Wayne

Pro7 Fun war bis vor ungefähr einem Jahr ein Sender, den ich nicht wirklich auf dem Radar hatte und von dem ich dachte, dass er eine weitere Abspielplattform des bekannten Privatsenders ist. Doch dann startete dort letztes Jahr Evil, die neue Serie von Robert und Michelle King, die für mich seit Jahren zu den aufregendsten Kreativen der amerikanischen Fernsehlandschaft gehören.

Kürzlich lief dort Wayne, eine von You Tube entwickelte schwarzhumorige Dramaserie für ein jüngeres Publikum, die hoch gelobt ist und mitunter auch als Actionserie beschrieben wird, was nicht ganz falsch, bei genauerer Betrachtung aber irreführend ist, wenn man dann beispielsweise Jonathan Tropper-Produktionen wie Banshee oder Warrior erwartet. In jedem Fall war es Grund genug für mich, einmal einen Blick zu riskieren.

Wayne (Mark McKenna) ist ein problematischer Teenager aus Brockton in Massachusetts, der zu Gewaltausbrüchen und Wortkargheit neigt. Ausgestattet mit einem ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit, setzt er sich häufig für Schwächere ein – indem er ihre Peiniger vermöbelt und dabei auch selbst eine Menge Prügel einsteckt. Einer seiner Schützlinge ist Orlando (Joshua J. Williams), den er regelmäßig vor den Bullies in der High-School beschützt und der sein einziger Freund ist.

Für Wayne ändert sich alles, als eines Tages Del (Ciara Bravo) vor seiner Tür steht, um ihm Kekse zu verkaufen, und er sich in sie verliebt. Doch Del hat einen gewalttätigen Vater (Dean Winters), der Wayne bei ihrer ersten Begegnung zusammenschlägt, und zwei aggressive, aber strunzdumme Brüder, die nicht viel besser sind.

Als ihr Vermieter sie vor die Tür setzen will, obwohl Waynes Vater gerade an Krebs stirbt, zündet der Junge das Haus mit dessen Leiche darin an und macht sich auf den Weg nach Florida. Dort lebt seine Mutter (Michaela Watkins), die die Familie verlassen hat, als Wayne noch ein Kind war. Damals hat sie das einzige mitgenommen, das Waynes Vater besessen hat: einen ‘79er Pontiak TransAm. Wayne will dieses Auto, sein Erbe, unbedingt zurück und macht sich mit seinem aufgemotzten Mofa auf die Reise nach Süden. Als er sich von Del verabschieden will, beschließt sie, ihn zu begleiten, was ihr Vater mit Gewalt verhindern möchte, woraufhin Wayne ihm im Kampf die Nase abbeißt …

Dies ist eine Zusammenfassung der ersten Episode und zeigt recht gut, worum es in der Serie geht: Prügeleien und skurrile Begebenheiten. Creator Shawn Simmons beweist damit einerseits einen sehr trockenen Sinn für Humor, andererseits überrascht er immer wieder mit unerwarteten Wendungen. Die Story erinnert in ihren Grundzügen entfernt an David Lynchs Wild at Heart, denn das junge Paar wird von einigen Leuten verfolgt: Neben Dels Vater und Brüdern sind auch der örtliche Sheriff und sein Deputy sowie der Schuldirektor und Orlando unterwegs nach Florida, wo es nicht nur zu einem Zusammentreffen mit Waynes lang verschollener Mutter kommt, sondern auch noch eine Stieffamilie auf ihn wartet, die es in sich hat.

Unterwegs erleben Wayne und Del einige Abenteuer, sie treffen neue Freunde, machen sich noch mehr Feinde und müssen sich darüber hinaus mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen, die voller schmerzhafter Erinnerungen ist. Das alles wird, bei aller Derbheit und Skurrilität mit überraschend viel Feingefühl und Zärtlichkeit für die geschundenen Hauptfiguren erzählt, denen in ihrem jungen Leben bislang nichts geschenkt wurde.

In ihrer Kompromisslosigkeit und der drastischen Darstellung von Teenagernöten steht Wayne in nichts der britischen Hit-Serie Skins nach. Das Geflecht der Geschichte ist darüber hinaus überaus dicht verwoben, greift immer wieder alte Fäden auf, spinnt sie fort und lässt sie manchmal in einem völlig neuen Licht erscheinen, so dass man immer wieder überrascht wird, wie fein die Verästelungen der Erzählung sind und wie klug vieles vorbereitet wurde. Auch die Nebenfiguren bekommen starke Konturen und unverwechselbare Stimmen, was sie eindeutig über das Gros der Teenagerserien hinaushebt. Sicher, einige sind berzeichnet und schrammen manchmal dicht an der Karikatur vorbei, aber man muss Simmons immerhin zugutehalten, dass seine Figuren originell und unvergesslich sind. Eine Entdeckung sind vor allem die beiden Hauptdarsteller: McKenna, der eigentlich Musiker ist und den man aus Sing Street kennt, agiert wie ein moderne Buster Keaton, während Bravo ihre Del als rotzige Göre anlegt, die immer wieder überraschend verletzlich wirkt.

Das Einzige, womit ich anfangs Probleme hatte, war der digitale Look, der ein bisschen zu billig aussieht, aber wenn man sich erst daran gewöhnt hat, wird man mit einer Erzählung belohnt, die einen von Episode zu Episode mehr ans Herz wächst und in ihren Bann zieht. Skurril und schwarzhumorig, mitunter erschreckend brutal, dann auch überraschend zärtlich und sensibel erzählt, ist Wayne ist eine echte Entdeckung und für mich eine der besten Serien des Jahres.

Wayne ist im Angebot von Pro7 Fun und Joyn zu sehen.

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.