Bullet Train

Wenn die Figuren eines Films keine realen, sondern Tarn- oder Decknamen tragen, handelt es sich dabei meistens um einen Heist- oder Gangsterfilm. Wann dieses Merkmal zum ersten Mal in einem Film aufgetaucht ist, kann ich nicht mit Sicherheit sagen, vielleicht in Stoppt die Todesfahrt der U-Bahn 123 von 1974, bei dem Quentin Tarantino sich die farbbezogenen Decknamen aus Reservoir Dogs abgeguckt hat, vielleicht auch schon früher. Tarantino ist auch schuld daran, dass sich diese stilisierten Actionfilme, oft auch Actionkomödien, die ursprünglich eine asiatische Domäne waren, bei uns relativ großer Beliebtheit erfreuen.

Mit Bullet Train gab es vergangenes Jahr eine hochkarätig besetzte Version eines Verbrecher-Medleys, das in einem japanischen Hochgeschwindigkeitszug angesiedelt ist. Womit sich quasi der Kreis zum Walter Matthau-Klassiker lässt.

Bullet Train

Ladybug (Brad Pitt) bekommt von seiner Vermittlerin Maria (Sandra Bullock) den Auftrag, einen Koffer im japanischen Hochgeschwindigkeitszug nach Kyoto zu stehlen. Obwohl sich alles sehr einfach anhört, glaubt Ladybug daran, vom Pech verfolgt zu werden. Tatsächlich stellt sich heraus, dass sich der Koffer im Besitz zweier Auftragsmörder, Lemon (Brian Tyree Henry) und Tangerine (Aaron Taylor-Johnson) befindet, die gerade den Sohn (Logan Lerman) des japanischen Unterweltbosses White Death (Michael Shannon) aus der Gewalt von Entführern befreit haben. Hinter White Death ist aber auch eine junge Frau mit dem Decknamen Prince (Joey King) her, die als Werkzeug ihrer Rache Kimura (Andrew Koji) benutzt.

Die Geschichte basiert auf einem japanischen Bestseller namens Maria Beetle und handelt von fünf Auftragsmördern in einem Bullet Train, die erkennen, dass ihre Aufträge miteinander verbunden sind. Inwieweit Drehbuchautor Zak Olkewicz diese Story abgeändert hat, ist schwer zu sagen, doch sie wirkt insgesamt wie vom Reißbrett. Man nehme ein Verkehrsmittel, das man nicht so ohne weiteres verlassen kann, füge einige gefährliche Figuren hinzu, die schräge Decknamen und bizarre Backstorys haben, die in verschachtelten Rückblenden enthüllt werden, und verknüpfe das Ganze zu einer Geschichte, die ständig neue, überraschende Wendungen nimmt. Das Ganze erinnert dann an Snakes on a Plane, Gunpowder Milkshake oder Bad Times at the El Royale.

Regisseur David Leitch, der mit Atomic Blonde schon einmal einen stilsicheren Actionfilm gedreht hat, versteht erneut, die Szenen gut aussehen zu lassen. Obwohl weitgehend im Studio gedreht, überzeugt der Look des Films in jeder Sekunde. Auch die Rückblenden, die die Haupthandlung immer wieder unterbrechen, sind bildgewaltig in Szene gesetzt.

Die schauspielerischen Leistungen sind ebenfalls durchweg gut. Brad Pitt als Auftragsmörder mit moralischen Zweifeln ist ein richtiger Scene Stealer, der viele seiner Kollegen alt aussehen lässt, doch auch das Ensemble ist insgesamt sehenswert. Sandra Bullock ist, von einer kurzen Szene am Ende, zwar nur zu hören, hält aber im Hintergrund viele Fäden in der Hand und ist nicht umsonst die Titelfigur des Romans. Daraus hätte man sogar noch mehr machen können, und vielleicht hat die Vorlage sogar mehr daraus gemacht.

Die meisten Schwächen hat jedoch das Drehbuch, dessen Dialoge bei weitem nicht die Qualität eines Tarantino erreicht, und das seine diversen Episoden mit heißer Nadel zusammenflickt. Vor allem die Auflösung ist so lächerlich und unglaubwürdig, dass sie den gesamten Film ruinieren würde – wäre einem die Handlung zu diesem Zeitpunkt nicht schon lange egal. Irgendwann sollte man einfach aufgeben, einen logischen Zusammenhang zu suchen, denn immer wieder stößt man auf Wendungen, die keinen Sinn ergeben oder einfach überkonstruiert sind.

Das Beste, was man tun kann, ist das Gehirn auszuschalten und sich an den albernen Verwicklungen und ständigen Kapriolen zu erfreuen. Die Action ist dabei solide, aber bei weitem nicht so gut oder auch witzig, wie man es aus anderen Produktionen wie etwa Gunpowder Milkshake gewohnt ist. Schade auch, dass Andrew Koji, der in Warrior brillante Kampfsportszenen absolviert, hier kaum zeigen kann, wozu er fähig ist.

Alles in allem ein unterhaltsamer, wenn auch wenig logischer und unter seinen Möglichkeiten bleibender Film, der vor allem von seiner tollen Besetzung lebt.

Note: 3

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.