They Shall Not Grow Old

Vor 100 Jahren endete der Erste Weltkrieg mit der Unterzeichnung des Versailler Vertrags. Zu diesem Anlass wurde Peter Jackson vom Imperial War Museum in London beauftragt, ihr umfangreiches Archivmaterial zur Herstellung eines Dokumentarfilms über diesen „Großen Krieg“ zu nutzen. Das Ergebnis ist ziemlich beeindruckend und ein wenig enttäuschend zur gleichen Zeit.

They Shall Not Grow Old

Der Film beginnt mit Bildern, wie wir sie seit jeher gewohnt sind: Schwarzweiß, grobkörnig, ein bisschen verwaschen und unscharf, allerdings nicht so ruckelig wie man es von anderen Filmen kennt, weil das Material bereits diesbezüglich bearbeitet wurde. Und natürlich: stumm. So hat sich uns das Bild jener Zeit eingeprägt, obwohl wir ja wissen, dass die Welt genauso farbig und voller Töne, Stimmen und Geräusche war wie unsere.

Zu den Bildern hört man Off-Kommentare von Weltkriegsveteranen, die in den 1960er Jahren von der BBC interviewt worden waren. Die Aufnahmen klingen frisch, die Männer hörbar alt. Vielleicht liegt es daran, dass sich die Stimmen alter Männer ähneln, beim Zuhören hatte man das Gefühl, den Erfahrungen von vielleicht 20 Mann zu lauschen. Tatsächlich waren es fast 120.

Diese Kommentare verstummen nie. Nicht für eine Minute. So faszinierend es auch ist, den Erinnerungen jener Augenzeugen zu lauschen und entsprechende Bilder, passend zu ihren Berichten, präsentiert zu bekommen, so spannend ihre Schilderungen, insbesondere der Angriffe und der Zeit in den Schützengräben sind, es ist auf Dauer einfach zu viel. Der Film wird totgequatscht. Hier und da eine Minute Schweigen wäre erholsam gewesen und hätte auch dazu beigetragen, sich stärker auf die Bilder einzulassen. So lauscht man die ganze Zeit, muss bei den unterschiedlichen Dialekten aufpassen, alles zu verstehen, liest auch mal die Untertitel, weil man den Militärjargon nicht zwangsläufig kennt – und fühlt sich bald wie erschlagen von all den Informationen.

Da Jackson nur das Material des Museums benutzen konnte, ist die Sicht auf den Krieg naturgemäß eine rein britische. Das ist nicht weiter schlimm, denn im Verlauf des Films wird auch viel über den deutschen Gegner berichtet, der bei seiner Gefangennahme ebenfalls zu sehen ist, und in den Worten der ehemaligen Soldaten schwingt eine Menge Respekt mit. Ressentiments scheint es, anders als nach dem 2. Weltkrieg, wenige gegeben zu haben. Ärgerlich ist jedoch, dass irgendwie der Anschein erweckt wird, dass die Briten allein gekämpft hätten. Nur einmal sieht man koloniale Truppen aus Afrika und Indien in die Schlacht ziehen, aber ihre Sichtweise wird komplett ausgeblendet. Das liegt vermutlich daran, dass in den Sechzigerjahren, als die Kolonien bereits weitgehend Geschichte waren, kein großes Interesse an den Erlebnissen jener Veteranen bestand. Man kann es Jackson nicht zum Vorwurf machen, da er diese Interviews nicht geführt hat, aber ein kleines Geschmäckle bleibt dennoch.

Das weitaus größere Problem ist allerdings die Verzerrung der geschichtlichen Ereignisse. Da keine Historiker, sondern nur einfache, ehemalige Soldaten zu Wort kommen, fehlt ein historischer Abriss der Ereignisse ebenso wie eine zeitgeschichtliche Bewertung. So entsteht der Eindruck, der Krieg habe knapp ein Jahr gedauert und irgendwo im Norden Frankreichs und in Belgien stattgefunden. Und gekämpft wurde ausschließlich auf dem Boden. Bei einer ordentlichen Dokumentation hätte man wenigstens einige Hintergrundinformationen erwarten können, und sei es als Texteinblendung am Ende.

Das Pfund, mit dem Jackson wuchern kann, ist die sorgsame und aufwändige Digitalisierung und Aufarbeitung des Filmmaterials. Die Bilder sind scharf, sie sind farbig und haben Ton. Man hört das Rumpeln der ersten Panzer, das Dröhnen der Kanonen, die Detonation der Bomben. Auch die Stimmen der jungen Männer, manche davon erst 16 oder 17 Jahre alt, werden lebendig. Das ist überaus beeindruckend und stellenweise bewegend. Leider wurde nur das Material bearbeitet, das mit dem Krieg zu tun hat, wobei es naturgemäß keine Aufnahmen von den eigentlichen Angriffen gibt, dafür jede Menge erschütternder Bilder von zerfetzten Leichen und blutüberströmten Verwundeten. Leider sind die Szenen, die man am Anfang und am Ende sieht und die von der Rekrutierung, der Ausbildung und später von der Zeit nach dem Krieg handeln, wieder schwarzweiß und stumm. Man fragt sich, ob das Absicht ist oder das Geld und die Zeit für eine Bearbeitung gefehlt haben.

Insgesamt liefert Jackson nicht genau das ab, was er im Trailer versprochen hat, doch die restaurierten Bilder sind in der Tat beeindruckend und vermitteln ein unmittelbares Erleben jener Schreckenszeit. Schön ist auch, dass das Fazit der Augenzeugen einstimmig ist: Nie wieder Krieg!

Note: 3

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Pi Jays Corner und verschlagwortet mit von Pi Jay. Permanenter Link zum Eintrag.

Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.