Emma.

Wahrscheinlich ist Colin Firth schuld an der Flut von Jane Austen-Verfilmungen, die in schöner Regelmäßigkeit über uns hereinbrechen. Genauer gesagt, schuld ist sein Auftritt als Mr. Darcy im BBC-Mehrteiler Stolz und Vorurteil und vor allem seine berühmte Badeszene, die nicht nur den weiblichen Zuschauern den Kopf verdreht und Helen Fielding zu Bridget Jones inspiriert sowie zahlreiche weitere Filme und Serien beeinflusst hat, sondern der inzwischen sogar ein Denkmal gesetzt wurde. Gab es in den fünfundfünfzig Jahren davor „nur“ 18 Austen-Verfilmungen, sind in dem Vierteljahrhundert danach bislang bereits über dreißig (!) weitere hinzugekommen, die sich mit Leben und/oder Werk der Autorin beschäftigten.

Doch heute geht es nicht um Stolz und Vorurteil, sondern um Emma. Als der Roman 1816 erschien, war Jane Austen bereits als Autorin etabliert, doch das Buch wurde eher gemischt aufgenommen. Sir Walter Scott lobte es zwar in den höchsten Tönen, doch andere der insgesamt acht Kritiker hielten das Werk für langweilig und handlungsarm, es mangelte angeblich an Romantik und Leidenschaft. Später geriet Jane Austen etwas aus der Mode, und in der Literaturwissenschaft wurde sie eher für ihren Stil, die formale Perfektion ihrer Romane und den Realismus ihrer Werke bewundert, während man gleichzeitig eine Abwesenheit zeitgenössischer Themen beklagte. Das änderte sich erst Mitte der Siebzigerjahre. In der modernen Rezeption wird sehr viel auf die Gesellschaftskritik, insbesondere auf Austens Position zur Stellung der Frau in ihrer Zeit eingegangen, und der Blick auf ihr Werk hat sich – vermutlich unter dem Einfluss des Feminismus – grundlegend geändert.

Hollywood wurde erst 1940 auf Jane Austen aufmerksam, als Stolz und Vorurteil – sehr frei – mit Laurence Olivier verfilmt wurde. Danach wurden die Bücher vor allem von der BBC wieder und wieder aufbereitet. Doch dann kam, wie gesagt, Colin Firth … Okay, fairerweise sollte man sagen, dass 1995 auch Amy Heckerlings Emma-Neuinterpretation Clueless – Was sonst! (die ich mir irgendwann vielleicht auch einmal ansehen sollte) sowie Ang Lees Sinn und Sinnlichkeit und Roger Michells Jane Austens Verführung in die Kinos kamen und weitere Adaptionen bereits in Vorbereitung waren. Austen war halt plötzlich in – es klingt nur witziger, Firths Auftritt als männliche Badenixe für diesen Boom verantwortlich zu machen, zumal sein enormer popkultureller Einfluss nicht zu verleugnen ist …

Emma diente seit 1948 bereits neunmal als Vorlage und wurde 1996 sogar gleich zweimal adaptiert, einmal fürs Kino mit Gwyneth Paltrow und einmal fürs Fernsehen mit Kate Beckinsale als Titelfigur. Beide Versionen sind ziemlich gut, aber inzwischen etwas in die Jahre gekommen, und auch wenn es 2009 noch eine weitere, nicht ganz so gut gelungene Verfilmung als Mini-Serie gab, wurde es wohl Zeit für eine Neuinterpretation.

Mir hat der Trailer dazu leider überhaupt nicht gefallen, er war mir viel zu albern, und auch wenn ich mir den Film wahrscheinlich dennoch im Kino angesehen hätte, kam mir so ein dummes, kleines Virus dazwischen. Inzwischen ist er jedoch bei Sky abrufbar, und so habe ich mir endlich die Zeit dafür genommen.

Emma.

Emma (Anya Taylor-Joy) ist überzeugt, sehr erfolgreich die Vermählung ihrer Gouvernante (Gemma Whelan) mit dem wohlhabenden Nachbarn Mr. Weston (Rupert Graves) eingefädelt zu haben, weshalb sie nun auf die Idee kommt, die uneheliche Miss Smith (Mia Goth) mit dem eitlen Vikar Mr. Elton (Josh O’Connor) zu verkuppeln. Ihr Nachbar Mr. Knightley (Johnny Flynn) warnt sie zwar davor, sich in die Herzensangelegenheiten anderer einzumischen, doch Emma ist davon überzeugt, genug Menschenkenntnis zu besitzen, um zu wissen, was sie tut …

Der Inhalt der Geschichte sollte bei so vielen Verfilmungen hinreichend bekannt sein, um auf weitere Details zu verzichten. Das Drehbuch von Eleanor Catton fasst immerhin sämtliche relevanten Handlungsstränge der Vorlage zusammen, beschreibt die Figuren so, wie sie auch im Roman vorkommen, und bedient sich fleißig bei Jane Austens brillanten Dialogen. Insgesamt kann man diese Texttreue loben.

Aber gerade, weil es bereits so viele Fassungen derselben Geschichte gibt, kommt es zum einen auf die Details an und zum anderen auf die Interpretation des Stoffes im historischen Kontext. Betrachtet man die Ausstattung und die Kostüme, gibt es an dem Regie-Debüt von Autumn de Wilde nicht viel zu meckern. Man merkt, dass sie aus der Werbung kommt, denn jede Einstellung ist so pittoresk, dass man sie sich gerahmt an die Wand hängen könnte. Stellenweise wirkt das Set jedoch überproduziert, gibt es zu viele knallige Farben, zu viel Dekor und zu viele Schwenks auf die üppige Ausstattung der Herrenhäuser, die viel zu prächtig sind für den beschriebenen niederen Landadel. Auch bei den an sich wunderschönen Kostümen gibt es den einen oder anderen Fehlgriff, es würde mich aber auch nicht wundern, bekäme Alexandra Byrne dafür ihren zweiten Oscar.

Alles in allem ist diese Neuverfilmung, so hübsch anzuschauen und so romantisch sie auch ist, etwas enttäuschend. Der Geschichte mangelt es an psychologischer Tiefe und Subtilität, die Jane Austens Buch auszeichnen. Vieles wird zu direkt erzählt, und in Kombination mit so manchen Albernheiten wie dem „Dienstbotenballett“, das sich immer wieder im Hintergrund einer Szene abspielt, oder Josh O’Connors Grimassen wirkt die Story oberflächlich und unausgewogen. Auch die Sozialkritik Austens kommt viel zu kurz, dabei wäre sie ein gelungener Aspekt, um den Stoff mit unserer Gegenwart zu verknüpfen.

An den Schauspielern liegt es nicht. Anya Taylor-Joy ist eine überzeugende Emma, Miranda Hart eine vorzügliche Miss Bates, und Bill Nighy macht noch das Beste aus seiner winzigen Rolle, während Johnny Flynn als Mr. Knightley etwas zu jung und zu wenig charismatisch ist. Immerhin trägt er mit dem Abspann-Song zum bemerkenswerten Soundtrack bei. Und wer weiß? Vielleicht hatten die Macher ja ebenfalls Colin Firth und die Wellen, die sein Bad im See geschlagen hat, im Sinn, als sie Mr. Knightley bei seinem ersten Auftritt mit blankem Hinterteil präsentieren …

Note: 3+

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.