The Changeling – Das Grauen

Von dem Titel hatte ich noch nie gehört, als ich ihn vor einiger Zeit auf der Liste der neu auf Prime Video erschienenen Produktionen las, aber die Werbung machte mich neugierig. Dort hieß es, Martin Scorsese zähle ihn zu seinen liebsten Horrorfilmen aller Zeiten (da der Film bereits über vierzig Jahre alt ist, könnte dies natürlich auch eine Aussage aus den späten Achtzigern sein), aber auch Stephen King oder Guillermo del Toro wurden als Referenz angegeben. Tatsächlich diente die Produktion vielen Regisseuren als Quelle der Inspiration, unter anderem Alejandro Amenábar zu The Others.

Bei uns firmierte die Produktion, die hierzulande nie im Kino lief, nur unter dem Titel Das Grauen, der etwas zu reißerisch ist für einen altmodischen viktorianischen Gruselfilm, Prime Video hat für seine Veröffentlichung noch den Originaltitel vorweggestellt, was ich ebenfalls übernommen habe.

The Changeling – Das Grauen

Nachdem seine Frau (Jean Marsh) und seine Tochter bei einem Unfall ums Leben gekommen sind, zieht der erfolgreiche Komponist und Universitätsprofessor John Russel (George C. Scott) von New York nach Seattle. Dort mietet er ein riesiges viktorianisches Anwesen, das einer Denkmalschutzorganisation gehört und früher im Besitz des Senators Carmichael (Voldi Way) war. Schon bald sind unheimliche Klopfgeräusche in der Nacht zu hören, Türen öffnen sich von Geisterhand, und ein Spielzeug seiner verstorbenen Tochter taucht immer wieder auf. Zusammen mit der Leiterin der Historical Society, Claire Norman (Trish Van Devere), beginnt John, nach den Ursachen für den Spuk zu suchen und stößt dabei auf ein unglaubliches Verbrechen.

Der Film beginnt ganz klassisch mit einer schrecklichen Tragödie, die den Hauptdarsteller heimsucht und von Regisseur Peter Medak eindrucksvoll und packend inszeniert ist. Mit seinem Setting im Schnee erinnert der Film anfänglich an The Shining, aber auch Anklänge an Wenn die Gondeln Trauer tragen sind vorhanden. Leider nimmt Medak nach diesem überaus gelungenen Anfang das Tempo heraus.

Heutige Zuschauer müssen daher ein wenig Geduld mitbringen und können sich derweil an der schönen Kamera von John Coquillon erfreuen, die uns Bilder vom New York der späten Siebziger präsentiert und dann ins regnerische Seattle entführt. Manche Episode, etwa Russells Einstand an der Universität, wirkt etwas willkürlich eingestreut und wird zudem auch noch merkwürdig verknappt erzählt, was auf eine ursprünglich wohl längere Fassung hindeutet. So weiß man in der ersten Hälfte manchmal nicht so richtig, in welche Richtung die Reise gehen soll.

Immerhin streut Medak bald auch einige Gruselmomente ein, beginnend mit einer von Geisterhand gespielten Note am Klavier und anderen kleineren Begebenheiten. Man sollte aber keine handfesten Horroreffekte erwarten, CGI gab es damals noch nicht, und die eingesetzten Mittel sind eher konventioneller Natur. Wirklich unheimlich ist der Film ohnehin nicht, dafür entsteht schon bald eine spannende und spooky Atmosphäre, die vornehmlich durch die Musik und die sanft durch die Räume schwebende Kamera erzeugt wird.

Interessant wird die Story sowieso erst ab der Mitte mit einer spiritistischen Sitzung, für die die Drehbuchautoren Russell Hunter, William Gray und Diana Maddox angeblich mehrere Monate lang recherchiert haben. Die Idee zum Drehbuch stammt übrigens von Hunter und soll auf ein reales Ereignis zurückgehen, das sich in den Sechzigerjahren in seiner damaligen Heimatstadt Denver zugetragen haben soll.

Heute würde man den Film vermutlich als Mystery Thriller bezeichnen, und tatsächlich ist diese Mischung aus Thriller-Elementen, einer Detektiv- und Geistergeschichte ausgesprochen gelungen. Wie es in viktorianischen Gruselgeschichten häufig vorkommt, geht es auch hier um einen Geist, der sich nach Erlösung sehnt und nach Rache dürstet, und mit Russell findet er endlich das richtige Werkzeug dafür. Welches Verbrechen der Komponist aufdeckt, wird an dieser Stelle natürlich nicht verraten, aber es lohnt sich, den Film anzuschauen.

Wer Lust auf sanften Grusel, eine filmische Zeitreise in die späten Siebziger oder einen mal gänzlich anders gestrickten Film hat, ist bei The Changeling – Das Grauen gut aufgehoben. Man braucht in der ersten Hälfte nur viel Geduld.

Note: 3

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.