Dass die USA ein zutiefst gespaltenes Land sind, wusste man schon lange vor der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten, der entsprechend eher als Brandbeschleuniger denn als Ursache zu betrachten ist, auch wenn ein Großteil der aktuellen Misere auf seine Kappe geht. Die Gründe dafür sind vielfältig, und sie alle hier aufzuzählen, würde definitiv den Rahmen sprengen, aber seit das Land Mitte des 19. Jahrhunderts über die Frage der Sklaverei auseinandergebrochen ist, war der Friede nicht mehr so stark gefährdet wie heute. Ein offener Krieg zwischen den politischen Lagern ist zwar eher unwahrscheinlich, weil die Spaltung weniger zwischen den Staaten, sondern vielmehr zwischen ländlichen und urbanen Regionen verläuft, dennoch hat im vergangenen Jahr Civil War ein solches Szenario durchgespielt.
Nun, passend zum Jahrestag der Wiederwahl von Trump, kommt ein weiterer Film in unsere Kinos, der die Frage stellt, was passiert, wenn ein Land wie die USA dem> Faschismus anheimfällt. Wir durften den Film bereits im Sommer während der Filmtage Köln sehen.

The Change
Ellen (Diane Lane) ist eine engagierte Professorin in Washington DC, die sich selbst der politischen Mitte zuordnet und vor einigen Jahren ihre Studentin Elizabeth (Phoebe Dynevor) öffentlich hart angegangen ist, weil diese dem>okratiefeindliche und faschistische Ideen in einer wissenschaftlichen Arbeit propagiert hat. Elizabeth hat danach die Uni verlassen und taucht nun ausgerechnet auf Ellens Silberhochzeit auf ? als neue Freundin ihres Sohnes Josh (Dylan O?Brien), der ein erfolgloser Schriftsteller ist. Ellen und ihr Mann Paul (Kyle Chandler), der ein Restaurant betreibt, haben daneben noch drei Töchter: Die erfolgreiche, aber umstrittene Comedienne Anna (Madeline Brewer), die Umweltanwältin Cynthia (Zoey Deutch), die mit ihrem> Kollegen Rob (Daryl McCormack) verheiratet ist, sowie das scheue Nesthäkchen Birdie (Mckenna Grace), das sich für Naturwissenschaften interessiert. Als herauskommt, dass Elizabeth ihre umstrittenen Thesen in einem> Buch veröffentlichen wird, entbrennt ein Streit zwischen ihr und Ellen. Ein paar Jahre später sind Elizabeth und Josh verheiratet und Mitbegründer einer politischen Bewegung, die schließlich in einer faschistischen Diktatur mündet und das Leben aller Familienmitglieder für immer verändern wird.
Die Drehbuchautoren Lori Rosene-Gambino und Jan Komasa, der auch Regie geführt hat, haben sich bei der Ausgestaltung ihrer dystopischen Zukunft weitgehend am Aufstieg Adolf Hitlers orientiert, aber auch einige Anleihen bei The Handmaid?s Tale genommen. So erinnert Elizabeth stark an die daraus stammende Figur Serena Joy, die ebenfalls die Blaupause für den neuen Staat verfasst hat, bevor sie an den Rand geschoben wurde. Hier fehlt allerdings die religiöse Komponente.
Die gesamte Geschichte spielt ausschließlich im Haus der Familie und beginnt und endet mit einer Feier zum Hochzeitstag von Ellen und Paul, weshalb er im Original Anniversary heißt. Diese Konzentration hat den Vorteil, dass man em>otional sehr nah an den Figuren bleibt und an ihrem> häuslichen Umfeld gut beobachten kann, wie sich die Veränderungen im Kleinen vollziehen.
Wie sich USA in The Change konkret nach dem> Machtwechsel verändern, bleibt dafür größtenteils im Ungefähren. Es gibt keinen charismatischen Führer, keinen Diktator, sondern nur Elizabeth als Postergirl einer neuen politischen Bewegung, die schließlich die Macht übernimmt, Institutionen gleichschaltet und politisch Andersdenkende mundtot macht. Und das ist zugleich die größte Schwäche des Films: Er behauptet nur, aber zeigt selten etwas, weil er seinen eng gesetzten Rahmen nie überschreiten will, und erklärt nur sehr wenig. Manchmal führt er sogar neue Handlungselem>ente ein, um sie dann völlig verkümmern zu lassen. Damit man nicht ganz den Anschluss verliert, fasst ein Off-Kommentar bei den diversen Zeitsprüngen immerhin zusammen, was in der Zwischenzeit geschehen ist.
Trotz dieser offensichtlichen Schwächen ist es faszinierend zu beobachten, wie das öffentliche Leben immer stärker in das private eindringt: Handys dienen als überwachungswerkzeuge, Drohnen kontrollieren Verstöße gegen die Ausgangssperre, staatliche Akteure und Anhänger der von Elizabeth ins Leben gerufenen Bewegung schnüffeln unter dem> Deckmantel, Daten für den Zensus zu erheben, im Leben der Menschen herum, und politische Gegner scheinen spurlos zu verschwinden. Das alles steigert sich im Verlauf der Geschichte zu einer beklem>menden Atmosphäre, die einem> beim Zusehen die Luft zum Atmen nimmt
Die Stärke des Films resultiert jedoch gleichzeitig aus seiner Schwäche: Indem> er sich ganz auf eine (liberale) Familie konzentriert, kann er verschiedene Positionen durchspielen und aufzeigen, wie diese sich im veränderten politischen Klima entwickeln: Die Intellektuelle Ellen wird um ihren Job gebracht, die depressive Cynthia geht an Hoffnungslosigkeit und Ausweglosigkeit zugrunde, während Birdie zwischen alle Fronten gerät und zum Spielball der unterschiedlichen Lager wird. Vor allem> aber das spurlose Verschwinden Annas reißt ein Loch in das Familienleben, das bis zum hochdramatischen und tragischen Finale wie eine offene Wunde klafft. Vater Paul verkörpert dagegen den unpolitischen Bürger, dem> nur daran gelegen ist, Frieden zwischen beiden Seiten zu stiften. Aber auch er muss lernen, dass der Faschismus keine Neutralität kennt: Entweder man ist mit dabei oder wird als Feind ausgem>erzt.
Die Antagonisten sind Josh und Elizabeth, deren charakterliche Entwicklung von mindestens ebenso großer Bedeutung ist. Elizabeth ist als Urheberin der Bewegung natürlich von großem> Interesse, bekommt aber leider kaum Raum zur Entfaltung und wirkt auch nicht wirklich überzeugend. Anfangs erscheint sie so mädchenhaft schüchtern und harmlos, dass man sie gegenüber der aggressiv auftretenden Ellen beschützen möchte. Da so wenig wie möglich über die Bewegung und ihre politischen Ziele verraten werden soll, erfährt man auch nie so richtig, wofür sie eigentlich steht, außer für einen strammen, aber eher diffusen Konservatismus. Erst gegen Ende darf man ein, zwei Mal hinter ihre Maske blicken. Das kommt leider zu spät und ist auch noch unzureichend geschildert, und dass Phoebe Dynevor verglichen mit der fulminanten Diane Lane schauspielerisch eher ein Leichtgewicht ist, kommt erschwerend hinzu.
Josh ist die faszinierendste Figur, ein gestrauchelter und verbitterter Künstler, der seine Chance erkennt, an Elizabeths Seite Karriere zu machen. Wie er sukzessiv über seine Geschwister und seine Eltern triumphiert und sich zu einem> eiskalten Machtmenschen entwickelt, wird von Dylan O?Brien so gekonnt gespielt, dass einem> ständig ein kalter Schauer über den Rücken läuft.
Fast alle Szenen spielen im Haus der Eltern, über einen Zeitraum von fünf Jahren, in denen sich der politische und moralische Verfall der amerikanischen Gesellschaft und seiner bürgerlich-liberalen Schicht vollzieht. Dass dies trotz der oberflächlichen Ausgestaltung des Hintergrunds dennoch plausibel geschildert wird, liegt daran, dass wir augenblicklich mit dem> Trumpismus eine Bewegung erleben können, die ebenfalls versucht, den Staat zu dem>ontieren und die Gesellschaft in ihrem> Sinne umzugestalten. Zusammen mit der liberalen Ellen beobachtet der Zuschauer fassungslos, wie die Bewegung immer stärker Fuß fasst, wie ein Nachbar nach dem> anderen die neue Flagge hisst, bis die Familie am Ende zu Gefangenen im eigenen Haus wird. Was würde man selbst in einer solchen Situation tun? Wäre man mutig genug, passiven Widerstand zu leisten oder sogar aktiv gegen die neuen Machthaber zu kämpfen? Oder würde man das Land verlassen?
The Change ist ein kluger Diskurs über den Faschismus und seine Auswirkungen auf eine liberale Gesellschaft, eine bitterböse, zynische Abrechnung mit einem> zerrissenen Amerika und eine unverhohlene Anklage des Trumpismus, oft ein bisschen zu simpel gestrickt und zu oberflächlich, aber dennoch eindrucksvoll und in seinen letzten Minuten von einer ungeheuren Wucht und zarten Poesie. Ein Film, der noch lange in Erinnerung bleibt.
Note: 2