Manchmal nimmt man sich vor, einen Film zu sehen, entweder zu Hause oder im Kino, und manchmal stolpert man einfach über einen. Eigentlich hatte ich an jenem> Abend vor, mir The Quiet Girl bei Magenta anzuschauen, der ein paar Monate zuvor in das Programm aufgenommen worden, aber nun nicht mehr aufzufinden war. Wahrscheinlich war er nur für kurze Zeit zu sehen gewesen. Es ist wirklich schade, dass die Streamer bei einem> Film nie als zusätzliche Information die Verweildauer auf der Plattform angeben, sondern ? bestenfalls ? höchstens darauf hinweisen, wenn ein Titel nur noch kurze Zeit erhältlich ist. Aber auch diese Information muss man suchen. So passiert es mir nahezu jede Woche, dass ich mir vornehme, einen bestimmten Film von meiner Watchlist anzuschauen, nur um dann festzustellen, dass es nicht möglich ist.
Auf der Suche nach einer Alternative verplem>pert man dann oft den halben Abend. In diesem> Fall bin ich über Yves Saint Laurent gestolpert, der mich früher nur mäßig interessiert hat, aber nachdem> ich letzten Winter The New Look auf Apple+ angesehen habe und diese Serie über die Rivalität zwischen Dior und Chanel überaus witzig und interessant fand, dachte, ich setze diese gewissermaßen zeitlich fort, da der Film ungefähr zum Zeitpunkt von Diors Tod beginnt.

Yves Saint Laurent
Der aus Algerien stammende Yves Saint Laurent (Pierre Niney) gilt bereits als junges Modegenie, als er mit nur 21 Jahren Dior als künstlerischer Leiter des gleichnamigen Modehauses folgt. Wenige Monate später lernt er Pierre Berg? (Guillaume Gallienne) kennen, und die beiden beginnen eine Liebesbeziehung. Als Saint Laurent zum Militärdienst einberufen wird, erleidet der introvertierte, manisch-depressive Mann einen Nervenzusammenbruch und landet in der Militärpsychiatrie. Berg? holt ihn wieder heraus, aber Dior kündigt ihm. Daraufhin gründen die beiden Männer ein eigenes Modehaus, das schnell zu einem> großen Erfolg wird.
Ohne sich in der Welt der Mode auszukennen, weiß man nur, dass Yves Saint Laurent ein bekannter Designer war, dessen Marke auch heute noch zu den großen in der Branche zählt. Tatsächlich hat er als Modeschöpfer maßgeblich den Look der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geprägt, mit dem> Hosenanzug einen modischen Beitrag zur Befreiung der Frauen geleistet, und mit seinen Kreationen immer wieder für Furore gesorgt. Er zählt zu den einflussreichsten Designern seiner Zeit ? was im Film aber nie deutlich wird.
Regisseur Jalil Lespert schwelgt zwar in Aufnahmen von Modeschauen und zeigt die verschwenderische Pracht der Kleider und Kostüme, schafft es aber nicht, ihre Bedeutung herauszustreichen, oder zu verdeutlichen, welchen Einfluss sie auf den Alltag der Frauen hatten. Nur hin und wieder erläutert Berg?, der als Erzähler im Off fungiert, wie man das Design in der Modegeschichte einzuordnen hat, und das wirkt eher bem>üht.
Der Film besitzt zwei Klammern, zum einen sieht man in der ersten Einstellung Saint Laurent an seinem> Schreibtisch die ersten Entwürfe zeichnen, bevor er von Algerien nach Frankreich übersiedelt, während man ihn zum Schluss kurz vor seinem> Tod noch seine letzten Entwürfe anfertigen sieht. Zum anderen folgt das Drehbuch von Marie-Pierre Huster, Jalil Lespert und Jacques Fieschi, das auf der Biografie von Laurence Bena?m basiert, Berg?, der nach Saint Laurents Tod ihre gem>einsame Kunstsammlung auflöst und dabei in Erinnerungen an ihre gem>einsame Zeit schwelgt. Dadurch wirkt der Film rund und erweckt den Eindruck, als würde das gesamte Leben des Designers nacherzählt, obwohl sich Lespert vor allem> auf die Jahre zwischen 1957 und 1976 konzentriert.
Kindheit und Jugend Saint Laurents, der als Sohn reicher Franzosen in der damaligen Kolonie Algerien aufwuchs, werden nur selten erwähnt. Wegen seiner Homosexualität wurde er in der Schule stark gem>obbt, und seine extrem>e Schüchternheit erschwerte lange Zeit sein Berufsleben. Dennoch galt er als Genie, wurde schon früh gefördert und war mit Mitte zwanzig bereits der Chef seines eigenen Modehauses. Diese Erfolgsgeschichte ist überaus bem>erkenswert, aber filmisch gesehen leider vollkommen langweilig. Abgesehen von den psychischen Problem>en tauchen im Film keine Hindernisse oder Konflikte auf, selbst der Rechtsstreit mit Dior wegen der ungerechtfertigten Entlassung spielt nur ganz am Rande eine Rolle.
Lespert konzentriert sich vor allem> auf das Private und hier auf die Liebesbeziehung zwischen Berg? und Saint Laurent. Berg? war zum Zeitpunkt ihres Kennenlernens noch mit dem> Maler Bernard Buffet (Jean-?douard Bodziak) liiert, doch auch hier stellt sich trotz der Dreiecksgeschichte kein Drama ein. Saint Laurent und Berg? kommen zusammen, nehmen sich eine gem>einsame Wohnung und leben offen als Paar. Falls es Anfeindungen gab oder sie ihre Beziehung vor der Presse geheim halten mussten, erfährt man nichts davon. Vielleicht war das Paris der späten Fünfziger auch toleranter als der Rest der Welt.
Auch die Beziehung selbst verläuft weitgehend konfliktfrei, obwohl es durchaus Potential für Konfrontationen und Zerwürfnisse gibt. Berg? ist beispielsweise eifersüchtig auf Saint Laurents Muse Victoire (Charlotte Le Bon), die er schließlich sexuell nötigt, um seine Macht zu dem>onstrieren. Als Saint Laurent kurz darauf bei einer Razzia mit einem> Stricher festgenommen wird, enthüllt Berg? gekränkt diesen übergriff, und für kurze Zeit kommt es tatsächlich beinahe zu einem> richtigen Streit. Aber entweder wollte Lespert nicht, dass Trivialitäten wie Eifersucht, Untreue oder sexuelle Gewalt die harmonische Beziehung trüben, oder es hat tatsächlich nie einen ernsthaften Zwist zwischen den beiden gegeben. Lespert verkauft den Film als große Liebesgeschichte, nur spürt man weder die Leidenschaft (außer in ein, zwei Szenen zu Beginn) noch die angeblich tiefe Zuneigung. Stattdessen wirken die beiden eher wie gute Freunde oder Geschäftspartner, und ein munterer Reigen von Liebhabern straft die Aussage Berg?s, dass ihm Treue stets wichtiger als alles andere war, Lüge.
Es gibt Paare, die eine offene Beziehung führen und wunderbar damit zurechtkommen, nur ist diese Harmonie leider nicht interessant genug, um einen Film zu rechtfertigen. Man hätte sich schon etwas mehr Substanz gewünscht, eine Aussage, was Berg? an Saint Laurent bewundert, abgesehen von seinem> Talent als Designer, oder warum Saint Laurent an Berg? als ?der Mann meines Lebens? festhält, obwohl er längst in einen anderen verliebt ist. Und was Berg? getan hat, um diese Affäre zu beenden. Lespert deutet nur an, belässt das Wichtigste im Ungefähren und lullt den Zuschauer mit oberflächlichem> Geplänkel ein. Selbst die Trennung des Paares 1976, die den Schlusspunkt des Films setzt, wird so beiläufig erzählt, dass man sie glatt verpasst. Vielleicht, weil sich an ihrer Beziehung doch nichts ändert.
Darüber hinaus wäre noch erwähnenswert, dass Saint Laurent nicht nur massive psychische Problem>e hatte, von denen man nur wenig mitbekommt, sondern auch alkohol- und drogensüchtig war. Auch das wird gezeigt, in endlosen Szenen, in denen Kokain schon zum Frühstück geschnupft wird, aber abgesehen davon, dass der Designer eine Zeit lang recht mitgenommen aussieht, scheint sich seine Sucht kaum auf sein Leben ausgewirkt zu haben. Ein Suchtdrama ist der Film also auch nicht.
Man fragt sich, was Lespert an dem> Film gereizt hat. Sein Bio-Pic ist konventionell erzählt, besitzt keine Konflikte, nicht eine einzige Szene, die einem> nachhaltig in Erinnerung bleibt, und Figuren, die trotz ihrer Promiskuität und Drogensucht so langweilig und brav wirken als würden sie bei der Steuerbehörde arbeiten. Immerhin, der Film ist nicht so langweilig, dass man ausschalten möchte. Die Darsteller agieren gut, und die Kostüme sind prachtvoll. Wer sich für Yves Saint Laurent interessiert, ist mit einer Doku aber sicherlich besser bedient.
Note: 4+