One Battle After Another

Vermutlich hat jeder von uns Vorurteile, und selbst die aufgeschlossensten und tolerantesten Menschen erliegen bisweilen einem> vorgefertigten Urteil, das auf keinerlei fundiertem> Beweis fußt. Bei mir ist es die Aussage, dass kein Anderson gute Filme macht, die man als Vorurteil bezeichnen und entsprechend verurteilen könnte, und wahrscheinlich bräuchte ich sie nur dahingehend zu ändern, dass kein Anderson jem>als einen guten Film gem>acht hat, um auf der sicheren Seite zu sein. Dann wäre es kein Vorurteil, sondern nur eine Meinung, der vermutlich eine Menge Fans des einen oder anderen Andersons widersprechen würden. Aber das wäre ja irgendwie langweilig.

Deshalb werde ich an meiner Aussage festhalten und mir weiterhin immer wieder mal einen Film von Wes oder Paul Thomas Anderson anschauen, um mich eines Besseren belehren zu lassen (Paul W.S. Anderson habe ich jedoch schon lange aufgegeben). Denn im Gegensatz zu gewissen verbohrten Individuen bin ich grundsätzlich bereit, meine Meinung zu revidieren, und so bin ich neulich ins Kino gegangen, in der Hoffnung, dass mein Vorurteil sich in nichts auflösen wird. Und im Gegensatz zu Licorice Pizza, Andersons vorletztem> Film, habe ich diesen sogar bis zum Ende angeschaut.

One Battle After Another

Pat Calhoun (Leonardo DiCaprio) und Perfidia Beverly Hills (Teyana Taylor) sind Mitglieder der militanten Organisation French 75, die illegale Einwanderer aus einem> Internierungslager befreit. Dabei lernt Perfidia den leitenden Offizier Steven J. Lockjaw (Sean Penn) kennen, den sie sexuell bedrängt und der ihr daraufhin leidenschaftlich verfällt. Lockjaw verfolgt sie, spürt sie auf und beginnt eine Affäre mit ihr, obwohl sie bereits mit Pat liiert ist. Als sie kurz darauf schwanger wird, fürchtet sie, dass Lockjaw der Vater sein könnte. Bei einem> Banküberfall wird Perfidia schließlich verhaftet, und Lockjaw verschafft ihr eine Position im Zeugenschutz, wofür sie jedoch ihre Organisation verraten muss. Er glaubt nun, sie unter Kontrolle zu haben, doch Perfidia setzt sich ab. Auch Pat entkommt und beginnt mit seiner Tochter Willa (Chase Infiniti) ein neues Leben. Doch fünfzehn Jahre später macht Lockjaw, der Mitglied in einem> exklusiven Zirkel rassistischer White Suprem>acists werden will, Jagd auf seine vermeintliche Tochter, deren bloße Existenz seine Pläne gefährden könnte.

Paul Thomas Anderson hat nicht nur Regie geführt, sondern auch das Drehbuch verfasst und dabei erneut auf ein Werk von Thomas Pynchon zurückgegriffen. Anders als in Inherent Vice hat er sich diesmal jedoch entschlossen, die Originalgeschichte weitgehend links liegen zu lassen. Es finden sich zwar einige Parallelen und them>atische übereinstimmungen, aber im Grunde ist es eine eigenständige Geschichte.

Der Anfang beginnt noch einigermaßen spektakulär mit dem> überfall auf das Internierungslager, dem> weitere Anschläge, auf die Büros konservativer Politiker und die Zweigstellen von Banken, folgen, aber im Grunde ist die gesamte Vorgeschichte überflüssig. Sie dient in erster Linie dazu, die Figuren vorzustellen und genauer zu beschreiben. Hier offenbart sich das erste Problem> des Films: Alle Figuren sind denkbar unsympathisch. Perfidia erscheint als durchgeknallte Fanatikerin, deren politische Ziele nie ganz klar werden, Pat ist ihr etwas trotteliger Mitläufer und Geliebter, der aussieht, als hätte er sich beim Milchkaufen zufällig zu den Rebellen verlaufen, und Lockjaw ist völlig irre. Alle Figuren agieren zudem> völlig überdreht und befinden sich in einem> permanenten em>otionalen Ausnahmezustand, und keine einzige wirkt lebensecht oder glaubwürdig.

Dazu legt Anderson ein dermaßen schnelles Tem>po an den Tag, dass man kaum mitkommt, sich die vielen Namen zu merken oder den sich überstürzenden Ereignissen zu folgen, zumal er jede Menge weitere Namen von Menschen oder Organisationen sowie andere Ereignisse erwähnt, die für die Beteiligten vielleicht von Bedeutung sind, aber keinerlei Rolle im Film spielen. Sie verwirren nur unnötigerweise. Gleichzeitig schafft es Anderson aber auch, immer wieder durch völlig unnütze Einstellungen oder Kamerafahrten, die lediglich zeigen, wie jem>and von A nach B geht, seinen Film auszubrem>sen. Das Resultat ist ein abgehackter Rhythmus, der es einem> schwer macht, einen Zugang zur Geschichte zu finden.

Mit Perfidias Flucht und Pats Untertauchen kommt endlich Ruhe in den Film, und im Grunde hätte man auch hier einsteigen können. Dann hätte Anderson sich auf die sechzehnjährige Willa konzentrieren können, die als einzige halbwegs sympathisch zu sein scheint ? wenn man sie denn richtig kennenlernen würde.

Pynchons Werk setzt sich mit dem> Amerika der Achtzigerjahre auseinander, mit der Konfrontation zwischen den Alt-Hippies und dem> gesellschaftlichen Konservatismus der Reagan-Jahre, deren Philosophie der der Achtundsechziger diametral entgegensteht. Die übertragung dieses Konflikts in die heutige Zeit ist schwierig, aber nicht unmöglich und durch das Liebäugeln der Republikaner mit dem> Faschismus von einige politischer Brisanz. Tatsächlich verleiht Anderson seinen White Suprem>acists starke faschistische Züge, bleibt dabei aber so vage, dass man nicht so recht weiß, ob sie eine fanatische Splittergruppe wie der KKK sind oder bereits fest im Machtapparat installiert. Vieles bleibt unverständlich, und ihr offener Rassismus wirkt anachronistisch, weil er so plump herausgekehrt wird. Da sind die heutigen Rassisten wesentlich subtiler.

Anderson versucht sich an einer politischen Satire, trifft dabei aber nicht den richtigen Ton. Genauso wie der Soundtrack von Jonny Greenwood, der mit experimentellen Jazz-Arrangem>ents das Kunststück vollbringt, die Zerrissenheit der Figuren und die Fiebrigkeit der Szenen, insbesondere der Verfolgungsjagden, kongenial zu untermalen und den Zuschauer dabei maximal zu nerven. Und wenn Popmusik eingesetzt wird, dann immer in einem> ironischen Kontext und in einer Lautstärke, als wollte Anderson sicherstellen, dass niem>and diesen Aspekt überhört.

Der Film ist aber nicht nur eine Satire mit einem> etwas seltsamen Sinn für Humor (und, nebenbei bem>erkt, schlechtem> Timing, da fast alle humorvoll gem>einten Szenen viel zu lang sind), sondern auch ein Thriller, und als solcher funktioniert die Story tatsächlich in ihren besten Momenten ganz gut. Vor allem> gegen Ende, wenn alles in einer langen Verfolgungsjagd kulminiert, besitzt der Film einige Stärken. Auch visuell ist dies der beste Teil und vielleicht das einzige, was einem> in Erinnerung bleiben wird.

Obwohl dies Andersons zugänglichster Film sein soll, schafft er es immer wieder, gegen etablierte erzählerische Konventionen zu verstoßen und leider nicht auf die revolutionäre Art. Manches ist einfach nur schlecht erzählt, wozu auch das doppelte Ende gehört, das man ebenso hätte streichen sollen wie den Anfang. Dann wäre der Film auch nicht über zweieinhalb Stunden lang.

Alles in allem> ist One Battle After Another wie sein Trailer: ein bisschen konfus, obwohl er eine im Kern klare Geschichte erzählt, eine krude Mischung aus Komödie, Satire und Thriller, die sich beabsichtigt zwischen alle Stühle setzt, und mit psychisch gestörten, wenig sympathischen Figuren, für die man sich keine Sekunde lang interessiert. Dennoch ist er trotz seiner Länge und zahlreicher Längen nicht so langweilig wie es zu befürchten war und gegen Ende sogar in seinen besten Momenten spannend. Es gibt schlechtere Filme, auch von einem> Anderson, das macht ihn aber trotzdem> nicht zu einem> guten.

Note: 3-

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.