Damsel

Märchen haben eine pädagogische Wirkung und sollen den Menschen etwas über sie selbst und ihre Rolle in der Gesellschaft erzählen, und aus heutiger Sicht kommen die Frauen dabei nicht allzu gut weg. Eine Prinzessin in Nöten wird nicht aktiv, sondern wartet geduldig auf den Prinzen, der sie aus ihrer misslichen Lage befreit. Klar, dass Feministinnen das sauer aufgestoßen hat, und so gibt es seit vielen Jahren selbstbestimmte, aktive und unerschrockene Prinzessinnen, die das Heft des Handelns selbst in die Hand nehmen.

Was ist also neu an einem Film wie Damsel? Das zumindest habe ich mich nach dem ersten, ziemlich schwachen Trailer gefragt, und auch wenn der Film beim Publikum gut ankommt, war ich lange unentschlossen, ob ich ihn wirklich sehen will. Aber manchmal hat man ja Lust auf einen Fantasy-Film mit Drachen, Rittern und kampfbereiten Prinzessinnen.

Damsel

Im Land ihres Vaters, Lord Bayford (Ray Winstone), herrscht große Not, da kommt das Angebot von Königin Isabelle (Robin Wright) gerade recht: Sie bietet eine Menge Gold dafür, dass Bayfords Tochter Elodie (Millie Bobby Brown) ihren Sohn Henry (Nick Robinson) heiratet. Als Elodie mit ihrer Familie im prunkvollen Schloss der Königin ankommt, ist sie zunächst skeptisch, aber der Prinz entpuppt sich als charmant und geistreich und scheint die gleichen Interessen zu haben wie sie. Nach einer Märchenhochzeit begeben sich die beiden auf einen Berg, um dort ein jahrhundertealtes Ritual zu vollziehen, doch Elodie ahnt nicht, dass sie dabei das Opfer ist: Henry wirft sie in eine tiefe Höhle, wo ein Drache haust.

Bei dieser Geschichte fühlt man sich unwillkürlich an die Minotauros-Sage erinnert, dem bekanntlich ebenfalls regelmäßig junge Menschen geopfert werden mussten, bis Theseus dem Spuk ein Ende setzte. In diesem Fall ist das Opfer jedoch ein Betrug, denn der weibliche Drache fordert die Prinzessinnen des Hauses als Tribut, was die gerissenen Herrscher durch die Heiraten (und eine Art Blutsbrüderschaftsritual) zu umgehen versuchen. Seltsam ist nur, dass in der vermutlich überschaubaren royalen Welt niemand je ob des großen Verschleißes an Bräuten Verdacht geschöpft hat. Zwar werden nur drei in jeder Generation benötigt, aber über die Jahrzehnte muss es doch mal Misstrauen gegeben haben. Aber darüber denkt anscheinend niemand nach, ebenso wenig wie über die Herkunft des Reichtums. Die Herrscher leben in einem prächtigen Schloss, das einsam auf einer hübschen Insel steht. Ringsum gibt es keine Städte, keine Dörfer, nicht einmal Felder, geschweige denn Minen oder eine Farm für Goldesel.

Auch Elodie und ihre verarmte Familie lassen sich zunächst vom Prunk und all dem Gold blenden, obwohl Lord Bayford über den Handel Bescheid weiß. Nur Elodie, das Lämmchen, ahnt nichts, spürt aber, dass etwas nicht stimmt. Schließlich sieht sie eine andere Braut, ohne zu wissen, wer sie ist, und erkennt, dass ihr Vater etwas verheimlicht. Aber Elodie ist gehorsam.

Man hätte diese charakterliche Wandlung von der braven, gehorsamen Tochter zur Kriegerin noch weiter ausbauen können, erscheint Elodie doch bereits von Anfang als engagierte und selbstbewusste junge Frau, die sich um die Dinge kümmert und nicht strickend in der Ecke sitzt und vor sich hinträumt. Aber grundsätzlich wird ihre Entwicklung solide auf den Punkt gebracht.

Leider nimmt sich der Film von Juan Carlos Fresnadillo zu viel Zeit, um die Figuren vorzustellen und die Situation im fremden Königreich zu etablieren, was man bequem mit wenigen Szenen hätte erzählen können. Insgesamt ist der Film daher zu lang, und interessant wird die Geschichte sowieso erst mit der Opferung der frischgebackenen Prinzessin und ihrem Kampf gegen den Drachen, der ebenfalls zu den Opfern in der Story gehört und dessen Geschichte mit der Zeit nacherzählt wird.

Drehbuchautor Dan Mazeau gibt sich reichlich Mühe, seinen recht dünnen Plot auszuschmücken. So tauchen in der Höhle des Drachen brennende Vogel und schimmernde Würmer auf, die noch dazu heilsame Wirkung besitzen und damit doppelt nützlich sind. Auch die Verwandlung der höfischen Tracht in Kletterwerkzeuge ist ein netter Einfall. Der Rest ist jedoch etwas schlicht, das gilt für die Mär an sich als auch für die Backstory des Drachen. Große Kunst ist das nicht.

Man weiß auch nicht so recht, was die Macher einem über das Emanzipationsdrama hinaus erzählen wollen. Millie Bobby Brown spielt dafür gekonnt einmal mehr die patente junge Frau, die entschlossen ihr Schicksal herausfordert, und auch Robin Wright wiederholt nur ihre bekanntesten Rollen, in denen sie mit grimmiger Entschlossenheit ihre Macht verteidigt.

Alles in allem ist Damsel genau das, was einem der Trailer verkauft: ein netter, gut gemachter Fantasy-Film über eine tapfere junge Frau, die um ihr Überleben kämpft. Dass der Regisseur sie am Ende aber in einem knappen Minikleid zur Schau stellt, widerspricht dem emanzipatorischen Gedanken und besitzt ein kleines Geschmäckle.

Note: 3

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.