Suburra

Bei Mafiosi im Film denken die meisten vermutlich immer noch an Der Pate und seine Figuren: skrupellose und gewalttätige Männer, die sich aber innerhalb der von ihnen geschaffenen Ordnung streng an die Regeln halten und nach einem Ehrenkodex leben.

Dieser Prototyp entstand bereits in den frühen Dreißigern des letzten Jahrhunderts mit Filmen wie Kleiner Cäsar und Der öffentliche Feind, die sich an realen Vorbildern wie Al Capone orientierten, zugleich aber auch psychologisch stimmige Porträts ihrer Figuren ablieferten: Homosexualität, Misogynie oder Inzest werden zumindest unterschwellig thematisiert. Die Helden bzw. Antihelden sind zwar skrupellos und brutal, bieten sich aber dennoch zur Identifikation an, weil sie das Negativbild des amerikanischen Traums bedienen. Auch hier zahlen sich harte Arbeit und Ausdauer aus, um reich zu werden, nur muss man für diesen Erfolg immer auch ein hohen Preis zahlen.

Es war schließlich Howard Hawks’ Scarface, der mit seiner Brutalität und Glorifizierung des Gangstertums die Zensurbehörden so sehr beunruhigt hat, dass 1934 schließlich ein de-facto-Verbot des Gangsterfilms durchgesetzt wurde. Erst Francis Ford Coppola griff diese erzählerischen Traditionen und Stereotype 1972 in Der Pate wieder auf und schuf ein genreprägendes Meisterwerk, das unsere Vorstellungen vom organisierten Verbrechen bis heute maßgeblich prägt.

Nahezu gleichzeitig entstand 1973 aber mit Martin Scorseses Hexenkessel auch ein semi-dokumentarischer Gegenentwurf zur Mafiaromantik. Die Figuren sind häufig unsympathisch, egoistisch und scheren sich nicht um Verhaltensregeln oder gar einen Ehrenkodex. Und damit geraten sie immer wieder in Konflikt mit den Vertretern der alten Schule.

Auch im italienischen Film wurde die Mafia zunächst romantisiert bzw. als altmodische Institution im ländlich-zurückgebliebenen Sizilien belächelt und erst in den Sechzigern kritischer betrachtet. Beeinflusst wurde diese Sicht der Dinge in erster Linie von realen Vorgängen. Die Mafia hat sich selbst entzaubert, und spätestens die zahllosen Morde an Polizisten, Staatsanwälten und Journalisten sowie die blutigen internen Auseinandersetzungen haben seit dem Ende der Siebzigerjahre zu einer veränderten Wahrnehmung geführt. Sie haben aber auch das italienische Kino verändert, hin zum cinema democratico.

War Mario Puzos Roman Der Pate das große Vorbild des romantisierten Mafiafilms, ist Roberto Savianos Gomorrah sein dokumentarisches Gegenstück, das nicht nur verfilmt wurde, sondern auch weitere Werke inspiriert hat. Wie zum Beispiel …

Suburra

Der Abgeordnete Filippo Malgradi (Pierfrancesco Favino) arbeitet für den Samurai genannten Vertreter der süditalienischen Mafiafamilien und soll für ihn ein Gesetz durchbringen, welches den Bau eines Vergnügungsviertels in Ostia genehmigt. Malgradi ist ein Lebemann, der sich regelmäßig von der Prostituierten Sabrina (Giulia Gorietti) mit Drogen und Mädchen versorgen lässt. Als eines Tages bei einem Treffen eine Minderjährige an einer Überdosis stirbt, bittet Sabrina ihren Freund Spadino (Giacomo Ferrara), der einer kriminellen Roma-Familie angehört, um Hilfe.

Spadino wiederum nutzt sein Wissen, um Malgradi zu erpressen, woraufhin dieser über einen Mittelsmann Unterstützung bei Aureliano (Alessandro Borghi) sucht, dem Chef der Mafia von Ostia. Aureliano bringt Spadino um und provoziert damit dessen Bruder Manfredi (Adamo Dionisi) zu einem Bandenkrieg. Doch den kann der Samurai (Claudio Amendola) natürlich nicht gebrauchen …

Die Geschichte ist kompliziert. Die gerade geschilderte Inhaltsangabe gibt in Grundzügen nur den Kern der Story wieder, zu der noch etliche andere Figuren gehören, die allesamt ihren eigenen Handlungsstrang besitzen, der mit den anderen fest verwoben ist. Man muss von der ersten Minute an höllisch aufpassen, sich möglichst viele Namen merken (falls sie denn genannt werden) und vor allem viel Geduld aufbringen.

Gerade die erste Hälfte des Films ist ungeheuer zäh und verführt zum Abschalten. Zu viele Figuren, von denen nicht eine einzige auch nur ansatzweise sympathisch ist, eine Kamera, die zu viel Distanz zu ihnen hält, als dass man sich ihre Gesichter merken, geschweige denn eine emotionale Bindung aufbauen könnte, und ein allgemein zu langsames Tempo erschweren den Zugang enorm. Passiert hin und wieder etwas, ein Mord oder Selbstmord etwa, geschieht das aus weiter Distanz.

Erst nach über einer Stunde gewinnt die Geschichte an Fahrt, auch wenn die Spannung gering ist und es praktisch keinerlei Action gibt. Doch die politischen Intrigen, der beginnende Bandenkrieg und vor allem die persönlichen Verstrickungen der Beteiligten ziehen einen immer stärker in den Bann. Gleichzeitig läuft ein Countdown zur „Apokalypse“, womit wohl der Rücktritt Berlusconis gemeint ist, der die politische Landschaft erschüttert.

Der Film von Stefano Sollima basiert auf einem Roman von Giancarlo De Cataldo und Carlo Bonini, was seine Komplexität erklärt. Vielleicht hätte man daraus besser eine Serie gemacht, ähnlich dem Prequel, das bei Netflix erschienen ist. Die Story ist inhaltlich leider arg überfrachtet, wodurch viele Figuren auf der Strecke bleiben. Manche werden auch zu klischeehaft gezeichnet, andere dagegen zu oberflächlich, und wirklich nahe kommt man keiner einzigen von ihnen. Das ist schade, denn es hätten sich durchaus Figuren angeboten, mit denen man emotional mitgehen könnte. Etwa die Prostituierte Sabrina, die zwischen alle Fronten gerät und von ihrem besten Freund verraten wird. Aber man am Ende erfährt nicht einmal, was aus ihr geworden ist.

Allein die Tatsache, dass die Geschichte zu einem relativ spannenden und befriedigenden Ende kommt, tröstet über so manches Manko hinweg. Mit der Romantisierung der Mafia haben die heutigen, in ihrer Darstellung doch recht nüchternen Filme nichts mehr zu tun – und vielleicht sind sie gerade dadurch auch nicht mehr so erfolgreich oder gut. Aber das ist natürlich Geschmackssache.

Note: 3

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.