Wunder

Heute gibt es die Kritik zu einem aktuellen Film, der morgen startet und den man auf keinen Fall verpassen sollte. Ich habe Wunder bereits vergangenen August in Köln sehen dürfen und war begeistert.

Wunder

Auggie (Jacob Tremblay) wurde mit einem seltenen Gendefekt geboren, durch den sein Gesicht trotz zahlreicher Operationen entstellt aussieht. Bislang hat ihn seine Mutter (Julia Roberts) zu Hause unterrichtet, aber nun ist Auggie zehn und soll auf eine weiterführende Schule gehen. Für den sensiblen Jungen, der gerne Astronaut werden möchte und sich unter einem Helm versteckt, ist der Übergang sehr schwer, denn er wird überall angestarrt.

Es gibt Filme, bei denen weiß man schon nach wenigen Minuten, dass sie einem nicht gefallen werden, und dann gibt es Filme, die man schon nach kurzer Zeit innig liebt. Wunder ist Letzteres. Zum Glück, kann man sagen, denn der Film lässt kaum ein Klischee aus und ist so kitschig-zuckersüß, dass das Ergebnis auch ganz anders hätte aussehen können.

Zum Glück führt jedoch Stephen Chbosky Regie und arbeitete auch am Drehbuch mit, der uns vor einigen Jahren schon den wundervollen Vielleicht lieber morgen beschert hat. Zielsicher steuert er am Kitsch vorbei, hält den Ton wunderbar zwischen sanfter Ironie und Melodramatik in der Schwebe und holt das Beste aus den Darstellern heraus.

Julia Roberts ist so charmant wie in ihren besten Zeiten, obwohl sie nur wenig zu tun hat und eine untergeordnete Rolle spielt, und sogar Owen Wilson als Auggies Vater ist so liebenswert wie schon lange nicht mehr. Es hilft natürlich, dass die Familie schwer reich sein muss und alltägliche Probleme oder finanzielle Sorgen keine Rolle zu spielen scheinen. Sie leben in einem teuren Brownstone in New York, schicken Auggie auf eine Privatschule und haben genug Freizeit, um immer für ihre Kinder da zu sein. Wunder ist in gewisser Weise also ein modernes Märchen.

Dazu passt auch, dass selbst die bösen Menschen, die es natürlich auch geben muss, im Grunde ihres Herzens gar nicht so schlecht sind. Zumindest gilt das für die Kinder, die noch in der Lage sind, ihre Fehler zu erkennen, zu bereuen und sich zu bessern, während es für ihre intoleranten, gefühlskalten Eltern schon längst zu spät ist.

Schön ist auch, dass es nicht ausschließlich um Auggie geht, sondern auch um seine Schwester Via, die hervorragend von Izabela Vidovic dargestellt wird. Obwohl sie immer zurückstehen muss, haben Auggie und sie ein enges Verhältnis, doch Via ist inzwischen ein Teenager und hat ihre eigenen Sorgen, für die sie sich ein offenes Ohr wünscht. So will ihre beste Freundin Miranda (Danielle Rose Russell) plötzlich nichts mehr von ihr wissen, und Via verliebt sich Hals über Kopf in einen afroamerikanischen Mitschüler …

Auch wenn es um ernste Probleme wie Mobbing geht, wird der Film nie wirklich dramatisch, man leidet zwar mit Auggie mit, weint sehr viel, wird wütend und wartet geradezu auf die große Katastrophe, die aber weitgehend ausbleibt. Der Roman war ein großer Bestseller, und auch der Film dürfte zum Erfolg verdammt sein, denn er ist das, was man gemein inspirierend nennt, diese Art von Film, nach deren Sichtung man sein Leben ändern, ehrenamtlich in einem Behindertenheim arbeiten oder zumindest ein besserer Mensch werden möchte. Denn man weiß nun, dass wahre Freundschaft möglich ist, weil Äußerlichkeiten keine Rolle spielen, dass alle Menschen im Grunde ihres Herzens gut sind und man sich nur daran erinnern muss. Natürlich wissen wir alle, dass die Welt eine ganz andere ist, aber für die Dauer dieses Films möchte man wirklich glauben, dass alles gut wird und Wunder möglich sind.

Ja, Wunder ist ein Märchen, aber manchmal ist es genau das, was wir brauchen.

Note: 2

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.