Civil War

Man muss kein fanatischer News-Junkie sein, um zu wissen, dass die USA ein zutiefst gespaltenes Land sind. Auf der einen Seite stehen die Progressiven, die Inklusion, stärkere Minderheitenrechte, eine einfachere Einwanderung, einen resoluteren Kampf gegen den Klimawandel und höhere Sozialleistungen fordern, auf der anderen die Trumpisten, die all das ablehnen und die Grenzen weitgehend schließen wollen. Beide Lager stehen sich unversöhnlich gegenüber.

Fachleute sprechen bereits von einem kalten Bürgerkrieg, der sich mitunter als Culture War generiert. Themen, die hier kontrovers diskutiert werden, betreffen persönliche Freiheiten, Abtreibung und die Bildungspolitik. Niemand geht allerdings davon aus, dass sich daraus ein zweiter Bürgerkrieg entwickelt, weil die Trennlinien zwischen den Fraktionen weniger zwischen einzelnen Bundesstaaten verlaufen, sondern vielmehr zwischen urbanen und ländlichen Gebieten.

Dennoch ist ein Was-wäre-wenn-Szenario immer ein reizvoller Ausgangspunkt für eine Geschichte, und je näher es an der aktuellen Problematik dran ist, desto faszinierender ist es. Leider verriet schon der Trailer zum Film, dass Civil War eine Story erzählt, die praktisch nichts mit den realen Gegebenheiten zu tun hat. Das war enttäuschend, aber ich wollte dem Film dennoch eine Chance geben.

Civil War

Der amerikanische Präsident (Nick Offerman) steckt in einer widerrechtlichen dritten Amtszeit, die zu einer neuen Sezession geführt hat. Kalifornien und Texas kämpfen als Western Forces gegen die präsidialen Streitkräfte, und in Florida scheint es eine weitere Fraktion zu geben. Inzwischen haben sie Washington D.C. umzingelt und stehen kurz vor einer Erstürmung. Die bekannte Kriegsfotografin Lee (Kirsten Dunst) und ihr Reporter-Kollege Joel (Wagner Moura) planen, den Präsidenten zu interviewen, auch wenn dieser Journalisten angeblich hinrichten lässt. Auf dem Weg nach Washington schließt sich ihnen Sammy (Stephen McKinley Henderson) an, ein altgedienter Reporter der New York Times, sowie die Newcomerin Jessie (Cailee Spaeny).

Die ersten Momente des Films sind mit Spannung aufgeladen und erzählen von einem Konflikt in Brooklyn, wo es zu Auseinandersetzungen zwischen Polizisten und Demonstranten und einem Selbstmordattentat kommt. Die Inszenierung von Alex Garland, der auch das Drehbuch geschrieben hat, ist ungeheuer intensiv und packend, nur leider versteht man nicht, wer warum gegen wen protestiert. Irgendwie geht es um Versorgungsengpässe und ähnliche Probleme, aber inwieweit diese mit dem Bürgerkrieg zusammenhängen, wird nicht klar. Dafür sieht man Lee bei der Arbeit, wo sie die unerfahrene Jessie kennenlernt und sie unter ihre Fittiche nimmt.

Später treffen sich die beiden in einem Hotel wieder, wo sich viele Reporter aufhalten, um ihre nächsten Schritte und die aktuelle Lage zu diskutieren. Dies wäre der perfekte Moment, um den ahnungslosen Zuschauer über die Hintergründe aufzuklären, aber Garland beschränkt sich darauf, nur die notwendigsten Informationen preiszugeben. Spätestens jetzt sollte klar sein, dass der titelgebende Bürgerkrieg nur die Tapete ist, vor der das Schauspiel aufgeführt wird, mit der Handlung aber nur wenig zu tun hat.

Wäre dies die Geschichte von vier Kriegsberichterstattern in einem weit entfernten Land, in dem Putschisten versuchen, die Regierung zu stürzen, wäre das auch nicht ideal, aber nicht allzu tragisch, doch wenn man ein hochspekulatives und kontroverses Szenario wählt, muss man auch Farbe bekennen. Es ist verständlich, dass weder Garland noch die Produzenten dies wollen, weil schließlich sowohl linke als auch rechte Wähler Kinokarten kaufen, aber selbst ihnen sollte klar sein, dass sie damit unweigerlich von beiden Seiten kritisiert werden. Zumal die Rhetorik des dargestellten Präsidenten jener von Donald Trump ähnelt. Und sie sollten ihrer Story zumindest ein Mindestmaß an Plausibilität verleihen. Dies ist leider nicht der Fall. Die Vorstellung, dass Kalifornien und Texas gemeinsam an einem Strang ziehen, ist so lächerlich, dass sie einer genaueren Erklärung unbedingt bedurft hätte. Aber man wollte es sich wohl einfach und jedem recht machen.

So hat man als Zuschauer bereits nach wenigen Minuten das Gefühl, es mit einer reinen Mogelpackung zu tun zu haben. Der Bürgerkrieg, auf den man neugierig gemacht wurde und der als Anreiz dient, um Karten zu verkaufen, spielt im Grunde überhaupt keine Rollen. Viel schlimmer ist jedoch, dass auch die Protagonisten keinerlei Bezug zu ihm zu haben scheinen. Irgendwann sagt Lee sinngemäß, dass sie nur ihren Job machen und zeigen will, was passiert, damit andere die Fragen dazu stellen können. Das ist vom journalistischen Standpunkt aus legitim, aber als Zuschauer bekommt man nicht allein die Arbeit der Fotoreporterin zu sehen, sondern begleitet vielmehr den Menschen Lee in ihrem Job, und ihre Weigerung, sich in die Karten sehen zu lassen, wird zunehmend zu einem Ärgernis.

Natürlich wollte Garland jede Positionierung vermeiden, hätte er doch auf diese Weise quasi durch die Hintertür die Umstände dieses ominösen Bürgerkriegs erklären müssen. Das Resultat sind aber vier Reporter ohne Meinung in einem Konflikt, bei dem man nicht weiß, wer gegen wen und warum kämpft. Dies hat wiederum zur Folge, dass einen nach der starken Eröffnungssequenz sämtliche Ereignisse schnell kalt lassen, weil vor allem von der physischen Reise dieser Figuren erzählt wird, auf der es hier und da zwar zu einem Gefahrenmoment kommt, der auch recht spannend inszeniert wird, die aber über weite Strecken einfach nur langweilig ist, weil die psychischen Auswirkungen dieses Krieges auf die Figuren nicht erzählt wird. Dabei fallen andere misslungene Einfälle und Anachronismen wie die Tatsache, dass es sich hier um Fotojournalisten und keine TV-Crew handelt, die dem Geschehen eine ganz andere Qualität verliehen hätte, oder dass ausgerechnet die blutjunge Jessie analog (!) fotografiert, kaum ins Gewicht.

Dass der Film misslungen ist, liegt in erster Linie an den Figuren, die so neutral agieren, dass man ihnen emotional nicht nahekommt. Unwillkürlich stellt sich die Frage, was Garland eigentlich erzählen will. Es geht nicht um den Bürgerkrieg, so viel ist klar, und nicht darum, was ein solcher Konflikt mit einem Land und seinen Bewohnern macht, dazu ist der Blickwinkel viel zu eingeschränkt. Also geht es um die Journalisten, um die Frage, was der Anblick von Blut und roher Gewalt mit einer menschlichen Seele machen, ob man mit der Zeit nicht abstumpft, wenn man eine Gräueltat nach der anderen dokumentiert. Es geht um journalistische Integrität, um unbedingte Unparteilichkeit und die Schwierigkeit, diese Neutralität zu wahren. Es geht auch darum, was manche Menschen aus Ehrgeiz riskieren, um das perfekte Foto, das exklusive Interview zu bekommen.

Das alles sind interessante Aspekte, die ansatzweise durchaus beleuchtet werden. Immer wieder sieht man, wie Lee und Jessie ihre Kamera draufhalten, wenn Soldatinnen und Soldaten einander erschießen, wenn selbsternannte Milizionäre vermeintliche Plünderer foltern und hinrichten. Mit Jessie gibt es die Newcomerin, die zunächst so geschockt von den Bildern ist, dass sie zu fotografieren vergisst. Lee dagegen ist das andere Extrem, so abgebrüht, dass nichts sie mehr zu erreichen vermag, die seelenruhig einen Mann knipst, der bei lebendigem Leib verbrannt wird, und die nur hin und wieder in ruhigen Momenten von den Schreckensbildern heimgesucht wird. Beide Schauspielerinnen agieren hervorragend. Nur kann all das nicht davon ablenken, dass niemand über den Elefanten im Raum spricht.

So solide diese Geschichte auch erzählt wird, etwas zu langatmig und tempoarm bisweilen, aber nie uninteressant, kann sie nicht von ihrem größten Defizit ablenken: Dies sind amerikanische Journalisten in einem amerikanischen Bürgerkrieg. Die Frage, was das Erlebte mit ihnen macht, ist so unmittelbar, dass man sie nicht leugnen kann, ohne der Geschichte insgesamt etwas Fadenscheiniges und zutiefst Unwahres zu verleihen. Indem Garland es dennoch versucht, macht er seine Figuren unglaubwürdig und zerstört jegliche emotionale Bindung an sie.

Immerhin, der Film besitzt eine einzige wirklich starke, gelungene Szene, in der die Journalisten unmittelbar in Gefahr geraten und gezwungen werden, Farbe zu bekennen, was sie sichtlich überfordert. Schade ist nur, dass diese viel zu spät kommt und wie ein Fremdkörper wirkt. Hier sieht man, was aus dem Film hätte werden können, hätten die Macher nur einen Funken Mut besessen.

Der letzte Akt, der große Kampf um Washington, setzt dann dem gut gemachten schlechten Film endgültig die Krone auf. Hier gibt es dann die Bilder, die die Sensationslust bedienen sollen (endlich „richtiger“ Bürgerkrieg!), die aber nur ein belangloses Flackern im Nachrichtenbrei sind. Die Figuren zeigen plötzlich ein irrationales und geradezu verachtenswertes Verhalten, das allem widerspricht, was man zuvor gesehen hat, ohne dass diese abrupte Wandlung nachvollziehbar wäre. Die Inszenierung ist schlampig, versucht sich an einer tragischen Wendung, an der sie kläglich scheitert, und macht sich zuletzt komplett lächerlich. Ein Trauerspiel. Und eine weitere Enttäuschung von Alex Garland.

Note: 5+

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Pi Jays Corner und verschlagwortet mit von Pi Jay. Permanenter Link zum Eintrag.

Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.