Jede Woche werfe ich einen Blick auf die Neuerscheinungen der Streamingdienste, die wir abonniert haben, in der Hoffnung, Filme zu entdecken, die ich im Kino verpasst habe oder von denen ich noch nie gehört habe, die aber eine interessante Story oder wenigstens einen überdurchschnittlichen imdB-Wert besitzen. Inzwischen wähle ich allerdings sorgfältiger aus, was am Ende auf meiner Watchliste landet, denn dort stehen bereits viel zu viele Titel, von denen ich denke, ich sollte sie mal gesehen haben, weil die Kritiker sie so toll finden oder das Publikum von ihnen begeistert ist.
Auch bei diesem norwegischen Film habe ich lange gezögert, weil das Thema düster und deprimierend ist, und davon gibt es gerade nun wirklich genug in der Welt. Dennoch habe ich mich von der Geschichte angesprochen gefühlt und wollte dem Werk eine Chance geben. Der Film firmiert auch unter dem Alternativtitel: Der König von Bastøy.
King of Devil’s Island
1915 werden die Heranwachsenden Erling (Benjamin Helstad) und Ivar (Magnus Langlete) mit dem Schiff auf die entlegene Insel Bastøy gebracht, auf der sich eine Besserungsanstalt für Jugendliche befindet. Die meisten Jungen zwischen elf und achtzehn sind wegen kleinerer Delikte wie Diebstahl hier, doch der siebzehnjährige Erling, der als Harpunier auf einem Walfänger gearbeitet hat, soll einen Mord begangen haben. Von Anfang an plant er, von der Insel zu fliehen, und gerät mit seiner unbeugsamen Art schnell mit dem prinzipienstrengen Direktor (Stellen Skarsgård) und dem Hausvater Bråthen (Kristoffer Joner) aneinander. Der schmächtige Ivar hingegen fügt sich jedem Druck und gerät in die Fänge von Bråthen, der ihn sexuell missbraucht.
Die Geschichte spielt im Herbst und Winter des Kriegsjahres 1915, die Farben sind Blau und Grau, der Himmel über Norwegen ist schwer und verhangen, es schneit oft, und fast in jeder Szene sieht man den Atem der Schauspieler, auch wenn diese in Innenräumen spielen. Die Dreharbeiten dürften kein Vergnügen gewesen sein, vor allem wenn die jugendlichen Darsteller in dünner Kleidung oder manchmal sogar mit freiem Oberkörper herumlaufen müssen. Für die Insassen der bis in die Fünfzigerjahre real existierenden Institution muss es die Hölle gewesen sein.
Das wird in dem Film von Marius Holst zwar immer wieder deutlich, aber die Inszenierung ist in weiten Teilen erstaunlich zurückhaltend und bedient vor allem die Bilder, die ohnehin jeder im Kopf hat, der von einem solchen Ort hört. Ja, man hat Mitleid mit den Jungen, die hart arbeiten müssen, entweder auf den Felder oder im Wald, wo sie Bäume fällen und zersägen. Was sich aber nicht einstellen will, ist die moralische Empörung, die emotionale Verstrickung mit den Leiden der jungen Delinquenten. Wenn etwas wirklich Schlimmes geschieht, wie der Missbrauch durch den Hausvater, passiert es im Off und man erfährt nur durch Andeutungen davon.
Das erste Drittel handelt vor allem von Erling, der einen Fluchtplan ausheckt und durchzieht. Dadurch kommt einige Spannung auf, die relativ bald ihren Höhepunkt findet. Doch danach fehlt der Geschichte leider ein Handlungsziel. Die Jugendlichen sitzen fest und leiden und fügen sich. Diese erzwungene Passivität sorgt für einige Längen.
Erst gegen Ende, ungefähr im letzten Drittel, wenn Bråthens Taten offenbar werden und die Jungen beschließen, sich zu wehren, kommt wieder Spannung auf. Inzwischen hat Erling sich mit Olav (Trond Nilssen) angefreundet, der seit sechs Jahren auf der Insel ist, weil er ein paar Münzen aus dem Opferstock gestohlen hat, und nun bald freikommen soll. Als er dem Direktor Bråthens Verbrechen meldet, setzt er eine Kette verhängnisvoller Entscheidungen in Gang, die schließlich in einer Katastrophe münden.
Der Showdown ist überaus packend und sehenswert, und auch das tragische Ende ist berührend, man hätte sich nur gewünscht, der Regisseur hätte schon vorher zu dieser emotionalen Stärke gefunden.
Note: 3