Vengeance

Als ich den Trailer zum ersten Mal gesehen habe, dachte ich am Anfang, es sei eine Variante von Während du schliefst, nur mit dem Unterschied, dass die Hauptrolle ein Mann spielt, der zur Beerdigung einer flüchtigen Affäre geht und von deren Familie für den trauernden Lebensgefährten gehalten wird. Doch die Handlung nimmt schnell eine unerwartete Wendung, als er erfährt, dass die Frau, die er kaum kannte, wohl ermordet wurde und man von ihm erwartet, sich an der blutigen Rache zu beteiligen.

Immerhin hat der Trailer meine Neugier geweckt, was ein guter Trailer immer tun sollte, und als sich letzten Sommer die Gelegenheit ergab, den Film in Denver zu sehen, war ich natürlich mit dabei. Bei uns hatte der Film allerdings einen anderen Titel:

Rache auf Texanisch

Ben (B.J. Novak) ist ein New Yorker Journalist, der unbedingt einen Podcast machen möchte, aber keine passende Idee hat. Eines Tages wird er von Ty Shaw (Boyd Holbrook) angerufen, der ihm eröffnet, dass seine Schwester Abby (Lio Tipton) tot ist. Ben kann sich an seine kurze Affäre mit Abby kaum erinnern, wird aber gedrängt, zur Beerdigung nach Texas zu fahren. Dort erfährt er, dass Abby an einer Überdosis starb, obwohl sie nie drogensüchtig war, und Ty glaubt, sie wurde ermordet. Ben soll ihm helfen, den Täter zu finden und zur Strecke zu bringen. Natürlich lehnt Ben zunächst ab, doch dann kommt ihm die Idee, aus der absurden Geschichte einen Podcast zu machen.

Der Film ist nicht leicht einzuordnen. Die ersten Minuten spielen in New York, wo man Ben als oberflächlichen Menschen kennenlernt, der nur One-Night-Stands hat, sich nicht festlegen will im Leben, aber gleichzeitig etwas Bedeutsames hinterlassen möchte. Sein Traum ist es, einen Podcast zu verfassen, der eine spannende Geschichte erzählt und gleichzeitig einen Kommentar zur politischen und gesellschaftlichen Lage der USA abliefert. Damit ist Ben der typische New Yorker.

In Texas scheint er nun die idealen Voraussetzungen für sein Vorhaben gefunden zu haben. Abbys schräge Familie liefert ihm herrlich deftige Kommentare, wie man sie aus der rechten Szene gewohnt ist, nimmt ihn jedoch gleichzeitig mit offenen Armen auf. Je mehr er an der Oberfläche kratzt, desto überraschendere Entdeckungen macht er über ein Land, das jeder Liberale als rückständig abtut. Natürlich tritt er dabei in so manches Fettnäpfchen, aber seine Beobachtungen stoßen auch auf das Interesse einer Produzentin (Issa Rae), die seine Karriere als Podcaster befördern will.

Gerade als man davon überzeugt ist, dass dies nun die Geschichte eines Mannes ist, der mit seinen Vorurteilen konfrontiert wird und lernt, dass das Leben nicht schwarz-weiß ist, nimmt die Story eine weitere überraschende Wendung. Dabei hat B.J. Novak, der nicht nur die Hauptrolle spielt, sondern auch das Buch geschrieben und Regie geführt hat, zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal besonders viel über seine Figuren erzählt. Man würde gern mehr über Abbys Familie und ihre konservative Sicht auf die Welt erfahren, aber mehr als ein paar kuriose Szenen und die Erkenntnis, dass sie einander sehr nahe stehen, springen leider nicht heraus.

Zurecht moniert Bens Produzentin, dass die Story stagniert, und so beginnt unser Held zu recherchieren. Ben glaubt von Anfang an nicht an Tys Version der Ereignisse, die für ihn viel mit der Weltsicht der Rechten zu tun hat, die sich unangenehmen Wahrheiten verschließen und stattdessen wilde Verschwörungstheorien fabrizieren. Er findet schließlich heraus, dass es mehrere mysteriöse Todesfälle gegeben hat und Abby nach einem Konzert auf einer ominösen Afterparty starb, die in einem Grenzgebiet stattfand, das der Jurisdiktion von gleich vier Polizeibehörden obliegt, weshalb sich keine davon zuständig fühlt. Ben spricht mit einem eloquenten Musikproduzenten (Ashton Kutcher) und einem Drogendealer (Zach Villa), landet aber immer wieder in Sackgassen.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt weiß man als neugieriger Zuschauer nicht mehr, was Novak eigentlich erzählen will. Er beginnt mit einer Komödie, die immer schwärzer wird, widmet sich dann seinem Helden, dessen Vorurteile über Texas und republikanische Hillbillys über den Haufen geworfen werden, der für diese sogar familiäre Zuneigung empfindet und dabei einiges über sich und sein (verkorkstes) Leben lernt. Das hat man schon oft gesehen, funktioniert aber mit einigen Abstrichen ganz gut.

Leider wird der Film im letzten Drittel dann doch noch zu einem Krimi, denn Ben findet einige Dinge über Abby heraus, die ihn überraschen, er stellt fest, dass Ty ihn hintergangen hat (aus Gründen, die man nicht so recht nachvollziehen kann), und entdeckt, was wirklich mit Abby geschah und wer für ihren Tod verantwortlich ist. Und dann nimmt der Film noch eine weitere, wirklich schlechte Wendung, über die hier nichts verraten wird.

In der Summe ist Vengeance so, wie es sein Trailer verspricht: eine merkwürdige Mischung aus schwarzer Komödie und Krimi, die zu viele Themen anreißt, aber nicht konsequent zu Ende erzählt, die einen Helden hat, den man in manchen Momenten bedauert, mit dem man aber nie wirklich warm wird, und deren Showdown schrecklich misslungen ist. Immerhin wird man mit einigen wirklich gelungenen Miniaturen aus Texas belohnt und lernt, was „Bless your Heart“ wirklich bedeutet.

Note: 3-

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.