The Amateur

Manchmal kann man sich direkt vorstellen, wie die Autoren auf die Idee für einen Film gekommen sind: Lass uns doch was machen mit viel Action und Spannung, irgendwas im Spionagemilieu, am besten eine Rachegeschichte voller starker Emotionen! Schon oft dagewesen? Okay, dann ist der Held kein James Bond-Typ, sondern ein schmächtiges Kerlchen, dem man die Action nicht zutraut, ein Computernerd oder Analyst. So oder so ähnlich könnte es gewesen sein.

Oder auch nicht. Die Vorlage, ein Roman von Robert Littell, ist bereits über vierzig Jahre alt, stammt aus der Zeit des Kalten Krieges und wurde bereits 1981 unter dem gleichen Titel verfilmt (bei uns hieß er jedoch Der zweite Mann). Der Roman erschien hierzulande übrigens unter dem Titel Sein oder Nichtsein…, was noch nichtssagender und einfallsloser ist. So kann man sich irren, andererseits gibt es genügend Filme, insbesondere bei den Streamern, die wie vom Reißbrett wirken.

Weil wir Lust auf ein bisschen Spionage-Action hatten, sind wir am Startwochenende gleich ins Kino marschiert.

The Amateur

Charlie Heller (Rami Malek) arbeitet als Dekodierer und Computeranalyst für die CIA. Als seine Frau (Rachel Brosnahan) zu einer Konferenz nach London reist und dort bei einem Angriff von internationalen Gangstern ums Leben kommt, schwört Charlie Rache. Er macht die Täter ausfindig, aber seine Vorgesetzten wollen nicht eingreifen, weil sie es auf die gesamte Organisation abgesehen haben. Eine Lüge, wie Charlie bald herausfindet – und sich auf eigene Faust an die Verfolgung macht.

Fun and Games. So heißt der Teil eines Films, in dem der oder die Helden sich auf ihre Mission vorbereiten und auf erste Schwierigkeiten stoßen. In diesem Fall stellt Charlie fest, dass er einfach nicht das Zeug zum Killer oder Spion hat. Mit Lawrence Fishburne gibt es einen coolen Mentor/Ausbilder, der Charlie dabei zur Seite steht. Normalerweise ist dies der Teil eines Drehbuchs, der am einfachsten zu schreiben ist, weil hier oft die besten Szenen zu finden sind, diejenigen, die oft auch das Herz des Trailers sind. Wenn diese nicht gelungen sind, weiß man, dass der Film ein großes Problem hat.

The Amateur hat sogar viele Probleme. Das beginnt schon gleich am Anfang, an dem man viel zu lange Charlie in seinem Alltag beobachten muss. Ein guter Thriller sollte mit einer spannenden Szene beginnen, weshalb Littell im Roman mit der Geiselnahme angefangen hat. Hätten Ken Nolan und Gary Spinelli in ihrer Adaption vielleicht auch machen sollen. Danach wäre immer noch Zeit gewesen, mehr über Charlie zu erzählen.

Vieles im Film wirkt wie auf dem Reißbrett entstanden. Charlie ist ein lieber Kerl, aber nicht übermäßig sympathisch, er bastelt an einem alten Flugzeug (das Symbol für die Sehnsucht nach Freiheit), ist aber noch nie rausgekommen. Stattdessen lebt er in einem fensterlosen Büro im Keller der CIA und analysiert Daten. Und chattet mit einem geheimnisvollen Informanten, der ihn mit brisanten Akten versorgt, die seine Chefs in Misskredit bringen. Doch Charlie ist loyal – bis er entdeckt, dass die beiden mit dem Tod seiner Frau zu tun haben.

Spätestens da entgleist die Story. Anstatt sich mit den Informationen an die engagierte, neue Chefin (Julianne Nicholson) zu wenden, erpresst Charlie seine Chefs, um eine Ausbildung zum Außenagenten zu bekommen, damit er Jagd auf die Mörder machen kann. Das zeugt einerseits von großer Dämlichkeit, andererseits ist es moralisch höchst fragwürdig und beschädigt den ohnehin nicht besonders sympathischen Helden. Ab diesem Moment ist einem Charlie völlig egal. Selbst sein Wunsch nach Rache, sonst ein emotional ungemein starkes Motiv, wirkt schal und aufgesetzt.

Danach dauert es immer noch ein bisschen, bis die zähe und einschläfernd langsam von Regisseur James Hawes erzählte Geschichte endlich in Gang kommt. Charlie ist ein klassischer Fish out of Water-Charakter, was wunderbar zu einer Komödie passt, und ein paar humoristische Einfälle hätten dem Drehbuch auch gut getan. Aber Charlie trauert ja, was man daran erkennt, dass immer wieder seine tote Frau bei ihm herumgeistert (auch ein seit Six Feet Under zu Tode genudeltes Plotelement, das schon damals ungeheuer genervt hat), und deshalb muss die Story spaßbefreit sein.

Erwartungsgemäß funktioniert der Teil des Films, in dem Charlie Rache nimmt, am besten. Aus bekannten Gründe kann Charlie nicht zuschlagen wie James Bond oder John Wick, aber er hat andere Stärken. Nun ist der Einsatz von Computern nicht besonders packend zu inszenieren, zumindest im Vergleich mit einem Kampf auf Leben und Tod, aber hier wäre dann die Fantasy der Autoren gefragt gewesen. Nur ist denen nicht viel eingefallen. Charlie räumt einen Attentäter nach dem anderen ab, bis zuletzt nur noch der Oberschurke übrig bleibt, an den nur schwer heranzukommen ist. Das alles wird solide erzählt und ist sogar stellenweise ein wenig spannend. Nur hat man leider fast alle Spannungsmomente bereits im Trailer gesehen. Neu ist also fast nichts. Und raffiniert auch nicht, denn man erwartet, dass Charlie Geheimnisse entdeckt, die im Zusammenhang mit dem Tod seiner Frau stehen, dass es überraschende Wendungen und Enthüllungen gibt, und wird doch immer wieder enttäuscht.

Immerhin kommt Charlie viel herum, vor allem in Europa und der Türkei. James Bond sieht ja immer auch wie eine Reisedoku zu den schönsten Flecken auf diesem Planeten aus, The Amateur hingegen, als wäre alles in den Suburbs von Philadelphia gedreht worden. Zugegeben, der Film hatte ein sehr viel mageres Budget als ein Bond-Film, aber das muss man ihm ja nicht in jeder Sekunde ansehen.

Nach knapp zwei Stunden ist man als Zuschauer also froh, noch wach zu sein und auf die Zielgerade zuzusteuern. Der Showdown sollte der packendste und spektakulärste Teil der Geschichte sein, hier darf es krachen, hier darf der Held zeigen, was er alles gelernt hat. Doch Charlie hat nichts gelernt, was er nicht schon vorher wusste, und das Finale ist ungefähr so spannend wie jemandem beim Angeln zuzusehen. Danach werden natürlich noch die Drahtzieher abgeräumt, Gerechtigkeit wird wieder hergestellt und blablabla. Und wenn man gerade denkt, dass man endlich nach Hause gehen darf, drohen Fishburne und Malek ein Sequel an. Als wäre ein Film nicht schon schlimm genug.

Aber genug gewettert. Man kann The Amateur durchaus anschauen, wenn man nicht viel erwartet und nichts Besseres vorhat. Oder wenn man schlecht einschlafen kann. Er ist auch nicht schlechter als viele thematisch vergleichbare Filme, die es bei den diversen Streamingdiensten gibt, und dort wäre der Film auch besser aufgehoben gewesen als im Kino.

Note: 4

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.