassierer erschoss, in dem er den Mörder seines früheren Kommandanten zu erkennen glaubte, und auch später wählte er bei seinen Raubzügen häufig Banken aus, die im Besitz der verhassten Nordstaatler waren oder Bezüge zu ehemaligen Unionsführern hatten. Dass er bei den Zugüberfällen keine Passagiere ausraubte, reichte zudem, um ihm ein Robin-Hood-Image anzudichten.

Nur wenig von dem erfährt man aus dem Film, und die Informationen, die vermittelt werden, ergeben sich weniger aus den Handlungen oder Dialogen, sondern aus den Ausführungen eines Erzählers, der das Geschehen kommentiert, was manchmal wie der Audiokommentar für Blinde klingt, manchmal wie die Tonspur aus einem Dokumentarfilm. Dennoch gelingt es Dominik, dem Zuschauer seine beiden Hauptfiguren nahezubringen: Jesse ist mit Mitte Dreißig bereits ein älterer Mann, ein Familienvater, der unter falschem Namen ein bürgerliches Leben führt. Er ist aber auch paranoid, zunehmend depressiv und mit einem scharfen Verstand ausgestattet, durch den es ihm gelingt, nicht nur seine Mitmenschen zu durchschauen, sondern ihnen oft auch einen Schritt voraus zu sein. Bob dagegen ist ein Grünschnabel, der von einem brennenden Ehrgeiz getrieben wird, etwas zu leisten, der aber auch großmäulig und schwerfällig wirkt. Casey Affleck spielt ihn mit geradezu unheimlicher Intensität.

Doch beide Figuren sind leider auch wenig sympathisch. Überhaupt sucht man in diesem Film vergeblich nach einer Gestalt, mit der man sich identifizieren, mit der man mitgehen möchte. Es ist ein kalter, distanzierter Blick auf einen Männertypus, der bereits damals seinen eigenen Ansprüchen nicht mehr genügen konnte, der zermürbt von einem gewaltgeprägten Alltag und psychisch äußerst labil war. Von dem glorifizierten, romantisierten Blick früherer Filme auf edle Gangster, die sich wenigstens einen Teil ihrer Menschlichkeit bewahrt haben, ist diese Geschichte weit entfernt. Die Männer belauern sich argwöhnisch und verraten und töten sich bei jeder Gelegenheit. Und Frauen sind hier nur Stichwortgeberinnen.

Grundsätzlich ist ein solches Psychogramm zweier unterschiedlicher, durch das Schicksal miteinander verbundener Männer nicht uninteressant, nur verliert Dominik beide immer wieder aus den Augen. Außerdem passiert praktisch nichts. Nach dem recht kurzen Raubüberfall am Anfang vergeht nahezu eine Stunde, bis es zu einem Schusswechsel kommt, wegen eines Betrugs, der nur angedeutet wurde und keine Rolle für die eigentliche Geschichte spielt. Und danach dauert es wieder sehr, sehr lange, bis die Story auf ihr Finale zusteuert, nach dem es überraschenderweise noch eine Weile weitergeht – mit dem vielleicht besten Teil des Films.

Man muss die elegische Atmosphäre loben, die das Ganze trägt, unterstützt von Roger Deakins großartiger Kamera und der dazu passenden Musik von Nick Cave und Warren Ellis, und Fans von Dead Man oder Slow West werden hier sicherlich auf ihre Kosten kommen. In aller Ehrlichkeit sollte man aber auch sagen, dass sich der Film mit 160 Minuten unnötig in die Länge zieht und dafür einfach zu wenig zu erzählen hat.

Note: 3-

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.