The Greatest Showman

Meistens kommt es anders, als man denkt. Mark G. und ich hatten vergangene Woche geplant, endlich einige Filme, die schon längere Zeit im Kino laufen, nachzuholen, aber dann hat uns die Grippe einen Strich durch die Rechnung gemacht. Für einen hat es zuvor aber noch gereicht …

The Greatest Showman

P.T. Barnum (Hugh Jackman) ist der Sohn eines armen Schneiders, der sich in Charity (Michelle Williams) verliebt und mit der Tochter aus reichem Hause durchbrennt. Nach vielen Jahren in Armut, in denen er sich mit zahlreichen Jobs durchgeschlagen hat, kann Barnum ihr immer noch nicht das Leben bieten, das er ihr versprochen hat. Bis er eines Tages die Idee hat, ein Kuriositätenkabinett zu eröffnen, in dem er Kleinwüchsige und überdurchschnittlich Große und Dicke, eine Frau mit Bart, siamesische Zwillinge und andere körperlich deformierte Menschen ausstellt. Dank seiner genialen Begabung fürs Marketing funktioniert das Konzept, wird aber sowohl von den Kritikern als auch von einigen engstirnigen Zeitgenossen angefeindet. Barnum wird reich, sucht aber immer noch mit allen Mitteln nach Anerkennung und geht dabei so weit, dass er beinahe alles verliert …

Der Zirkus Barnum war über hundert Jahre weltberühmt – und schloss vergangenes Jahr seine Pforten. In gewisser Weise zelebriert Regisseur Michael Gracey dieses Musical über den Visionär, der das Traditionsunternehmen gründete, also als eine Art Schwanengesang, jedoch weniger als Elegie, sondern als opulente, farbenfrohe Show mit mitreißenden Songs und einer optimistischen, uramerikanischen Botschaft vom festen Glauben an seine Träume. Wenn man sich aber genau mit der historischen Figur Barnum beschäftigt und intensiver über die Story nachdenkt, hat der Film ein Geschmäckle.

Der fiktive Barnum hat mit seinem historischen Pendant immerhin eines gemeinsam: Beide wollen unbedingt reich werden. Dass er alles nur aus Liebe zu seiner Frau und seinen beiden Töchtern macht, ist der romantische Zuckerguss, den uns Hollywood über die schmutzigen Tatsachen kippt und zusammen mit der Botschaft präsentiert, dass es ja gar nicht aufs Geld ankommt, solange man Familie und Freunde und damit inneren Reichtum besitzt. Charity will das alles eigentlich gar nicht, weder das viele Geld noch den prächtigen Palast, in den sie einziehen. Aber wenn man schon mal da ist …

Ein Fitzelchen Kritik findet sich zumindest bei der Gründung des Unternehmens, denn Barnum bietet der Bank, von der er sich das Geld leiht, als Sicherheit eine Flotte von Schiffen an, die ihm nicht gehören und zu dem Zeitpunkt bereits auf dem Grund des Ozeans liegen. Ein handfester, dreister Betrug, mit dem er nur durchkommt, weil sein Unternehmen überaus erfolgreich ist. Dieser Erfolg begründet sich zum einen auf seinem Marketinggenie, seiner cleveren Art, für sich und seine Sache lauter zu trommeln als irgendwer sonst, und auf der Sensationsgier der Massen, die Menschen mit körperlichen Abnormitäten begaffen wollen. Und da er durch seine unschuldigen, süßen Töchter auf die Idee dazu gebracht wird, kann dieses Vorhaben doch nicht verwerflich sein …

Der historische Barnum gehörte zu den ersten, die aus dieser Sensationslust in großem Umfang Kapital schlugen, er war darüber hinaus aber auch ein waschechter Betrüger und Scharlatan, der seine Zeitgenossen nach allen Regeln der Kunst übers Ohr gehauen hat. Aber: Die Welt will betrogen werden, und solange sich die Leute dabei köstlich amüsieren, verzeihen sie ihm jede Trickserei. Außerdem darf man nicht außer Acht lassen, dass die moralischen Maßstäbe im 19. Jahrhundert ganz andere waren und sowohl Sklaverei als auch die skrupellose Ausbeutung von Schutzbefohlenen in weiten Teilen der Gesellschaft als akzeptabel galten.

Wer sich für das Leben und Wirken des historischen Barnum interessiert, findet dazu einiges im Internet, der Film geht jedenfalls nonchalant über alles hinweg, was ein zu schlechtes Licht auf den Mann werfen könnte. Weil man das heutige, aufgeklärtere Publikum aber nicht mit zu drastischen historischen Fakten irritieren möchte, wird beispielsweise verschwiegen, dass sein erstes Ausstellungsobjekt eine Sklavin war, die er gekauft hat und mit deren Obduktion er sogar noch nach ihrem Tod einen Reibach machte. Und wenn Jackman seinem Tom Thumb (Sam Humphrey) erklärt, dass die Leute ihn ja sowieso anstarren und er durch den Auftritt in seiner Show immerhin Geld verdienen würde, lässt ihn das schon fast wie ein Wohltäter aussehen.

Am Ende profitiert jedoch vor allem Barnum davon, wie man an seinem protzigen Haus unschwer erkennen kann, während seine „Mitarbeiter“ dankbar und glücklich darüber sind, dass sie endlich ein Zuhause, eine Familie und ein Auskommen haben, ein würdevolles Leben. So erzählt Hollywood uns ein wunderbares Kapitalismus-Märchen, in dem der Held nicht nur reich wird, sondern auch ein guter Mensch ist. Das ist schon reichlich verlogen und erreicht seinen Höhepunkt, wenn sogar der schärfste Kritiker Barnums am Ende sinngemäß sagt, dass sein Unternehmen eine Art Akt der Menschlichkeit sei. In diesem Moment möchte man kotzen.

Weil dieser sensationelle Erfolg allein aber noch nicht abendfüllend ist und die Produzenten vermutlich erkannt hatten, dass man Barnum in Zeiten politischer Korrektheit vielleicht etwas kritischer zeichnen sollte, erzählen die beiden Autoren Jenny Bicks und Bill Condon ihre Geschichte als die einer Verirrung: Barnum sehnt sich so sehr nach gesellschaftlicher Anerkennung, dass er in das seriöse Unterhaltungsprogramm einsteigt und die umjubelte Opernsängerin Jenny Lind (Rebecca Ferguson) promotet, deren Charme er schon bald erliegt. Außerdem distanziert er sich zunehmend von seinen missgestalteten Mitarbeitern und überträgt die Geschäfte seinem Juniorpartner Phillip Carlyle (Zac Efron). Erzählerisch begibt sich der Film damit allerdings in eine Sackgasse, denn wenn sich eine Hauptfigur, die ohnehin moralisch zweifelhaft wirkt, auch noch niederträchtig verhält, kostet das schnell die Sympathien des Publikums.

Es ist daher ein kluger Schachzug, Zac Efrons fiktive Figur weiter auszubauen und ihm weite Strecken der Geschichte zu widmen, denn sie ist in der Tat die interessantere, weil sie eine Entwicklung durchmacht, vom gelangweilte Playboy zum mutigen jungen Mann, der seine Liebe zu einer farbigen Akrobatin (Zendaya) selbstbewusst gegen seine snobistischen Eltern verteidigt. Das macht ihn wesentlich sympathischer als Barnum.

Dass The Greatest Showman als Musical dennoch funktioniert, liegt an mehreren Faktoren: Hugh Jackman ist ein großartiger Entertainer und per se so sympathisch, dass man ihm nicht wirklich böse sein kann. Denn man weiß ja, dass ein Mensch, der seine beiden Töchter so innig liebt, nicht so schlecht sein kann. Und die übrigen Zweifel tanzt der gute Mann einfach mit einem breiten Grinsen weg.

Der zweite Grund ist die perfekte Machart des Films, der so bunt und fröhlich und zuckersüß ist, dass man schon allein vom Hinsehen Diabetes bekommen könnte. Die Inszenierung ist mitreißend und temporeich, die Kostüme sind eine Augenweide, und sogar die missgestalteten Menschen, die diesen Anblick trüben könnten, sind gar nicht so schrecklich anzuschauen. Der dritte und wichtigste Grund ist die Musik. Die Songs von Benj Pasek und Justin Paul, die uns schon in La La Land bezaubert haben, tragen wesentlich dazu bei, dass man den Film sogar dann mag, wenn man mit dieser Form von Geschichtsklitterung nicht einverstanden ist, und noch Tage später die Songs mitsummt.

Der echte P.T. Barnum wäre von dem Film vermutlich begeistert, ist er doch genau die perfekte Unterhaltung, die er immer verkauft hat, eine dreiste Übertreibung und bei genauerem Hinsehen ein Betrug, aber – lassen wir uns nicht alle gerne betrügen? Am Ende hat mich die Inszenierung dieses Musicals dann doch gepackt, gegen meinen Willen und wider besseres Wissens, auch wenn es schon reichlich seltsam anmutet, dass die Botschaft von Diversität und Solidarität mit den Ausgestoßenen der Gesellschaft, die uns so penetrant um die Ohren gehauen bzw. in sie gesungen wird, absolut nichts mit der Geschichte dieser beiden weißen, privilegierten Männer zu tun hat.

Wer sich nach diesen Worten über meine wohlwollende Notengebung wundert: Ich musste einen Ausgleich finden zwischen dem einerseits gut gemachten Musical und der reichlich verlogenen Geschichte andererseits, über die ich mich immer wieder geärgert habe. Während des Films kam ich mir bisweilen vor wie das Publikum in Frühling für Hitler, jenem Musical aus The Producers, das allen Geschmacklosigkeiten zum Trotz ungeheuer mitreißend ist …

Note: 3-

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Pi Jays Corner und verschlagwortet mit , , von Pi Jay. Permanenter Link zum Eintrag.

Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.