Spätestens mit seinem oscarprämierten Parasite ist Regisseur Bong Joon-ho in die erste Liga der internationalen Filmemacher aufgestiegen. Der Südkoreaner brilliert meist mit beißender Gesellschaftskritik, die sich mehr oder weniger subtil in seinen Genrefilmen versteckt, und gilt daher vornehmlich als politischer Regisseur.
Auch wenn ich Parasite insgesamt gelungen fand, die wohlüberlegte, geradezu akribisch durchkomponierte Bildsprache mochte, erschienen mir gerade die sozialkritischen Komponenten ein wenig zu aufgesetzt und die Story insgesamt zu dürftig, sogar stellenweise abstrus. Für seine groteske und überdrehte Horrorsatire The Host von 2006 konnte ich mich hingegen überhaupt nicht erwärmen.
Aller guten Dinge sind bekanntlich drei, und so habe ich mich an Memories of Murder gewagt, einen Thriller über den ersten bekannten südkoreanischen Serienmörder, der bei Prime Video zu sehen ist und einen sehr guten IMDb-Wert besitzt.
Memories of Murder
Als eine gefesselte, brutal zugerichtete Frauenleiche in einem Abwassergraben in der südkoreanischen Provinz auftaucht, geht bei den Ermittlungen alles schief: Spuren werden vernichtet, Beweise nicht fachgerecht aufgenommen, und auch sonst machen die Beamten in den Augen von Detective Park Doo-man (Kang-ho Song) alles falsch. Zusammen mit seinem „Mann fürs Grobe“, Sergeant Shin Ban-jang (Song Jae-ho), gelingt es ihm jedoch, ein Geständnis aus einem geistig zurückgebliebenen Mann herauszuprügeln. Doch der Sonderermittler Seo Tae-yoon (Kim Sang-kyung), der aus Seoul zum Team dazustößt, findet schnell heraus, dass der Verdächtige nicht der Mörder sein kann. Einige Zeit vergeht, weitere Morde geschehen, und obwohl die Beamten immer neue Hinweise entdecken und dem Serientäter näher kommen, ist er ihnen immer eine Nasenlänge voraus …
Die Geschichte hat alles, was einen spannenden Kriminalfall und einen gelungenen Thriller ausmachen: Spektakuläre Morde, rätselhafte Hinweise – die Opfer tragen immer Rot, die Morde geschehen jedes Mal bei Regen und zu einem Zeitpunkt, an dem ein bestimmtes Lied im Radio gespielt wird – und einen interessanten geschichtlichen Hintergrund. 1986 befand sich Südkorea an einem Scheideweg, die Jahre der Militärdiktatur neigten sich ihrem Ende entgegen, Forderungen nach Freiheit und Demokratie wurden immer lauter und setzten sich im Folgejahr schließlich durch. Das Land erlebte einen wirtschaftlichen Aufschwung und schaffte den Übergang zur Demokratie.
Man bekommt am Rande ein klein wenig von diesen Veränderungen mit, wenn im Fernsehen von Protesten die Rede ist oder korrupte Beamte überführt und verurteilt werden. Auch die Kommissare, die mit Gewalt und Folter Geständnisse erzwungen haben, sind nicht mehr unantastbar, vor allem Shin Ban-jang gerät ins Fadenkreuz der Behörden, und auch die Presse lässt sich nicht mehr einschüchtern.
Das alles macht den Film zu einem interessanten Stück Zeitgeschichte, reicht aber nicht aus, den Zuschauer bei der Stange zu halten. Gewiss, es ist faszinierend, in das alte Korea einzutauchen, das so düster, grau und deprimierend wirkt wie der Ostblock, ein schmutziges, trostloses Niemandsland voller unglücklicher Menschen. In den letzten Minuten springt die Erzählung dann in die Gegenwart des Jahres 2003, und der Kontrast könnte nicht größer sein.
Doch Memories of Murder ist in erster Linie ein Thriller, und als solcher funktioniert er leider nur bedingt. Wie immer ist Bong Joon-hos Bildsprache meisterhaft, sind die Szenen, die häufig im Regen spielen, düster, verwaschen und voller Anleihen an den klassischen Hollywood-Thriller. Gelegentlich kommt sogar ein wenig Spannung auf, wenn die Ermittler einen Tatverdächtigen verfolgen oder beobachten, aber alles in allem kann der Film als Thriller nicht überzeugen, gibt es doch zu viele Längen, zu viele Wiederholungen im Handlungsablauf, zu viele Schwächen in der Figurenzeichnung.
Zudem gibt es leider keine einzige sympathische Figur. Man kommt den unterschiedlichen Ermittlern nicht nahe, obwohl Bong Joon-ho, der auch am Drehbuch mitgearbeitet hat, mitunter private Szenen einstreut. Diese wirken jedoch so willkürlich und beliebig, dass man sich fragt, wozu sie gebraucht werden. Erschwerend kommt hinzu, dass die Beamten entweder unfähig oder brutal sind, meistens jedoch beides. Mit wem soll man sich da identifizieren? Zwar macht Park Doo-man im Verlauf der Geschichte eine Entwicklung zum Positiven durch, erkennt gegen Ende, dass seine Methoden falsch sind, doch kommt dies reichlich spät.
Neben den Längen gibt es aber auch abrupte Sprünge in der Handlung, die so überraschend kommen, dass ich mich mitunter gefragt habe, ob ich nicht für einige Minuten eingenickt bin. Glaubt man anfangs, es nur mit einem unaufgeklärten Mord zu tun zu haben, ist plötzlich von zwei weiteren toten Frauen die Rede, die nie vorgestellt oder gezeigt wurden, und gegen Ende werden auch einige Figuren aus dem Ermittlerteam auf unspektakuläre und unemotionale Weise abgeräumt. Überall erkennt man verpasste Chancen oder vertane Möglichkeiten.
Bong Joon-ho ist jedoch zu versiert, um solche Fehler zu machen. Diese Sprünge sind vermutlich gewollt, ebenso wie der ungelenk wirkende Genremix, der Thriller und Komödie auf unpassendste Art und Weise miteinander kombiniert, oder das authentische, aber wenig befriedigende Ende.
Alles in allem hat mich auch dieser dritte Film des Regisseurs nicht zu einem Fan werden lassen. Man kann einiges an Memories of Murder loben, insgesamt überwiegen aber die negativen Aspekte. Ein spannender Thriller, wie er in den Kurzbeschreibungen versprochen wird, ist er leider nicht, hätte es aber werden können. Vielleicht waren aber auch meine Erwartungen zu hoch.
Note: 4+