The Outsiders

Als man im Sommer 2020 endlich wieder ins Kino gehen konnte, waren viele Filme bereits um Monate oder sogar bis ins nächste Jahr verschoben worden und es gab nicht so viel Auswahl wie gewohnt. Da kamen verschiedene Wiederaufführungen gerade zur rechten Zeit. Wir haben uns damals Das Imperium schlägt zurück, Apocalypse Now Redux und Jurassic Park angesehen, in restaurierten Fassungen, die sie so frisch aussehen ließen wie am Tag ihrer Uraufführung.

In grauer Urzeit, als noch kein Mensch ahnen konnte, was Streaming bedeuten würde, waren solche Wiederaufführungen gang und gäbe: Alte Bond-Filme, Vom Winde verweht oder andere Klassiker liefen – vor allem in der saure Gurken-Zeit im Sommer – alle Jahre wieder. Als Kind der Videorekorder-Generation (und es ist mir durchaus bewusst, wie antik selbst ein Videorekorder heutzutage anmutet) bin ich leider nie in den Genuss gekommen, stelle es mir aber schön vor, all die Meisterwerke der Filmgeschichte auf der großen Leinwand zu sehen, für die sie auch gemacht wurden.

Jetzt gibt es eine neue Initiative, die schönsten Filme von früher zurück ins Kino zu bringen: Die Reihe Best of Cinema bietet an jedem ersten Dienstag im Monat einen Klassiker der jüngeren Filmgeschichte zum Wiederentdecken. StudioCanal und Prokino liefern im Moment exklusiv den Content, aber ich hoffe sehr, dass sich die andere Verleiher anschließen werden. Außerdem hoffe ich, dass nicht nur Filme der letzten vier Jahrzehnte gezeigt werden, sondern vielleicht auch andere große Klassiker. So würde ich gerne einmal Casablanca auf der großen Leinwand sehen …

Heute Abend läuft in der Reihe übrigens Grüne Tomaten, den ich leider aufgrund anderer Verpflichtungen nicht im Kino sehen kann, aber schon seit Jahren wiedersehen will. Den Anfang machte im November aber ein Film, von dem ich nicht mehr weiß, ob ich ihn damals als Teenager im Kino gesehen habe. Mit Sicherheit aber habe ich ihn später mehrmals auf Video angeschaut, da es einer meiner liebsten Filme der Achtziger war, und auch den Roman von S. E. Hinton habe ich gelesen. Die Rede ist natürlich von …

The Outsiders – The Complete Novel

1966 in Tulsa, Oklahoma: Ponyboy Curtis (C. Thomas Howell) wird nach dem Tod seiner Eltern von seinen beiden älteren Brüdern Sodapop (Rob Lowe) und Darrel (Patrick Swayze) aufgezogen. Wie sein bester Freund Johnny (Ralph Macchio) gehören die Brüder zu der ärmeren Bevölkerung der Stadt. Aufgrund ihrer stark pomadisierten Haare nennen sie sich Greaser, und sie stehen in einem permanenten Konflikt mit den Söhnen der wohlsituierten Stadtteile, den Socs. Bei einem Ausflug ins Autokino baggert der gerade aus der Jugendhaft entlassene Dallas (Matt Dillon) die hübsche, zu den Socs gehörende Cherry (Diane Lane) an, die ihn abblitzen lässt, sich aber gerne mit Ponyboy und Johnny unterhält. Als die beiden Jungen sich danach auf den Heimweg machen, stoßen sie unvermittelt auf eine Gruppe Socs, die sie überfallen. Es kommt zu einem Kampf und einem tödlichen Messerstich …

Schon in den Achtzigerjahren wirkte die Geschichte reichlich altbacken und ziemlich aus der Zeit gefallen. Dennoch traf sie immer noch einen Nerv, denn die Darstellung der Teenagernöte wirkt überaus authentisch. S.E. Hinton, die einige autobiografische Erlebnisse in ihrem Erstlingswerk verarbeitet hat, hat mit den Figuren unverwechselbare Charaktere erschaffen, an deren Schicksal man gerne Anteil nimmt.

Im Mittelpunkt stehen vor allem Ponyboy und Johnny, deren Leben durch den Todesfall und ein weiteres, nicht minder dramatisches Ereignis – über das ich nichts verraten möchte – völlig auf den Kopf gestellt wird. Sie müssen fliehen und verstecken sich für einige Tage in einer verlassenen Kirche, wo sie gemeinsam Vom Winde verweht lesen und wie einst Scarlett O’Hara in einen blutroten Sonnenuntergang starren. Die desolate und isolierte Situation der beiden hat einige Parallelen zu Tom Sawyer und Huckleberry Finn, während Dallas, die dritte zentrale Figur, stark an James Dean in Denn sie wissen nicht, was sie tun erinnert.

Francis Ford Coppola wurde von der Kritik damals vorgeworfen, zu sehr frühere Meisterwerke zu kopieren und vor allem seine eigene Jugend wiederaufleben zu lassen. Tatsächlich ist der Film voller nostalgischer Sehnsucht, und es mag sein, dass der Regisseur dabei auch seine eigene Jugend vor Augen hatte. Doch die Sehnsucht der drei Protagonisten ist eher die nach einem Leben, das sie nie hatten. Ponyboy vermisst seine Eltern und das Gefühl, ein behütetes Zuhause zu haben, er streitet sich häufig mit Darrel und erkennt dabei nicht, wie sehr er von seinen Brüdern geliebt wird. Johnny, die tragischste Figur der Geschichte, leidet unter der Lieblosigkeit seiner ständig miteinander kämpfenden Eltern. Dallas wiederum spielt den harten Kerl, kaschiert damit aber nur seine Unsicherheit und sein Bedürfnis nach Zugehörigkeit.

Aus heutiger Sicht würde man wohl sagen, dass es ein Film über toxische Männlichkeit ist. Die ständigen Kämpfe, das Machogehabe und die verqueren Vorstellungen davon, was ein „echter Kerl“ ist haben die männlichen Figuren geprägt. Es ist aber auch ein Film über ein zutiefst gespaltenes Amerika, das allen Beteuerungen über Gleichberechtigung und Fairness zum Trotz im Kern eine Klassengesellschaft ist. Arm gegen Reich, Rebellen gegen Establishment – so radikal wird heute nicht mehr von sozialen Gegensätzen erzählt.

Was den heutigen Zuschauer aber wohl am meisten erstaunen dürfte, ist die großartige Besetzung: Neben den bereits genannten Darstellern tauchen in diversen Nebenrollen noch u.a. Tom Cruise, Emilio Estevez und Tom Waits auf. Abgesehen von Matt Dillon, der zuvor bereits in Tex, einer weiteren Hinton-Verfilmung, brilliert hatte und danach auch noch in Rumble Fish (man ahnt es schon, ebenfalls aus der Feder von S.E. Hinton) agiert, war keiner der jugendlichen Darsteller einem breiteren Publikum bekannt …

Ob die neue, gut zwanzig Minuten längere Schnittfassung gegenüber der damaligen Kinoversion viel besser ist, kann ich leider nicht sagen. Die restaurierte Fassung sieht auf jeden Fall brillant aus und schreit geradezu nach der großen Leinwand. Vielleicht gibt es ja irgendwann noch einmal die Möglichkeit eines Einsatzes, etwa anlässlich des vierzigsten Geburtstags im nächsten Jahr …

Note: 2

Wer es heute nicht in Grüne Tomaten schafft, der nächste Film in der Reihe Best of Cinema ist übrigens Anfang Mai Die fabelhafte Welt der Amélie. Ich freue mich darauf!

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.