Das schönste Mädchen der Welt

Erwachsen zu werden war schon immer schwer. Gemeine Mitschüler, hinterhältige Lehrer, verständnislose Eltern – als Teenager ist man von seinen Gegnern gerade umzingelt und hat zudem noch mit einem Gehirn zu kämpfen, das sämtliche Neuronen neu vernetzt, und einem Körper, der ein Hormondauerfeuer aussendet. Das Ganze nennt sich Pubertät und ist für alle Beteiligten eine Qual.

Für alle Außenstehenden ist es hingegen interessant, dieses Drama bei seiner Entfaltung zu beobachten, was zur Entstehung eines ganzen Genres geführt hat. Kürzlich ist auch bei uns eine solche coming-of-age-Geschichte gestartet, die zudem auf einem bekannten Theaterstück basiert …

Das schönste Mädchen der Welt

Cyril (Aaron Hilmer) ist ein außergewöhnlich guter Rapper, versteckt sein Gesicht aber hinter einer goldenen Maske, weil er sich für seine übergroße Nase schämt. Als er auf Klassenfahrt geht, lernt er Roxy (Luna Wedler) kennen, die neu in der Klasse ist und bildhübsch. Er verliebt sich in sie, die beiden verstehen sich auch unheimlich gut, aber Roxy steht eher auf den hübschen, dümmlichen Rick (Damian Hardung). Als sie Rick zufällig mit Cyrils Maske sieht und kurz darauf einen Rap Battle verfolgt, in dem Cyril einen coolen Auftritt hinlegt, ist sie überzeugt, dass Rick unter der Maske steckt. Gleichzeitig will der Aufreißer Benno (Jonas Ems) Roxy verführen, weil er mit seinen Freunden eine Wette laufen hat. Cyril ist besorgt, dass er damit Erfolg haben könnte, und beschließt daher, Rick zu helfen, Roxys Herz zu erobern …

Das Drehbuch von Lars Kraume, Regisseur Aron Lehmann und Judy Horney basiert weitgehend auf dem Theaterstück von Edmond Rostand, das Ende des 19. Jahrhunderts entstanden ist und unzählige Male adaptiert wurde, vor allem als Musical oder Oper. Es hat aber auch einige Verfilmungen gegeben, von denen die bekanntesten Roxanne mit Steve Martin und Cyrano de Bergerac mit Gérard Depardieu in den Hauptrollen sind. Die eine hat dem tragischen Stoff immerhin ein Happy End verpasst.

Das Motiv des heimlichen Nachrichtenschreibers, der einem Freund die Liebesbotschaften souffliert, die sich an die von ihm selbst Angebetete richten, kam vermutlich noch häufiger vor. Neu ist immerhin, dass ein Teil des Films in der Rap Battle-Szene spielt, und diese Ausflüge ins Sub-Milieu sind außerordentlich gut gelungen. Der Rest hingegen weniger.

Immerhin kann diese Adaption mit zwei charismatischen Hauptdarstellern punkten, die ihre Rollen perfekt verkörpern. Vor allem Luna Wedler überzeugt auf erfrischende Art als selbstbewusste und patente junge Frau. Während fast alle anderen Figuren um sie herum als Stereotypen dargestellt werden, die teilweise den Fack Ju Göhte-Filmen entsprungen sein könnten, erscheinen Roxy und Cyril als Menschen mit Fehlern und Schwächen, die man schon nach kurzer Zeit ins Herz schließt – und denen man auch ein Happy End gönnt.

Leider müssen sie sich und der Zuschauer mit ihnen zuvor durch einen unausgegorenen und schlecht zusammengezimmerten Mittelteil quälen, in dem nichts so richtig zusammenpassen will. Dass Cyril sich auf der Stelle in Roxy verliebt, kann man gut nachvollziehen, warum er aber Rick helfen will, der sich so stoffelig anstellt und keinerlei erkennbares Interesse an Roxy zeigt, bleibt bis zum Schluss ein Rätsel. Cyrils Motiv ist, Roxy vor Benno retten zu wollen, was angesichts dieser starken, selbstbewussten Frau fast schon eine sexistische Beleidigung darstellt.

Dank Heike Makatsch als genervte Lehrerin gibt es immerhin hin und wieder etwas zum Schmunzeln. Der Rest ist bisweilen peinliches Pubertätsgehabe. Etwas mehr Ernsthaftigkeit und psychologische Finesse in der Darstellung der Figuren hätten dem Film sicherlich gut getan.

Ein paar Überraschungen wären auch nicht schlecht gewesen, irgendetwas, das auch nur einen Hauch von Raffinesse gehabt hätte, denn so weiß man bereits nach zehn Minuten, wie der Film ablaufen wird. Dass das letzte Drittel dann trotzdem zu einem kleinen Highlight wird, ist einzig und allein den beiden Hauptdarstellern zu verdanken und zwei sehr gut gemachten Rap-Einlagen. Wer hätte das gedacht?

Schwache Figuren, abgestandener Witz, aber ein klasse Liebespaar und guter deutscher Rap machen Das schönste Mädchen der Welt nicht zum besten, aber zum vielleicht ungewöhnlichsten deutschen Film des Jahres.

Note: 3

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.