Charles Dickens: Der Mann, der Weihnachten erfand

Was haben die romantische Hochzeit in Weiß, die behütete Kindheit und das behagliche, mit der Familie begangene Weihnachtsfest gemeinsam? Sie sind alle im 19. Jahrhundert „erfunden“ worden. Weihnachtsbäume gab es, zumindest in Deutschland, schon Jahrhunderte früher, aber das Fest mit Baum und Bescherung kam erst vor knapp zweihundert Jahren in Mode. Und vor allem war es ein bürgerliches Fest, denn nur die begüterten Familien hatten überhaupt den Platz für einen Baum und Geld für viele Geschenke.

In England kam der Brauch, einen Weihnachtsbaum aufzustellen, erst nach der Hochzeit von Königin Viktoria auf, deren Mann Albert ihn aus Deutschland mitgebracht hat. Er verbreitete sich dank einer anrührenden, in den Zeitungen veröffentlichen Skizze der royalen, um den Baum versammelten Familie, jedoch schnell und ging mit den überlieferten Traditionen eine neue Verbindung ein. Gleichzeitig erschien Charles Dickens Ein Weihnachtslied in Prosa, das die Vorstellungen von der Bedeutung des Festes nachhaltig prägte.

Charles Dickens gehört zu meinen Lieblingsautoren, auch wenn ich bekennen muss, dass ich noch lange nicht alle seine Werke gelesen habe. Dafür habe ich zu viele Lieblingsautoren und zu wenig Zeit …

Immerhin hat mein Interesse an Dickens und seiner Weihnachtsgeschichte dafür gesorgt, dass ich mir den Film über die Entstehungsgeschichte angesehen habe, der immer wieder auf Kinowelt TV läuft (das nächste Mal am 25. Dezember zur Frühstückszeit um 8 Uhr).

Charles Dickens: Der Mann, der Weihnachten erfand

1842 ist Charles Dickens (Dan Stevens) Anfang dreißig und bereits ein berühmter Autor, der auf einer Amerikareise frenetisch gefeiert wird. Doch anderthalb Jahre, drei Bücher – und drei Flops – später ist er verzweifelt, verschuldet und leidet an einer Schreibblockade. Als er durch Zufall am späten Abend auf eine Beerdigung stößt, begegnet er dort einem kauzigen, alten Mann, der ihn zu einer seiner berühmtesten Figuren inspiriert: Ebenezer Scrooge (Christopher Plummer). Dickens setzt sich selbst ein ehrgeiziges Ziel: Innerhalb von sechs Wochen will er die komplette Geschichte schreiben, damit sie noch Weihnachten erscheinen kann. Doch er hat die Rechnung ohne seinen leichtlebigen Vater (Jonathan Pryce) gemacht, der ihn immer wieder stört, und ohne die widerspenstigen Figuren seines Werkes, die einfach nicht seinem Willen gehorchen wollen …

Wer sich schon immer gefragt hat, wie Autoren auf die Ideen für ihre Bücher kommen und diese zu Geschichten ausarbeiten, für den ist dieser Film gemacht. Basierend auf einem Buch von Les Standiford finden Drehbuchautorin Susan Coyne und Regisseur Bharat Nalluri wunderschöne Bilder und griffige Szenen für den kreativen Schaffensprozess. Vereinzelte Menschen, denen Dickens in den Londoner Straßen begegnet, Erinnerungsfragmente, kuriose Namen und Begebenheiten – all das fließt zusammen, beginnt im Kopf des Autors zu brodeln und strömt schließlich durch die Feder zu Papier. Nichts leichter als das?

Schreiben ist, anders als es in Filmen immer verkauft wird, kein durch einen Musenkuss beförderter, meistens exzessiver Prozess, an dessen Ende schon nach einer Nacht ein Meisterwerk steht. Dickens weiß das und kämpft mit seinen Ideen und vor allem mit seinen Figuren, die scheinbar lebendig werden und in immer größerer Zahl sein Büro bevölkern. Er schreit sie an, ringt mit ihnen, diskutiert und philosophiert, und am Ende haben sie doch ihren eigenen Willen. Jeder Autor weiß das, und nur die schlechten zwingen ihren Figuren ihren persönlichen Willen auf.

Mitunter erinnern Dickens’ Gespräche mit Scrooge an eine wechselseitige Therapie, denn neben dem Schreiben der Weihnachtsgeschichte muss sich der Autor auch mit seiner Vergangenheit auseinandersetzen, vor allem mit seinem Vater. Jonathan Pryce agiert mit so viel Wärme, Fürsorglichkeit, aber auch Spitzbübigkeit und nonchalanter Gleichgültigkeit gegenüber materieller Sicherheit, dass man eine Reihe Figuren aus Dickens’ Feder darin erkennen kann, allen voran Micawber aus David Copperfield. Wie es Dickens gelingt, sich mit seiner Vergangenheit auszusöhnen, seinem Vater zu vergeben und inneren Frieden zu finden, während er gleichzeitig eine Geschichte über Erlösung und innere Erneuerung schreibt, ist treffend auf den Punkt gebracht.

Mit dem Erscheinen der Weihnachtsgeschichte, die von Anfang an ein enormer Erfolg war, schnellten die Spenden an wohltätige Einrichtungen in England sprunghaft in die Höhe. Zumindest erfahren wir das am Ende der Geschichte. Damit gleich zu behaupten, Dickens hätte Weihnachten erfunden, ist vielleicht etwas vermessen, auch wenn es für einen sozial so engagierten Mann und Reformer immer ein Herzensbedürfnis war, auf die Nöte der vom Glück weniger Begünstigten aufmerksam zu machen. In seiner Geschichte hat Dickens auf jeden Fall perfekt eingefangen, worum es Weihnachten geht.

Note: 3+

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.