Suspiria

Ins Kino zu gehen ist momentan etwas schwierig: Auch ohne die berühmte Kino-Szene aus Outbreak im Hinterkopf zu haben, hat man ein ungutes Gefühl, wenn man sich in vollen Sälen oder dichten Menschenmassen aufhält. Noch ist das Risiko einer Ansteckung zwar relativ gering, dafür gibt es ein weiteres Problem: Was soll man sich anschauen, wenn immer mehr Starts verschoben werden? Und falls in Deutschland wie in den Nachbarländern die Kinos ganz geschlossen werden, bleibt einem sowieso nur noch das Heimkino.

Ich werde daher ebenfalls in nächster Zeit verstärkt über Filme berichten, die ich bei den Streamingdiensten oder auf DVD gesehen habe. Den Anfang macht ein Horrorfilm. Irgendwie passend zur apokalyptischen Stimmung, die sich beim Betrachten der Nachrichten breit macht. Es ist der erste Film, den Luca Guadagnino nach Call Me By Your Name gemacht hat, über den ich letzte Woche geschrieben habe, und man kann ihn bei Amazon Prime sehen.

Suspiria

Patricia (Chloë Grace Moretz) sucht den Psychiater Dr. Klemperer (Tilda Swinton) auf, um ihm von unheimlichen Vorkommnissen in der Helena-Markos-Tanzakademie zu berichten, in der sie studiert: Sie glaubt, diese beherberge einen Hexenzirkel, der sie für ein blutiges Ritual benutzen möchte. Der Arzt diagnostiziert Wahnvorstellungen. Als Patricia jedoch spurlos verschwindet, beginnt er, Nachforschungen anzustellen.

Inzwischen hat die Amerikanerin Susie (Dakota Johnson), die aus einer strengreligiösen Mennoniten-Familie in Ohio stammt, ihren Unterricht an der Akademie begonnen und Patricias Platz eingenommen. Vor allem die Leiterin Blanc (Tilda Swinton) ist von ihr begeistert. Doch nach und nach erkennt Susie, dass es in der Einrichtung nicht mit rechten Dingen zugeht …

Die Handlung des Films spielt im Berlin des Jahres 1977, vor dem Hintergrund der Schleier-Entführung und des Kidnappings der „Landshut“ durch die RAF. 1977 war auch das Entstehungsjahr des gleichnamigen Originals von Dario Argento. Die Story erneut in Deutschland anzusiedeln, lag nahe, sie aber mit der deutschen Geschichte – sowohl mit dem deutschen Herbst als auch mit der Nazizeit – in Verbindung zu setzen, ist äußerst geschickt und gut durchdacht. Es geht um Terror, den Terror eines unterdrückerischen Regimes auf der einen Seite, den Terror durch eine politische Splittergruppe auf der anderen. Gleichzeitig regieren auch die Hexen ihre Akademie mithilfe von Unterdrückung, Manipulation und Angst.

Im Film wird mehrfach auf die Situation der Frauen an sich verwiesen, ihre Hilflosigkeit, ihre Abhängigkeit von den Männern. Dass der Film schließlich zur Zeit der #Me-Too-Bewegung entstand und nach über zehn Jahren der Vorbereitung endlich grünes Licht bekam, kann daher ebenfalls kaum Zufall gewesen sein. So erzählt Regisseur Luca Guadagnino einiges über Macht und Manipulation, das Verhältnis von offenen Machtstrukturen und geheimem Widerstand als permanenter Konflikt, der auch, wenn jedoch nicht ausschließlich, zwischen den Geschlechtern ausgetragen wird.

So bemerkenswert die metaphysische Ebene des Films ist, und so visuell eindrucksvoll Guadagnino auch erzählt, inhaltlich lässt die Story doch zu wünschen übrig. Zu viel wird viel zu früh preisgegeben, das zentrale Geheimnis gelüftet, ohne einen adäquaten Ersatz zu bieten. In den Details, vor allem in den biografischen, wird dagegen das Meiste nur angedeutet, aber wenig preisgegeben, was schade ist, weil es den Figuren mehr Tiefe verliehen hätte. Einiges bleibt sogar rätselhaft.

Mit über zwei Stunden Laufzeit schleichen sich vor allem in der zweiten Hälfte einige Längen ein. Warum Tilda Swinton eine Doppelrolle spielt, ist ebenfalls nicht erkennbar, auch wenn sie ihre Sache gut macht. Man sollte den Film unbedingt im Original schauen, sehr viele Dialoge sind ohnehin auf Deutsch, und der Mischmasch aus Englisch, Deutsch und Französisch unterstreicht die Atmosphäre in der Akademie.

Die erste Hälfte ist so geheimnisvoll, gruselig und atmosphärisch dicht, dass es ein Vergnügen ist, der Geschichte zu folgen. Leider kann der Film in der zweiten Hälfte nicht dieses Niveau halten oder die gemachten Versprechungen einlösen. Neben den Längen kommt ein bizarres, surreales Finale hinzu, das vor allem von wahren Blutfontänen und jeder Menge Geschrei dominiert wird, erzählerisch aber eher enttäuscht. Daraus hätte man viel mehr machen können.

Note: 3-

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.