Kinky Boots

Auf der Suche nach interessanten, vielleicht auch älteren Filmen im Programm von Paramount+ bin ich letzte Woche auf diesen Titel gestoßen, der mir rein gar nichts sagte. Das dazugehörige Plakat und die Kurzbeschreibung ließen vermuten, dass er aus den späten Achtzigern oder frühen Neunzigern stammt, tatsächlich wurde er aber 2005 gedreht. Da auch der imdB-Wert annehmbar war und die Besetzung sich sehen lassen konnte, war ich neugierig.

Kinky Boots

Charlie (Joel Edgerton) ist der Erbe einer kleinen Schuh-Manufaktur in Northampton, hat aber kein wahres Talent für diese Arbeit und beschließt, zusammen mit seiner Verlobten Nicola (Jem>ima Rooper) nach London zu gehen. Doch dann stirbt unvermittelt sein Vater, und Charlie tritt das schwierige Erbe an. Als er entdeckt, dass die Firma große Aufträge verloren hat, weil sie gegen die asiatische Konkurrenz nicht bestehen kann, muss er einige Mitarbeiter entlassen. Lauren (Sarah-Jane Potts), die er vor die Tür setzt, macht ihm klar: Er muss die Produktion umstellen und eine Marktlücke finden, wenn er die Firma retten will. Doch erst der Zufall und die Begegnung mit der Drag Queen Lola (Chiwetel Ejiofor), die sich über ihre Problem>e, passendes Schuhwerk zu finden, beklagt, bringt ihn auf die rettende Idee.

Neun von zehn Schuhfabriken mussten zu Beginn des Jahrhunderts schließen, zumindest konstatiert Charlie dies irgendwann, und wenn man weiß, wie schwer auch die Textilindustrie in Europa in den Neunzigerjahren und kurz nach der Jahrtausendwende gelitten hat, wie viele Jobs nach Asien gegangen sind, kann man das durchaus glauben. Es sind aber nicht nur alte Industrien, die sterben, sondern auch das Handwerk, das langsam verschwindet. In Charlies Fabrik werden zwar Maschinen benutzt, aber dennoch werden noch einige Arbeitsschritte wie etwa das Zuschneiden in Handarbeit erledigt.

Joel Edgerton wirkt ja immer ein wenig phlegmatisch und hölzern in seinen Rollen, was in diesem> Fall aber von Vorteil ist, denn Charlie ist ein unsicherer, unentschlossener Mann. Schon früh hat er erkannt, dass die Arbeit im Familienunternehmen nichts für ihn ist, und er versucht sich daher im Marketing, glücklich wirkt er jedoch nicht. Man hat sogar den Eindruck, dass er ganz froh ist, nach dem> Tod des Vaters in dessen Fußstapfen zu treten. Aber bei der Figur kann man sich nie so ganz sicher sein, was sie eigentlich antreibt. Einerseits will er weg aus Northampton, andererseits übernimmt er sehr gerne die Fabrik, er interessiert sich nicht für das Geschäft, will aber die Arbeiter nicht hängen lassen. Dieses Hin und Her macht die Figur schwer zu greifen.

Auch sein Liebesleben wirkt unstet. Er liebt Nicola, fühlt sich aber irgendwie auch zu Lauren hingezogen, was jedoch nie wirklich deutlich wird. Man weiß, wohin die Autoren Geoff Deane und Tim Firth wollen, und das funktioniert am Ende auch, aber die Story nimmt dabei einige, zum Teil völlig unnötige und klischeebeladene Umwege. Zum Glück ist Charlies Privatleben nur ein Nebenplot.

Kinky Boots beruht auf einer wahren Geschichte und ist ein klassisches Cheerie-Movie, in dem> ein Außenseiter ohne Chancen es schafft, sich zu behaupten und ein schier unmögliches Ziel zu erreichen. Die Marktlücke, die Charlie entdeckt, besitzt in den Augen der kleinstädtischen Angestellten jedoch etwas leicht Anrüchiges: Schuhe für Transvestiten und Transsexuelle herzustellen, ist in ihren Augen schon sehr speziell. Entsprechend gibt es vorlaute Bem>erkungen und sogar Beleidigungen gegenüber Lola, die in erster Linie auf das Konto von Don (Nick Frost) gehen, der hier den Macho raushängen lässt. Der Schlagabtausch zwischen ihm und Lola, der schließlich in einem> Armdrücken-Wettbewerb mündet, gehört zum witzigsten Part der Geschichte.

Das Herz und die Seele des Films ist eindeutig Lola, der Chiwetel Ejiofor so viel erotische Ausstrahlung und Power verleiht, dass er jeden seiner Kollegen an die Wand spielt. Man lernt sie schon früh kennen, sieht sie als Kind in knallroten Schuhen fröhlich tanzen, bis ihr Vater sie zur Ordnung ruft, und dieses Bild, mit dem> der Film beginnt, verdeutlicht einmal ihre Liebe zu provokantem> Schuhwerk, aber auch ihre Suche nach ihrer Identität. An dieser Problem>atik erkennt man, dass der Film bereits zwanzig Jahre alt ist, weil zu wenig über Genderidentität gesprochen wird und zu viele Begriffe durcheinandergeworfen werden. Letzten Endes spielt es für die Geschichte keine Rolle, ob Lola sich als Drag Queen versteht, trans oder genderfluid ist, es wäre aber schön gewesen, hätten die Autoren sich dieses Aspekts stärker angenommen und der Figur mehr Kontur verschafft.

In erster Linie geht es nämlich nicht um Lola, sondern vor allem> um die Reaktion der anderen auf sie. Während die Arbeiterinnen sie schnell als eine von ihnen annehmen, haben es Don und seine Kollegen schwerer, diese ungewöhnliche Designerin und ihre neue Rolle in der Fabrik zu akzeptieren. Auch Charlie ist es jedes Mal sichtlich unangenehm, wenn er sich mit Lola in der öffentlichkeit zeigen muss. Das sorgt anfangs für Lacher und wird später zu einem> Problem> zwischen ihnen.

Letzten Endes gelingt es dem> Film, diesen Konflikt angem>essen zu lösen, auch wenn man vermutlich mehr daraus hätte machen können. Ein Fanal für Akzeptanz ist er nicht, er wirft aber immerhin ein kleines Schlaglicht auf eine Problem>atik, mit der sich damals nur wenige beschäftigt haben. Viel wichtiger ist jedoch, dass der Film als Cheerie-Movie hervorragend funktioniert und bis zum heiteren Ende eine Menge Spaß macht. Wer Ganz oder gar nicht mochte, wird auch an Kinky Boots seine Freude haben.

Note: 3+

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.