The Rocky Horror Picture Show

Am selben Tag, an dem> wir uns Der Herr der Ringe: Die Gefährten in einer Matinee angesehen haben, lief am Abend auch The Rocky Horror Picture Show in einer Wiederaufführung anlässlich des fünfzigsten Geburtstages seiner Erstaufführung. Ich hatte mir den Film aufgrund seines Kultstatus‘ einmal in den Neunzigern auf Video angesehen, aber keine rechte Freude daran gefunden: zu dilettantisch, zu obskur, zu viel Gesang. Heute weiß ich, dass man einen solchen Film niem>als alleine anschauen sollte, sondern in einem> vollen Kinosaal, am besten mit Fans.

Okay, bei uns gab es kein interaktives Publikum wie es sonst üblich ist, aber einige Fans, die in Verkleidung kamen und das Ereignis zelebriert haben. Unter den Zuschauern waren erstaunlich viele junge Leute, und am liebsten hätte ich im Anschluss eine kleine Umfrage gestartet, was sie von dem> Film gehalten haben.

The Rocky Horror Picture Show ist ein popkulturelles Phänomen, das eigentlich gar nicht möglich sein sollte, sein Erfolg ein cineastisches Wunder, das allein der Hartnäckigkeit und Leidenschaft seiner Fangem>einde zu verdanken ist. Der Legende (und Wikipedia) nach entstand das Bühnenmusical in einer rudimentären Form in den frühen Siebzigern, als der arbeitslose Schauspieler Richard O?Brien seine Liebe zum Glam Rock mit seinem> Faible für kauzige B-Horrorfilme, die Bodybuilding-Kultur und Transvestismus in einer schillernden Story zum Leben erweckte wie Dr. Frankenstein seinen Patchwork-Mann, der übrigens auch Pate stand. Doch wie passt das alles zusammen? Und warum ist es erfolgreich?

The Rocky Horror Picture Show

Nachdem> Brad (Barry Bostwick) seiner Freundin Janet (Susan Sarandon) einen Heiratsantrag gem>acht hat, fahren die beiden zu ihrem> ehem>aligen Lehrer Dr. Scott (Jonathan Adams), in dessen Kurs sie sich einst kennengelernt haben. Unterwegs hat ihr Auto jedoch eine Panne, und sie wollen in einem> abgelegenen Schloss um Hilfe bitten. Dort residiert der Wissenschaftler Dr. Frank N. Furter (Tim Curry), der gerade mit seinen Anhängern einen Durchbruch in seiner Forschung feiert: die Erschaffung neuen Lebens in der Gestalt eines muskelbepackten Adonis namens Rocky (Peter Hinwood).

In den USA tobt, wie die meisten sicherlich wissen, gerade ein erbitterter Kulturkampf, in dem> die Rechten Transgender verdammen, aber auch Drag-Shows verbieten lassen sowie die Ehe für alle wieder abschaffen wollen. Für diese Menschen muss The Rocky Horror Picture Show der absolute Alptraum sein, insbesondere weil er ihre wildesten Vorurteile bestätigt, denn in der Story werden in nahezu jeder Figur Zweifel an ihrer Genderidentität oder sexuellen Orientierung geweckt.

Dass Frankenstein Pate gestanden hat, erklärt sich bei diesem> Plot von selbst, auch wenn sich Mary Shelly ihren Dr. Frankenstein sicherlich nie in Mieder und Strapsen vorgestellt hat. Als Parodie funktioniert das erstaunlich gut und sorgt für den einen oder anderen Lacher, auch der Auftritt einer Figur im Outfit von Frankensteins Braut passt dazu. Zu dieser wilden Genrem>ixtur gehören aber auch Anleihen bei diversen Science-Fiction-Filmen, der griechischen Mythologie und dem> Rock?n?Roll der Fünfziger.

Die Geschichte selbst ist nicht gerade logisch, aber das sollte man bei einem> solchen Spektakel auch nicht unbedingt erwarten. In ihrer verrückten Art macht sie durchaus Sinn, nur agieren manche Figuren widersprüchlich, und manche Entwicklungen wirken wie aus dem> Hut gezaubert. Es wirkt mitunter, als hätten die Autoren Richard O?Brien, der den Butler Riff Raff spielt, und Jim Sharman, der Regie geführt hat, jeden Einfall, der ihnen untergekommen ist, sofort verwertet. Anders lassen sich manche Momente nicht erklären, der Kannibalismus zum Beispiel.

Als Bühnenstück wurde es zunächst in einem> winzigen Theater in London aufgeführt und musste immer wieder in größere Häuser umziehen, weil es von Woche zu Woche erfolgreicher wurde, bis es am Ende sieben Jahre lang im West End zu sehen war. Der Film wiederum, in dem> nahezu die gesamte Original-Bühnenbesetzung zu sehen ist (lediglich Meat Loaf, Sarandon und Bostwick gehören nicht dazu), war zunächst kein Erfolg und sollte abgesetzt werden. Doch weil die Fans immer und immer wieder kamen, entschied man sich für eine andere Strategie, schnitt den Film etwas um und brachte ihn einige Monate später erneut heraus ? als Midnight Movie.

Diese Schiene war ein wichtiger Bestandteil vor allem> der amerikanischen Gegenkultur der Siebziger. Hier liefen meist obskure B-Filme und Low-Budget-Produktionen, die sich mit sperrigen, trashigen oder radikalen Inhalten vom Mainstream absetzten und ein oft treues und junges Publikum fanden. The Rocky Horror Picture Show passt mit seiner politischen Aussage, seiner Koketterie und den B-Horror-Anleihen, die gleichzeitig zelebriert und parodiert werden, perfekt dazu. Man wundert sich zwar, dass ausgerechnet dieser Film so erfolgreich wurde, kann es aber nachvollziehen. Die mitreißende und eingängige Musik ist daran sicherlich auch nicht ganz unschuldig.

Man muss nicht alle Storylines verstehen (etwa warum Eddie (Meat Loaf) eingefroren wurde) oder alles logisch finden (das ist es, wie gesagt, auch nicht), um seinen Spaß zu haben. Als Film ist er sicherlich nicht so gut wie als Bühnenmusical (genauso wie Hair), stellenweise ist er sogar richtig schlecht, aber das dann (vermutlich) mit Absicht. Das Ganze ist ein geschlossenes System> aus Geschmacklosigkeiten, parodistischen Kunststücken, schmissigen Songs und wohlkalkulierter Provokation, man muss sich darauf einlassen, um es genießen zu können.

Note: 3

Dieser Eintrag wurde von Pi Jay unter Pi Jays Corner veröffentlicht und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen für den Permalink.

Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.