Da haben wir den Salat…

Eigentlich müssten wir uns über das vergangene Kinojahr 2019 freuen… Aller Wahrscheinlichkeit nach werden wir fünf Filme über der 5 Mio. Besucher-Marke und sechs Filme über der 4 Mio.-Marke haben – 2018 und 2016 hatten wir keinen einzigen Film über 4 Millionen Besucher!

Und dennoch wird die FFA wahrscheinlich nächsten Monat wieder Gesamtbesucherzahlen präsentieren, die an der 120 Mio. Besucher-Marke anzusiedeln sind und damit dem Niveau der Katastrophenjahre 2017, 2016 und 2014 entsprechen. (Nicht vergessen: Das waren in den Augen der Branche Katastrophenjahre, auch wenn man heute ein bisschen nostalgisch auf diese Zahlen zurückblickt, da 2018 mit seinen lausigen 105,4 Mio. gezeigt hat, dass es noch schlimmer geht).

Wie kann es also sein, dass wir trotz der starken Blockbuster wieder nur auf Katastrophen-Niveau sind? Wie kann es sein, dass in Frankreich 2019 das zweitbeste Kinojahr seit 1966 wurde und in Deutschland eines der schlechtesten Kinojahre seit der Wiedervereinigung zu erwarten ist?

Nun, es ist genau das eingetreten, wovor ich schon seit Jahren warne: Die Hochpreispolitik vieler Kinos (und Verleiher) führt dazu, dass das Publikum nur noch bei Eventfilmen bereit ist, solche Preise zu zahlen, alle „anderen“ Filme werden zu „da warte ich auf Netflix-Filme“ degradiert.

In keinem Segment kann man das besser ausmachen als bei der sogenannten gehobenen Mittelware. Filme also, die keine Blockbuster sind, aber zwischen 1 Mio. und 3 Mio. Besucher haben. In den 00er Jahren gab es durchschnittlich 30 Stück davon, in den 10er Jahren nur noch im Schnitt 25 pro Jahr und 2019 den absoluten Tiefstand in diesem Jahrtausend mit nur noch 17. Man muss kein Mathematik-Genie sein, um sich ausrechnen zu können, wie viele Millionen Besucher dieser Schwund ausmacht…

Auch in meinem letzten Bericht zur Lage der Kino-Nation wies ich schon darauf hin, dass die teuren Ticketpreise auch die Blockbuster schwächen, da es wesentlich weniger Besucher gibt, die sich ihren Lieblingsfilm mehrmals im Kino ansehen. Und auch hier ist die Tendenz eindeutig: Gab es in den 00er Jahren noch durchschnittlich 9,4 Blockbuster pro Jahr, waren es ein Jahrzehnt später nur noch 6,3 (2019 liegt da mit 6 Blockbustern gerade noch im Schnitt).

Es hat Tradition, dass ich mit meinem inzwischen 83jährigen Vater am Vatertag ins Kino gehe. Und obwohl ich in der Theorie über die Zustände in unserer Branche Bescheid weiß, war ich dennoch geschockt, als ich für sein Aladdin-Ticket mehr als €16 bezahlen musste (und das war kein DeLuxe-Sitz!). Wenn sogar ich in Schockstarre verfalle, dann kann doch der normale Kinogänger nur noch mit der Reduktion seiner Kinobesuche antworten…

Seit Jahren schlage ich eine einfache Lösung vor, die Mittelware und die Blockbuster wieder zu stärken: Die Wiedereinführung eines landesweiten Kinotages, der den Namen auch verdient (also mindestens 50 % Ermäßigung). Es mag zwar Millionen Besucher geben, die (widerwillig) bereit sind, €16 für den neuen Star Wars oder James Bond-Film auszugeben, aber für die allermeisten anderen Filme trifft das nicht zu. Wenn die Kinogänger aber wissen, dass es einen Tag in der Woche gibt, an dem sie für €8 ins Kino gehen können, dann erweitert sich der Kreis der potenziellen Filme erheblich. (Und wenn der neue Star Wars– oder James Bond-Film gefällt, dann kann man zu diesem Preis auch noch ein zweites oder drittes Mal ins Kino, anstatt auf die DVD oder den Streaming Release zu warten).

Ich denke, ich muss noch einmal daran erinnern, dass in den USA der Dienstag mit seinen stark reduzierten Preisen den Kinos 80 % mehr Umsatz bringt, als der Montag, Mittwoch oder Donnerstag (UMSATZ, es gibt also einen noch wesentlich höheren Zuwachs an BESUCHERN!).

Weiter oben erwähnte ich, dass die Hochpreispolitik nicht allein den Kinobetreibern zuzuschreiben ist. Viele Verleiher entscheiden bei ihrer 3D Release-Strategie am Markt vorbei. Zehn Jahre nach Avatar hat sich gezeigt, dass die meisten Besucher bei den allermeisten Filmen inzwischen die günstigere 2D-Version vorziehen, wenn 3D und 2D zu gleichen Anfangszeiten angeboten werden. Aber genau diese freie Wahl verhindern viele Verleiher und fesseln die Kinos und deren Besucher an wesentlich höhere Eintrittspreise.

14 Monate nach meiner vieldiskutierten Rede ist ein bisschen Bewegung zu vermelden:

Eintrittspreise: Ich habe den Eindruck, dass noch mehr Kinos Experimente wagen. Aber wie oben beschrieben, bevorzuge ich einen einheitlichen landesweiten Kinotag, anstatt eines Eintrittspreis-Dschungels. Nur ein von allen in der Branche getragener Kinotag wird dafür sorgen, dass der Kinobesuch nicht mehr als „teures Vergnügen“ empfunden wird, sondern als eine der günstigsten Möglichkeiten der Freizeitgestaltung.

Kinofest: Im August 2020 ist es endlich soweit, jahrelange Forderungen meinerseits wurden endlich erhört.

Filmschwemme: Nach wie vor finden viel zu viele Filme den Weg ins Kino, die es eigentlich nicht verdient hätten.

– Deutscher Film: Nach wie vor werden viel zu viele Kinderfilme und viel zu wenige Komödien produziert. Ein Erfolg wie Das perfekte Geheimnis zeigt doch einmal mehr, wie gefragt Komödien sind. Dennoch hat man das Gefühl, dass auf jede deutsche Komödie ein Dutzend Familienfilme kommen…

Mal sehen, was die nächsten Monate (und Jahre) noch bringen werden. Ich freue mich auf jeden Fall auf ein spannendes Kinojahr 2020!