Über fünf Millionen Kinobesucher in Frankreich, in Deutschland hingegen ist der Erfolg überschaubar. Woran liegt es? An der Geschichte, die universell und zeitlos ist, allerdings auch nicht gerade vor Originalität strotzt? Am Trailer, der zwar gut gemacht ist und Action und Romantik verspricht, einem aber auch nicht das Gefühl der Einzigartigkeit vermittelt? Oder an den Schauspielern, die man auch hierzulande schon mal gesehen hat, die aber nicht zu Publikumslieblingen gehören?
Bei mir stand der Film in der Heiß-auf-Liste ganz oben, nachdem wir auf der Münchner Filmwoche ein längeres Promo gesehen hatten, das uns von der Qualität der Produktion überzeugt hat. Deshalb war es auch keine Frage, ihn gleich in der Startwoche im Kino zu sehen. Passend zum Frühling und den jahreszeitlich bedingten Gefühlen, startet wir mit diesem Beitrag in die Woche der Liebe.

Beating Hearts
Nach dem Unfalltod ihrer Mutter zieht Jackie (Mallory Wanecque) mit ihrem Vater (Alain Chabat) in eine Industriestadt an der nordfranzösischen Küste. In ihrer neuen Schule lernt sie Clotaire (Malik Frikah) kennen, der sie frech anmacht und der daraufhin von ihr in die Schranken gewiesen wird. Der junge Mann verliebt sich sofort in sie, bei Jackie dauert es etwas länger, aber am Ende werden sie ein Paar. Während Jackie eine gute Schülerin ist und etwas aus sich machen will, wirft Clotaire früh die Schule hin und gerät auf die schiefe Bahn. Er landet in einer Bande und nach einem Überfall, bei dem ein Sicherheitsbeamter stirbt, sogar im Gefängnis.
Zehn Jahre später will Clotaire (François Civil) wieder an seiner Beziehung zu Jackie (Adèle Exarchopoulos) anknüpfen, aber sie ist inzwischen mit dem Manager Jeffrey (Vincent Lacoste) verheiratet und führt ein bürgerliches Vorstadtleben.
Der Film beginnt mit einer nur angedeuteten Konfrontation zwischen dem erwachsenen Clotaire und seiner Bande und einer Gruppe von Gegnern. Es wird brutal und tödlich, und dann werden wir zurückgeschleudert in die Vergangenheit. Das Drehbuch, an dem auch Regisseur Gilles Lellouche mitgewirkt hat, folgt damit einem altbewährten dramaturgischen Konzept und beginnt mit einer Spannungsszene – die allerdings viel verrät und einen am Ende doch in die Irre führt. Das ist am Anfang enttäuschend, am Ende ein Ärgernis. Keine gute Voraussetzung für den Film.
Das Herz der Geschichte offenbart sich jedoch direkt im Anschluss, und es schlägt in den wilden Achtzigern und erzählt die Liebesgeschichte zwischen dem jugendlichen Paar. Hier stimmt einfach alles: Die Atmosphäre, die Darsteller, die Story. Lellouche schmuggelt sogar ein paar nette Fantasy-Momente ein, das pochende Kaugummi, das Clotaire gehört und von Jackie nach ihrem ersten Kuss als Liebespfand aufbewahrt wird, oder die Tanzszene, die den Moment illustriert, in dem sie sich verlieben. Das ist schön gemacht, fällt aber aus dem Rahmen, weil es – leider – nicht mehr solcher magischer Momente gibt.
Es hat schon lange nicht mehr einen Film gegeben, in dem so schwebelos, so einfach und doch so bedeutsam von der ersten Liebe erzählt wurde. Das Paar findet vielleicht ein wenig zu mühelos zusammen, doch die Konflikte ergeben sich in dieser Geschichte weniger aus den Figuren heraus, sondern durch die Entscheidungen, die sie treffen. Im Kern ist es jedoch eine tiefe, leidenschaftliche Liebesgeschichte, die auf dem 28 Jahre alten Roman Jackie Loves Johnser OK? des Iren Neville Thompson beruht.
Der französische Originaltitel des Films lautet L’amour ouf, wobei ouf wohl die Slangvariante von fou ist, und trifft damit den Nagel auf den Kopf. Denn diese Liebe ist leidenschaftlich und auch ein wenig verrückt. Sie definiert das ganze Leben der Protagonisten, lässt sie nicht los und verändert sie. Leider nicht unbedingt zum Besten. In Jackies Fall ist es eine zersetzende, erodierende Liebe, die sie nachhaltig verändern will.
Clotaire versteht man von Anfang an, vielleicht weil er ein Charakter ist, wie man ihn schon oft gesehen hat in der Filmgeschichte, in allen Epochen, in jedem Land. Er ist charmant, einnehmend, aber auch leichtsinnig, er will an Geld kommen, aber dafür den leichten Weg gehen. Autoritäten lehnt er ab, er will sich nicht anpassen, sondern sein Ding durchziehen, und wenn er dafür das Gesetz bricht, ist die Gesellschaft schuld, die ihn ausgrenzt. Er bricht die Schule ab, weil er keinen Förderunterricht will, weil das nur für Idioten ist, er aber keiner sein will. Auch wenn er viele Minderwertigkeitsgefühle wegen seiner mangelhaften Bildung hat. Am Ende ist die Gangsterkarriere für einen Typ wie ihn nur die logische Folge. Hat man schon oft gesehen.
Jackie ist die Einzige, die Clotaire wirklich sieht, seine Güte, sein im Grunde gutes Herz. Sie nimmt ihn, wie er ist. Und er verändert, verbiegt sie. Man lernt die junge Frau als schlagfertig, aufgeweckt und klug kennen, doch Clotaires Verrat, die Tatsache, dass er seine neue Gang und das Gangsterleben über ihre Liebe stellt, und seine Verhaftung in der Folge zerstören sie. Fortan ist Jackie alles gleichgültig, sie glaubt an nichts mehr, ist zynisch und verbittert, legt sich immer wieder mit anderen Menschen an. Hier grenzt die Liebe tatsächlich beinahe an eine Form der Geisteskrankheit, und sie zeichnet ein schwaches, schlechtes Bild von der Frau an sich. Ein Bild, das man inzwischen überkommen geglaubt hat. Ohne ihre Liebe, ohne den Mann an ihrer Seite ist eine Frau nichts? Sind wir schon wieder so weit?
Dieses verkorkste Frauenbild, diese misslungene Charakterzeichnung ist das größte Ärgernis eines an sich nicht schlechten Films. Die Hälfte, die von den beiden Jugendlichen handelt, ist großes Kino und nahezu perfekt, die Story der beiden Erwachsenen ist fehlerhaft, voller Längen und mit einem trügerischen Ende, das in seiner Profanität einen Hauch von Tristesse in sich trägt und mit seiner aufgesetzten Dramatik einen falschen Ton anschlägt.
Beating Hearts ist, als würde man zwei Filme sehen, der eine ist wild und wunderschön, der andere altmodisch und abgedroschen. Zusammen ergibt das eine seltsame Mischung, die einen nicht unbefriedigt, aber doch mit einem gewissen Maß an Enttäuschung zurücklässt.
Note: 3