Voll verschleiert

Dies ist mein letzter Blogbeitrag im Jahr 2017. Wahnsinn, wie schnell die letzten zwölf Monate vergangen sind. Persönlich war es ein ereignisreiches und durchaus erfolgreiches Jahr, um Längen besser als 2016, und die kommenden Monate dürften noch viel spannender werden. Ende Januar läuft beispielsweise der von mir mitgeschriebene Film Jenseits des Spiegels im Wettbewerb des Max-Ophüls-Festivals und hoffentlich relativ zeitnah dann auch im Fernsehen. Und ein paar neue Projekte sind bereits in Planung.

Allen Leser wünsche ich frohe Weihnachten und einen guten Rutsch und möchte mich an dieser Stelle für eure Treue bedanken. Weiter geht es an dieser Stelle voraussichtlich am 8. Januar. Genießt die Feiertage!

Der Film, den ich heute vorstellen möchte, startet übrigens kommenden Donnerstag.

Voll verschleiert

Armand (Félix Moati) verliebt sich in seine Kommilitonin Leila (Camélia Jordana). Seine Eltern sind Ende der Siebziger vor dem islamischen Regime im Iran geflohen und bekämpfen es seither mit Inbrunst, ihre Eltern starben vor vielen Jahren bei einem Unfall. Seither kümmert sich ihr Bruder Mahmoud (William Lebghil) um sie und den jüngeren Sinna (Carl Malapa). Nach einer Reise nach Afghanistan kommt Mahmoud jedoch verändert zurück: Streng religiös geworden, verbietet er seiner Schwester fortan, das Haus zu verlassen; auch ihr Praktikum bei der UNO darf sie nicht antreten. Um seine Freundin weiterhin sehen zu können, greift Armand zu einer ausgefallenen Verkleidung: In einer Burka und mit verstellter Stimme stellt er sich bei Mahmoud als Leilas Nachhilfeschülerin Scheherazade vor, nicht ahnend, dass ihr Bruder sich in ihn verliebt …

Wenn es um Religion geht, verstehen viele Menschen keinen Spaß. Das Leben des Brian ist auch viele Jahrzehnte später immer noch für manche ein rotes Tuch, und die Mohammed-Karikaturen hatten sogar Tote zur Folge. Das Thema dieser französischen Komödie ist also durchaus gewagt.

Die Macher haben jedoch dafür gesorgt, dass die Geschichte relativ harmlos bleibt und allenfalls bestimmte Gepflogenheiten und Traditionen aufs Korn nimmt, schließlich steht die Burka im westlichen Teil der Welt für weibliche Unterdrückung und Unfreiheit und sorgt im Stadtbild bei vielen für ein gewisses Gefühl der Beklemmung. Dadurch dass Armand sich ernsthaft mit dem Islam auseinandersetzt, den Koran liest und sich auf Diskussionen mit Mahmoud einlässt, gelingt es ihm, seinen Gegner mit den eigenen Waffen zu schlagen und seine Einstellung zu überdenken. Wenn man so will, ist Voll verschleiert sogar eine religiöse Komödie.

Kritisiert werden ohnehin nur bestimmte Aspekte des traditionellen Islam wie die Vollverschleierung, Zwangsehen und die allgemeine Unterdrückung der Frau, die mittlerweile auch in vielen islamischen Ländern kritisch gesehen werden. Damit war die Autorin und Regisseurin Sou Abadi schon mal auf der sicheren Seite. Außerdem hat sie Mahmoud nicht zu einem Extremisten gemacht, sondern lediglich zu einem Traditionalisten, noch dazu zu jemandem, der zutiefst verunsichert ist von seiner Rolle als Familienoberhaupt. Da er sehr jung Verantwortung übernehmen musste, hat er Trost und Unterstützung in der Religion gesucht und sich an Traditionen geklammert, ohne sie zu hinterfragen. Erst durch Armand, die geheimnisvolle Scheherazade, schafft er es, seine kritiklos übernommenen Positionen zu überdenken und kehrt auf diese Weise Schritt für Schritt zurück zu einem Leben nach westlichen Werten. Das alles ist schön erzählt, hätte aber auch noch etwas weiter vertieft werden können.

Die Geschichte erinnert stark an Mrs. Doubtfire und schöpft ihren Witz ebenfalls vornehmlich aus der Travestie und den Verwechslungselementen. Das ist amüsant gemacht und sorgt später noch für die eine oder andere Verwirrung, wenn Armands Eltern anfangen, sich über sein erwachtes Interesse für Religion zu wundern. So ist der Film auch ein intelligentes Spiel mit Vorurteilen – auf beiden Seiten.

Nach einem gelungenen Auftakt verliert die Geschichte zwar ein wenig an Fahrt, kann aber gegen Ende hin noch einmal ihr Tempo steigern und steuert dann ihr überraschungsfreies Happy End an. Daraus hätte man durchaus noch mehr machen können, es ist aber alles in allem sehr vergnüglich.

Note: 3+

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.