Thunderbolts*

Aller guten Dinge sind drei, weiß der Volksmund bekanntlich, und tatsächlich lief in den ersten drei Phasen des Marvel Cinematic Universe alles bombig. Die Probleme traten mit Phase vier auf, als der Motor zu stottern und das Schiff zu schlingern begann. Zufällig fiel der Start dieser Phase mit dem Beginn der Pandemie zusammen, die ohnehin für eine Disruption des Marktes gesorgt hat, und dann kamen weitere Probleme hinzu: Den Zuschauern gefielen weder die neuen Helden noch waren sie mit den jüngsten Abenteuern der alten Superhelden glücklich. Auch die Serien, die bei der damals noch recht neuen Streamingplattform Disney+ erschienen, waren oft Hit and Miss.

Das größte Problem, meiner Meinung nach, war jedoch, dass man als Zuschauer keine Ahnung hatte, wohin die Reise gehen sollte. Die Infinity Saga, die mit Phase drei endete, hatte starke und beliebte Helden, deren Einzelabenteuer unterhaltsam waren, aber immer auch auf ein noch größeres hindeuteten: den Kampf gegen Thanos. Die Multiversum Saga hingegen hatte eher ungeliebte Helden in schwachen Filmen und zeichnete sich durch Orientierungslosigkeit und Willkür aus – und in der Folge schwächelnde Einnahmen an den Kinokassen. In der Serie Loki tauchte schließlich Kang oder Jener, der bleibt auf, und eine Weile konnte man annehmen, dass er der neue Bösewicht werden würde, doch sein Darsteller bekam dann juristische Probleme und stand nicht mehr zur Verfügung. Bei Marvel war man klug genug, die Zeichen zu erkennen und die Notbremse zu ziehen, was gewissermaßen in Deadpool & Wolverine geschah.

Mit Thunderbolts* geht nun Phase vier zu Ende, und man kann die Erleichterungsseufzer aus Hollywood bis hierher hören. Oder sind es unsere eigenen? Passenderweise hat der erste Film aus Phase fünf den Untertitel First Steps, und mit den Fantastic Four sind auch überaus beliebte Helden am Start, die ebenfalls einen Neuanfang gebrauchen können. Und ein neuer Ober-Superschurke wirft im Trailer auch schon seinen riesigen Schatten voraus. Wird nun alles wieder gut im MCU? Das wird die Zukunft zeigen, doch bislang sieht es vielversprechend aus.

Auch die Frage, was das Sternchen im Titel zu bedeuten hat, wurde inzwischen geklärt, denn der Film heißt nun … Tja, so genau weiß ich das auch nicht, da es verschiedene Versionen gibt.

Thunderbolts* / *The New Avengers

Nach dem Tod ihrer Schwester ist die ehemalige Black Widow Yelena (Florence Pugh) deprimiert und ausgebrannt. Sie arbeitet für die CIA-Direktorin Valentina Allegra de Fontaine (Julia Louis-Dreyfus) als eine Art Cleaner in einer geheimen, nicht genehmigten Undercover-Organisation, die eine Menge illegale Aktivitäten zu verantworten hat. Weil diese in einer Kongressanhörung nun aufzufliegen drohen, lässt Valentina Yelena noch schnell medizinische Labore und andere Einrichtungen zerstören. Als sie den Auftrag erhält, den Einbruch in eine versteckte Lagerhalle zu verhindern und die Diebin, Ghost alias Ava Starr (Hannah John-Kamen), zu töten, läuft sie jedoch geradewegs in eine Falle.

Der Anfang ist kompliziert. Die Geschichte, die sich die beiden Drehbuchautoren Eric Pearson und Joanna Calo ausgedacht haben, steht zunächst auf recht wackeligen Beinen. Es ist schwer vorstellbar, dass ein Kongressausschuss, der Valentinas Machenschaften durchleuchten und sie für ihr Fehlverhalten des Amtes entheben will, bislang noch überhaupt keine Beweise gesammelt haben soll. Dem neugewählten Abgeordneten Bucky Barnes (Sebastian Stan) kommt Valentinas anmaßendes Verhalten jedenfalls sehr verdächtig vor, weshalb er seine eigenen Untersuchungen startet und Valentinas Assistentin Mel (Geraldine Viswanathan) umdrehen möchte, die tatsächlich langsam Skrupel bekommt.

Mit Valentina hat nun eine Figur Einzug gehalten, die mehr als jede vorherige an die zwielichtigen, skrupellosen und bizarren Politiker erinnert, die heutzutage die amerikanische Politik bevölkern. Vielleicht mit dem Unterschied, dass Valentina wesentlich cleverer ist als ihre realen Vorbilder. Und sie ist auch klug genug, um ihre dunklen Machenschaften zu vertuschen, wobei sie auch vor Mord nicht zurückschreckt. Die Zeiten, in denen das Gute obsiegt und die Bösen bestraft werden, scheinen vorbei zu sein.

Für ihre illegalen Machenschaften rekrutiert sie versprengte Black Widows wie Yelena, aussortierte Helden wie John Walker (Wyatt Russell), der mal für eine Weile Captain America war und bereits in der Serie The Falcon and the Winter Soldier auftauchte, und Einzelgänger wie Taskmaster (Olga Kurylenko), Yelenas Nemesis aus Black Widow. Mit der Konfrontation zwischen den hartgesottenen Kriegern erreicht der Film seinen ersten Höhepunkt – und von da an wird es zum Glück besser.

Das Pfund, womit Thunderbolts* wuchern kann, ist der Humor, der nicht zu kurz kommt und den Film sehr unterhaltsam macht. Wenn man lachen kann – und das kann man oft – ist man auch eher bereit, über die ein bisschen dürftige Story und einige Fehlentscheidungen hinwegzusehen. Dazu gehören beispielsweise der unrühmliche Abgang von Taskmaster oder die viel zu abrupten und nur unzureichend nachvollziehbaren charakterlichen Wandlungen einzelner Figuren. Das ist teilweise Psychologie mit dem Holzhammer.

Immerhin haben sich die Autoren bei Yelena und ihrem Ziehvater Alexei (David Harbour) mehr Mühe gegeben. Beide treiben etwas ziellos umher und suchen nach einem neuen Sinn in ihrem Leben. Vor allem der ehemalige Red Guardian will es noch einmal wissen und sehnt sich nach Ruhm und Anerkennung. Hier kann Harbour wieder einmal beweisen, was für eine Naturgewalt er sein kann – und wie witzig. Er ist das Herz und die Seele des Films.

Die zweite Figur, für die man sich schnell erwärmt, ist der tapsige, unter Amnesie leidende Bob (Lewis Pullman), der in der geheimen Lagerhalle aufwacht, als mitleidslos entsorgtes Objekt eines gescheiterten Programms. Natürlich weiß jeder aufmerksame Zuschauer, dass dieses Programm vielleicht doch nicht so ganz gescheitert ist und in Bob mehr steckt, als es zunächst den Anschein hat.

Alle Helden sind gebrochen, deprimiert und suchen verzweifelt nach einem Sinn in ihrem Leben. Sie wurden für inhumane Experimente missbraucht, als Kinder entführt, einer Gehirnwäsche unterzogen und misshandelt. Das macht den Film über weite Strecken fast schon zu einer Therapiesitzung und lässt insbesondere das Ende außergewöhnlich erscheinen, bei dem sich der actionverliebte Zuschauer vielleicht ein wenig auf den Arm genommen fühlt, das aber tatsächlich berührend und in sich stimmig ist.

Thunderbolts* wirkte im Trailer ein wenig wie die MCU-Version von Suicide Squad, ist aber viel mehr als nur die Geschichte einer Gruppe von Antihelden. Es ist vielmehr eine philosophische Suche und eine spirituelle Reise, es ist eine Geschichte über Einsamkeit, Reue und Vergebung, über Menschen, die sich verirrt haben, die unter den Traumata ihrer Vergangenheit leiden und sich selbst heilen müssen. Das ist, mit einigen Abstrichen, schön erzählt.

Note: 2-

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.