Die Weite der Nacht

In letzter Zeit bin ich bei der Auswahl von Filmen etwas glücklos. Es war viel solide Durchschnittsware dabei, aber leider auch vieles, das mich enttäuscht hat. Bin ich zu wählerisch, zu anspruchsvoll? Ist es einfach nur Pech? Oder ist die Qualität in letzter Zeit schlechter geworden? Bei den Streamingdiensten gibt es leider nicht immer die Möglichkeit, einen Trailer zu sehen, insbesondere bei Amazon Prime wird häufig darauf verzichtet, einen Trailer für die Eigenproduktionen zu schneiden, so dass man quasi die Katze im Sack kaufen muss. Gelegentlich gibt es aber Kritiken zu diesen Produktionen, die – wie bei diesem Film – sogar positiv ausfielen. Grund genug also, einen Versuch zu wagen.

Die Weite der Nacht

Ein Einspieler in einem uralten Schwarzweiß-Fernseher macht gleich zu Beginn darauf aufmerksam: Dies ist eine Erzählung aus einer Reihe à la Twilight-Zone. Ende der Fünfzigerjahre in einem kleinen Kaff irgendwo in New Mexico freuen sich alle Einwohner auf ein Basketballspiel der örtlichen High-School-Mannschaft. Nur Everett Sloan (Jake Horowitz) hat Dienst im lokalen Radiosender, auch wenn ihm vermutlich kaum jemand zuhören wird, und Fay Crocker (Sierra McCormic), die mit ihm in dieselbe Klasse geht, hat Dienst in der Telefonzentrale. Dort empfängt sie auf einmal ein merkwürdiges Signal, das sie nicht zuordnen kann, und bittet Everett um Hilfe. Ein Radioaufruf führt zum Anruf eines ehemaligen Soldaten, der vor Jahren zu einem Geheimauftrag in der Wüste unterwegs war und dort eine Halle für ein geheimes Objekt bauen musste, von dem ebenfalls dieses Signal ausging …

Man kann es sich denken: Es geht um UFOs. Mitten in der Corona-Epidemie, Ende April, veröffentlichte das Pentagon mehrere Videos, auf denen unidentifizierbare fliegende Objekte zu sehen sind. UFOs? Wer weiß das schon, auch wenn viele Gläubige davon überzeugt sind, dass es sich um solche handelt. Immerhin sind die Videos echt, und man kann sich selbst ein Bild davon machen, wenn man will.

In den Fünfzigerjahren, die gute alte Zeit Amerikas, wie wir ja inzwischen wissen, gab es mehr UFOs, und einige Menschen fürchteten sich vor einer Invasion Außerirdischer. In den Filmen standen die Aliens jedoch eher für die Russen, mit denen man sich einen Kalten Krieg und einen Wettlauf um die Vorherrschaft im All lieferte. Auch Everett vermutet daher zuerst die Sowjets hinter den Signalen, vielleicht sogar eine Invasion über die nahe mexikanische Grenze.

Man erfährt nicht allzu viel über die beiden jugendliche Hauptfiguren. Everett ist technikaffin, wirkt abgeklärt, beinahe zynisch und will Karriere bei einem Radiosender in Kalifornien machen. Fay dagegen ist naiver, bodenständiger, dabei aber auch realistisch genug, um zu wissen, dass sie mit einer alleinerziehenden Mutter nie das Geld für ein College aufbringen wird. Telefonistin zu werden, ist da beinahe ihre einzige Option, aber auch sie will den Staub des Wüstenkaffs abschütteln und in die weite Welt hinaus.

Zunächst gibt es aber die Weite der Nacht mit ihren Geheimnissen, denen die beiden auf den Grund gehen wollen. Dazu brauchen sie sehr lange. Die ersten zwanzig Minuten des gut anderthalbstündigen Films passiert erst einmal: gar nichts. Es wird viel geredet, zumeist über Aufnahmegeräte und Eichhörnchen. Ein Eichhörnchen hat vor einiger Zeit einen Stromausfall verursacht, als es in ein Kabel biss. Diese Geschichte muss für viel Aufregung in der Stadt gesorgt haben, denn sie wird in den ersten Minuten gleich dreimal erzählt. Manchmal sind es aber auch Ratten oder Eulen, die für Probleme sorgen.

Die ganze Zeit über folgt die Kamera den beiden Hauptfiguren auf ihrem Weg kreuz und quer durch die Sporthalle und dann zu ihren Arbeitsstellen. Bis die Geschichte endlich beginnt, ein klein wenig interessant zu werden, kämpft man bereits mit dem Schlaf. Und wünschte, ein Eichhörnchen würde das Fernsehkabel durchbeißen.

Regisseur Andrew Patterson, der auch am Drehbuch mitschrieb, ist zumindest ambitioniert, und er versucht, so viel wie möglich aus seinem mageren Budget herauszuholen. Man kann die mobile Kamera loben, gleichzeitig fragt man sich aber, was dieser Filter soll, der alle Bilder aussehen lässt, als würde man sie wie durch eine schmutzige Gardine betrachten. Oder warum sich Teile des Films dann wieder als TV-Serie in dem Schwarzweiß-Fernseher abspielen.

Ansonsten wird sehr viel geredet. Eigentlich ununterbrochen. Ein Anrufer erzählt die Geschichte, wie er dem Militär half, ein UFO zu verstecken, eine Frau berichtet von ihrer Begegnung mit Außerirdischen, die ihren Sohn entführt haben. Zum Schluss gibt es noch ein wenig Aktionismus und dann eine kleine Überraschung, mit der alle Fragen beantwortet werden. Falls man bis dahin noch wach ist.

Hardcore-Fans von Science-Fiction-Filmen, die etwas reichlich Geduld mitbringen, dürften vielleicht auf ihre Kosten kommen. Allen anderen seien bessere Filme zu dem Thema empfohlen, etwa Unheimliche Begegnung der dritten Art oder sogar den kürzlich hier vorgestellten Dark Skies.

Note: 4

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.