Little Children

Ich bin ein großer Fan von Filmen, die auf eher unaufgeregte Art vom Leben und den Menschen erzählen, von ihren unglücklichen Beziehungen und ihrer Suche nach einer besseren Zukunft, die sie mitunter auf seltsame Pfade führt.

Filme wie Sodbrennen, Eat Drink Man Woman, Begegnung oder dessen Remake Der Liebe verfallen. Vor einiger Zeit bin ich zufällig beim Zappen bei Little Children hängengeblieben und musste mich zwingen auszuschalten, um den Film irgendwann einmal in voller Länge nachzuholen. Was ich nun endlich geschafft habe – immerhin ist die Produktion ja auch schon zehn Jahre alt …

Little Children

Sarah (Kate Winslet) hat einen Abschluss in englischer Literatur, fristet nun aber ein langweiliges Leben als Hausfrau und Mutter einer kleinen Tochter. In derselben typisch amerikanischen Vorstadtsiedlung lebt auch Brad (Patrick Wilson) mit seiner Frau (Jennifer Connelly) und seinem Sohn. Er ist schon zweimal durch die Anwaltsprüfung gefallen und weiß nicht so recht, ob dieser Beruf überhaupt der richtige für ihn ist, weshalb er dankbar für die Rolle des Hausmannes ist. Beide Ehen sind nicht wirklich glücklich, und eines Tages lernen sich Sarah und Brad kennen und beginnen eine Liebesaffäre. Gleichzeitig startet Brads Freund Larry (Noah Emmerich) eine Kampagne gegen den exhibitionistischen Nachbarn Ronnie (Jackie Earle Haley), den er als Kinderschänder an den Pranger stellt.

In der Schlüsselszene des Films bespricht Sarah mit dem Buchclub einer Freundin Madame Bovary und verteidigt leidenschaftlich den Versuch der Titelfigur, gegen gesellschaftliche Konventionen und Restriktionen anzukämpfen, um ihr Glück zu finden, auch wenn dieser von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist. In gewisser Weise spiegelt sich darin auch ihr eigenes Schicksal wider, auch in der amerikanischen Vorstadt gibt es Wertvorstellungen und Regeln, gegen die man nicht verstoßen darf, und wenn man einmal in Ungnade gefallen ist, trifft einen die ganze Härte der Gesellschaft. Nur ist es heutzutage eben weniger der Ehesprung oder die Scheidung, die einen zum Außenseiter macht, sondern – im Falle Ronnies – das Stigma des Sexualstraftäters.

So ist die stärkste Szene des Films jene, in der Ronnie an einem heißen Tag das Schwimmbad aufsucht, abtaucht und unter all den Kinderbeinen hinweg durchs Becken schwimmt. An und für sich ein harmloses Vergnügen, aber in den Augen seiner Umwelt ein Verbrechen. Als wäre ein Hai gesichtet worden, reißen hysterische Mütter ihre Kinder aus dem Wasser, bis Ronnie schließlich ganz allein im Becken ist – um dann von der Polizei abgeführt zu werden. Seine Geschichte ist eng mit der seines ärgsten Feindes Larry verknüpft, der mit seinen eigenen Dämonen zu kämpfen und viel größeren Schaden als Ronnie angerichtet hat, dafür aber nicht so hart bestraft wurde. Sie wird eindringlich erzählt und zu einem bewegenden, nachdenklichen Ende gebracht, hätte aber ruhig größeren Raum einnehmen können.

Dies umso mehr, da die Affäre zwischen Sarah und Brad allein den Film nicht tragen kann. Obwohl Winslet und Wilson großartig spielen, bleibt sowohl ihre Leidenschaft als auch ihr Leiden an ihren lieblosen Ehen reichlich oberflächlich. Man kommt den Figuren emotional nicht wirklich nahe, versteht zwar ihre Probleme, aber nicht ihren Phlegmatismus, ihre Resignation vor dem Alltag. Das hätte noch etwas intensiver erzählt werden können.

Das größte Problem, das ich mit dem Film hatte, war jedoch sein Off-Kommentar. Ein objektiver Erzähler, der vermutlich Passagen aus der Romanvorlage von Tom Perrotta zitiert, beschreibt unentwegt, was die Figuren in jeder Szene denken und fühlen – eine Zeitlang dachte ich sogar, ich hätte versehentlich den Audiokommentar für Blinde eingeschaltet. Off-Kommentare sind häufig – aber nicht immer – überflüssig, weil sie meist Zeichen schlechten Stils sind und nur eines verdeutlichen: den Mangel des Drehbuchsautors oder des Regisseurs, das Erzählte filmisch darzustellen. In diesem Fall sind die Kommentare nicht nur überflüssig, sondern ein gewaltiges Ärgernis. Der Kommentator quatscht den Film buchstäblich tot, erschwert es enorm, sich den Figuren emotional zu nähern und selbst ihre Stimmungen zu ergründen, und stört so permanent den Erzählfluss. Dass das Buch tatsächlich für den Oscar nominiert war, ist wirklich erstaunlich. Allein aus dem Grund war der Film letzten Endes nur halb so gut wie er hätte sein können.

Note: 3-

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Pi Jays Corner von Pi Jay. Setze ein Lesezeichen zum Permalink.

Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.