Captain Marvel

Diese Äußerung dürfte manchen nicht gefallen: Superman ist ein Langweiler. Als ich ein Kind war, übte er aufgrund seiner Fähigkeiten noch eine gewisse Faszination auf mich aus, denn es ist ja schon ganz schön cool, fliegen zu können, Stahl zu verbiegen oder Laserstrahlen aus den Augen abzuschießen. Superman war jedem ein Begriff, selbst wenn man wie ich die Vorlagen nicht kannte. Als ich dann die Filme aus den Siebzigern relativ spät gesehen habe, gefielen sie mir allerdings nicht. Der Grund dafür ist denkbar einfach: Superman ist all seinen Schurken einfach viel zu überlegen, weshalb er eigentlich jeden mit Leichtigkeit besiegen müsste, und da er unkaputtbar ist, kann man auch nicht um ihn bangen. Wenn man aber nie das Gefühl hat, dass der Held ernsthaft in Gefahr schwebt, verliert man das Interesse an ihm. Abgesehen davon war er auch so moralisch einwandfrei, ungebrochen und wie frisch gewaschen, dass er ein Langweiler war.

Wie eng Captain Marvel und Superman miteinander verwandt sind, zeigt ein Blick auf die kuriose und wendungsreiche Geschichte ihrer Entstehung: Captain Marvel ist – Fans haltet euch fest – ein freches Plagiat, die Antwort auf den erfolgreichen Debütanten Superman, die ein anderer Verlag gefunden und 1939/40 in Auftrag gegeben hat. In der Folge lief der Captain seinem Rivalen sogar den Rang ab und avancierte zum beliebtesten Superhelden der USA (gemessen an den Verkaufszahlen). Auch seine fiktive Frau und Tochter erhielten ihre eigenen Serien, und sogar sein Haustier („Hoppy the Marvel Bunny“ von 1942) wurde ein Comicheld. Erst ein Rechtsstreit mit dem DC Verlag, der sich gegen diese Kopie seines Zugpferds wehrte, führte zu einer vorübergehenden Einstellung der Reihe, bevor DC Anfang der Siebziger schließlich die Rechte erwarb und sie selbst fortführte.

Da der Markt wie die Natur aber kein Vakuum duldet, hat inzwischen (1967) ein neuer Captain Marvel das Licht der Comicwelt erblickt: Als Figur von Marvel Comics. Der Captain hieß damals übrigens Mar-Vell, war ein Außerirdischer vom Volk der Kree und nannte sich im bürgerlichen Leben Dr. Walter Lawson.

Nachdem DC Captain Marvel also juristisch ins Aus befördert und die Konkurrenz einige Jahre später aufgekauft hatte, wollten sie Anfang der Siebziger die Reihe wieder auflegen, mussten aber feststellen, dass die Rechte an der Marke weg waren. Die Figur brauchte einen neuen Namen, und da Billy Batson, das menschliche Alter Ego des Superhelden, sich mit einem Zauberwort in Captain Marvel verwandelt, lag es nahe, dieses als neuen Titel zu verwenden: Shazam! Im Comic selbst heißt er dann übrigens wieder Captain Marvel, was mich neugierig werden lässt, wie sie das in der nächsten Woche starteten Verfilmung gelöst haben …

Den weiblichen Captain Marvel gibt es übrigens seit 1977, und pünktlich zum Start habe ich mir den neuen Hit aus dem Hause Marvel angesehen.

Captain Marvel

Vers (Brie Larson) ist eine Heldenkriegerin der Kree auf dem Planeten Hala, wo sie von ihrem Mentor Yon-Rogg (Jude Law) zu einer Elitekämpferin ausgebildet wird. Doch Vers wird immer wieder von geheimnisvollen Alpträumen geplagt, die mit einem vollständigen Gedächtnisverlust zusammenhängen, den sie vor sechs Jahren erlitten hat. Bei einem Einsatz gegen die Skrull, Erzfeind der Kree und ein Volk von Formwandlern, wird Vers zuerst gefangen genommen und landet über Umwege schließlich auf der Erde der Neunzigerjahre. Bald stellt sie nicht nur fest, dass die Skrull ihr gefolgt sind, sondern auch, dass ihre Erinnerungen mit diesem Planeten zu tun haben. Um das Rätsel ihrer Herkunft zu lösen und ihren Feind zu besiegen, verbündet sie sich mit dem S.H.I.E.L.D.-Agent Nick Fury (Samuel L. Jackson).

Alle Heldengeschichten handeln von der Suche nach dem Kern der eigenen Persönlichkeit, und alle Helden müssen sich verwandeln, um ihre Bestimmung zu finden. Selten wurde diese Prämisse in einem Superheldenfilm wörtlicher genommen als in Captain Marvel. Dabei ist für den Zuschauer schon relativ bald (streng genommen sogar schon seit der Veröffentlichung des Trailers) klar, was es mit Vers’ Herkunft auf sich hat. Zu viele eindeutige Hinweise erfordern keine allzu großen detektivischen Fähigkeiten, um zu ergründen, wer sie tatsächlich ist und wozu sie am Ende werden muss. Lediglich einige Details sind zu Beginn unklar, etwa die Frage, woher sie ihre übermenschlichen Fähigkeiten hat.

Brie Larson spielt diese Kampfmaschine mit nur allzu menschlichen Emotionen überzeugend und sympathisch. Auch wenn sie Photonenstrahlen aus ihren Händen schießen kann, wirkt sie verwundbar und schwach, wodurch es leicht fällt, sich mit ihr zu identifizieren. Sie hat sogar Humor, auch wenn dieser im Vergleich zu anderen Marvel-Filmen leider weniger gelungen eingesetzt wird.

Problematisch wird es erst ganz am Ende, wenn Vers endlich zu sich selbst und ihrer wahren Bestimmung gefunden hat. Die Transformation zu Captain Marvel erfolgt viel zu schnell und vor allem zu reibungslos, um den Zuschauer zu überzeugen.

Der Rest ist ziemlich formelhaft geraten, aber wenigstens temporeich inszeniert. Erst gegen Ende, wenn die Hintergründe zu Vers’ alias Carol Danvers’ Geschichte aufgeklärt werden, gibt es eine kleine Überraschung, die jedoch weitere Fragen aufwirft, denn sie betrifft Ereignisse und Figuren – Korath (Djimon Hounsou) und Ronan (Lee Pace) – die man bereits aus Guardians of the Galaxy kennt. Ob und wie das alles zusammenpasst, muss ein anderer beurteilen, mir fehlt dafür das nötige Nerd-Wissen. Ich frage mich allerdings, ob es wirklich nötig war, diese für den normalen Kinozuschauer etwas verwirrende Nebengeschichte anzureißen.

Auch die Infinity-Steine, so etwas wie der Heilige Gral des Marvel Cinematic Universe, spielen wieder einmal eine Rolle, diesmal der Tesserakt, dessen Geschichte nun bereits in zahlreichen Filmen nacherzählt wurde, von Thor, über Captain America: The First Avenger hin zum letzten Abenteuer der Avenger. Übrigens erfahren wir am Ende auch, wie Fury auf den Namen der Truppe gekommen ist …

Diese netten Details am Rande sind nicht nur für Nerds, sondern auch für den Durchschnittszuschauer ganz interessant und zeigen, wie viel Mühe sich die Macher in all den Filmen des Marvel-Universums gegeben haben. Das und die Tatsache, dass sie sich diesmal auf reine Frauenpower verlassen und auch die ethnischen Minderheiten nicht vernachlässigen, zeigen, dass die Reihe insgesamt auf einem guten Weg ist.

Das Beste am Film ist allerdings eine Katze, die keine Katze ist, mehr will ich dazu aber nicht verraten …

Insgesamt ein launiges Superheldenabenteuer mit einer starken Frau, von der wir noch einiges hören werden – vor allem nach ihrem fulminanten Start. Hoffen wir mal, dass sie keine solche Langweilerin wird wie Superman.

Note: 3

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.