Die Tribute von Panem: The Ballad of Songbirds and Snakes

Immer wenn ein Film angekündigt wird, der zum x-ten Mal eine bekannte Geschichte erzählt (Die drei Musketiere oder Große Erwartungen) oder unnötigerweise ein Franchise, das schon lange auserzählt ist, fortsetzt, beginne ich leise What The World Needs Now zu summen. Das ist ein Automatismus.

So ging es mir auch, als ich das erste Mal von Die Tribute von Panem: The Ballad of Songbirds and Snakes hörte. Was für ein merkwürdig unentschiedener Titel übrigens. Die Roman-Trilogie habe ich seinerzeit sogar gelesen, als ich noch dachte, man müsste sich über solche Massenphänomene informieren, aber nur den ersten Band gut gefunden. Der Rest war, wenn ich mich richtig erinnere, nur eine Wiederholung des ersten Teils. Entsprechend waren meine Erwartungen zum Start des Films gering.

Die Tribute von Panem: The Ballad of Songbirds and Snakes

Im Krieg verliert Coriolanus Snow (Tom Blyth) nicht nur seine Eltern, sondern auch das Familienvermögen. Zwar zählen die Snows, zu der noch die Großmutter (Fionnula Flanagan) und die Cousine Tigris (Hunter Schafer) gehören, nach wie vor zur Elite von Panem, doch um Karriere zu machen, braucht Coriolanus Geld. Zum Glück hat der Vater seines besten Freundes Sejanus (Josh Andrés Rivera) ein Stipendium für den besten Abgänger der Akademie ausgeschrieben, das dieses Jahr dank des den Snows feindlich gesonnenen Dekans Highbottom (Peter Dinklage) an eine Bedingung geknüpft ist: Jeder Absolvent muss als Mentor einen Teilnehmer der Hungerspiele betreuen, und nur derjenige, dessen Schützling siegt, bekommt das Geld. Bei der Verlosung bekommt Coriolanus jedoch ausgerechnet die wenig aussichtsreiche und aufmüpfige Kandidatin Lucy Gray Baird (Rachel Zegler) zugeteilt.

Das Prequel zu der bekannten Trilogie, die eigentlich eine Tetralogie ist, da der dritte Band auf zwei Filme aufgeteilt wurde, hat mit den Star Wars-Episoden 1 bis 3 eines gemeinsam, es schildert den Aufstieg des bekannten Schurken als Helden. Snow ist der erklärte Gegenspieler von Katniss und ein gemeiner Tyrann, der gestürzt werden muss. Doch niemand wird als Tyrann geboren, und wir alle haben uns vermutlich nächtelang gefragt, was diesem Mann wohl passiert sein mag, dass er so böse wurde. Oder?

Meine Erwartungen an den Film waren recht gering, daher war ich überrascht, dass der Anfang überaus gelungen ist. Man sieht zu Beginn, wie Coriolanus und seine Cousine ums Überleben kämpfen, und auch später ist er wegen seiner Armut der Außenseiter dieses menschenverachtenden Regimes. Natürlich steht er nicht auf der Seite der Guten, der Freiheitskämpfer und Moralisten, aber er weiß durchaus Gut und Böse zu unterscheiden und erkennt die Übel, die aus den Hungerspielen erwachsen.

Dennoch ist er bereit, bei dem Spektakel mitzumachen, es sogar noch weiter zu verbessern, um die schwächelnden Quoten zu bekämpfen. Die Medienkritik ist geradezu unüberhörbar, wiederholt aber im Grunde nur, was bereits gesagt wurde. Da Coriolanus gezwungen ist, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, lässt er nichts unversucht, wenigstens im Kleinen Gutes zu tun. So bringt er den hungernden Tributen Essen und hilft auch sonst Lucy dabei, sich zum Kampf zu rüsten.

Dieser erste Teil der Geschichte ist überraschend gelungen, mit Coriolanus und Lucy gibt es zwei sympathische Figuren, mit denen man gerne mitgeht, und auch das Set Design ist sehenswert. Man wundert sich zwar über die seltsame Mischung aus Mid-Century- oder Nachkriegs-Ästhetik, die hier auf Errungenschaften der Moderne wie Gen- oder Überwachungstechnik trifft, aber insgesamt ergibt sich ein stimmiges Bild.

Mit Lucretius Flickerman (Jason Schwartzman) tritt ein alter Bekannter der früheren Filme in Erscheinung, der den aufmerksamen Zuschauer vor ein Rätsel stellt: Wie kann der Mann 64 Jahre später noch genauso jung (oder alt) aussehen? Man muss Schwartzman allerdings für seine Performance loben, denn er kopiert Stanley Tuccis Manierismen so perfekt, dass man die beiden glatt verwechseln könnte. Dafür fällt ausgerechnet Viola Davis als Spielemacherin (und verrückte Wissenschaftlerin) unangenehm auf, die das Kunststück vollbringt, in manchen Szenen gleichzeitig großartig und grottig zu sein.

Der zweite Teil wird vom Kampf in der Arena dominiert, der zwar packend und temporeich dargestellt wird, aber dem Franchise absolut nichts Neues hinzufügt. Da die meisten Tribute nur oberflächlich vorgestellt werden, fällt es einem auch schwer, Sympathien für sie zu entwickeln oder mit ihnen mitzufiebern. Mit Ausnahme von Lucy, von der man natürlich weiß, dass nur sie als Siegerin hervorgehen kann. Hier hätte man etwas mehr von der Geschichte erwarten können.

Mit dem dritten Teil beginnen dann die eigentlichen Probleme, denn nun muss Coriolanus, der zuvor einen passablen Helden abgegeben haben, zum Bösewicht gewandelt werden. Das passiert in Distrikt 12, in den er und Sejanus strafversetzt werden und in dem er Lucy wiederzufinden hofft. Zwischen beiden hat sich eine Liebesbeziehung entwickelt, die so oberflächlich gezeichnet ist, dass man sich kaum daran erinnert, ob die beiden sich jemals geküsst haben. Coriolanus steht nun zwischen allen Fronten, er muss sich zwischen seiner Liebe und seiner Familie, zwischen Freiheit und Karriere im Dienst der Tyrannei entscheiden. Und wir alle wissen längst, wie es ausgeht.

Aus dem Gewissenskonflikt hätte man sicherlich noch einiges herausholen können, aber die Autoren Michael Arndt und Michael Lesslie entscheiden sich für die denkbar einfältigste Variante. Spätestens in diesen Augenblicken verliert man Coriolanus endgültig. Tom Blyth war von Anfang an nicht völlig überzeugend in der Rolle und scheitert nun an den Nuancen, die die Rolle erfordert. Vielleicht liegt es aber auch an dem unausgegorenen Buch, das einen ständig über seine Motive und Absichten im Unklaren lässt. Den Rest erledigt dann eine uninspirierte Regie.

Wenn man schon die Geschichte eines bekannten Schurken erzählen will, warum dann nicht gleich in der Manier von Richard III.? Warum erst einen sympathischen Helden erschaffen, der dann böse wird und dessen Beweggründe dafür man nicht versteht? Dafür, dass niemand diesen Film gebraucht hat, ist er über weite Strecken ganz brauchbar geworden, der Rest entspricht dafür den niedrigen Erwartungen.

Note: 3-

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.