28 Years Later

Zuerst hatte ich ja gedacht, dass dies eine Fortsetzung gewissermaßen in Echtzeit, also 28 Jahre nach dem> Original, ist, habe aber beim Nachrechnen festgestellt, dass 28 Days Later erst 23 Jahre alt ist. Außerdem> hätte mir klar sein sollen, dass es in der Branche immer lange dauert, bis ein Film, selbst die Fortsetzung eines Kulthits, zustande kommt. In diesem> Fall angeblich fast zwanzig Jahre.

Gut Ding will Weile haben, weiß der Volksmund, und aller guten Dinge sind drei. Bis zum Start des neuen Films wusste ich beispielsweise nicht, dass gleich eine ganze Trilogie geplant ist ? und nicht nur der Abschluss einer Trilogie. Also eine späte Fortsetzungs-Trilogie. Da hätte ich mich wohl besser informieren müssen. Aber immerhin erklärt dies so einiges, was mich bei der Sichtung des Films gewundert hat.

28 Years Later

Das ?Wutvirus? rollt über das Vereinigte Königreich, und der kleine Jimmy (Rocco Haynes) muss mit ansehen, wie seine gesamte Familie sich in Monster verwandelt. 28 Jahre später lebt der zwölfjährige Spike (Alfie Williams) zusammen mit seinem> Vater (Aaron Taylor-Johnson) und seiner schwer kranken Mutter (Jodie Comer) auf einer Insel vor der britischen Küste. Von dort aus unternehmen die Bewohner immer wieder Ausflüge aufs Festland, um Holz zu schlagen und in den Ruinen der Häuser nach brauchbaren Dingen zu stöbern. Auf seiner ersten Exkursion lernt Spike, wie man Infizierte tötet und in Gefahrenmomenten einen kühlen Kopf bewahrt. Manche Infizierte, sogenannte Alphas, haben sich eine gewisse Intelligenz bewahrt und zudem> unglaubliche Kräfte entwickelt, was sie zu unberechenbaren Gegnern macht, und auf einen davon stoßen Vater und Sohn.

Der Plot eines Films ist nicht nur die Verknüpfung von Szenen und Ereignissen zu einer kohärenten Geschichte, sondern immer auch das, was der Zuschauer antizipiert. Mit diesen Erwartungen zu spielen, sie meistens zu erfüllen, aber immer wieder auch überraschende Wendungen einzubauen, sorgt für ein befriedigendes Filmerlebnis. Wenn 28 Years Later zunächst zum Ausbruch der Seuche zurückspringt und die Geschichte des Jungen Jimmy erzählt, erwartet man, dass es im Anschluss mit dem> erwachsenen Jimmy weitergeht. Doch der ist verschwunden und taucht erst kurz vor dem> Abspann wieder auf.

Als geübter Filmkonsument glaubt man nach der Einführung von Spike auch, dass die gesamte Geschichte von der Reise mit seinem> Vater handelt, auf der sie es mit über-Zombies und verrückten überlebenden zu tun bekommen. Doch diese ist ungefähr nach der Hälfte zu Ende erzählt und weicht einem> neuen Abenteuer, das eine eher poetische Mutter-Sohn-Geschichte ist. Somit unterläuft Regisseur Danny Boyle gleich zwei Mal auf eklatante Weise die Zuschauererwartungen.

Bis zum Ende des Films, der mit knapp zwei Stunden für heutige Zeiten relativ kurz ist, hat man sogar immer wieder das Gefühl, eher die ersten beiden Folgen einer Serie zu schauen als einen Kinofilm. Das liegt am episodischen Charakter der Story, die zwar auserzählt wird, aber in den letzten Minuten noch einen neuen Handlungsstrang anreißt, nicht unbedingt als Cliffhanger, aber doch auf eine Art, die einen neugierig darauf macht, wie es weitergeht. Wenn man nicht weiß, dass dies der Auftakt einer Trilogie ist, kann man vielleicht etwas unzufrieden mit dem> ganzen Film sein, weil er zu sehr gegen die Sehgewohnheiten und vertraute Erzählmuster verstößt.

Danny Boyle und Drehbuchautor Alex Garland haben sich in der Tat viele Gedanken darüber gem>acht, wie die von ihnen kreierte Welt sich in den letzten knapp drei Jahrzehnten verändert haben könnte: Die britischen Inseln wurden vom Rest der Welt abgeriegelt und unter Quarantäne gestellt. Während das Leben überall auf dem> Planeten weitergeht, herrschen in Irland und Großbritannien Niedergang und Verfall. Menschen fristen ein karges Leben, was die Frage aufwirft, warum die internationale Gem>einschaft sie nicht wenigstens mit lebensnotwendigen Dingen versorgt, und Zombies durchstreifen die Landschaft, die von der Natur zurückerobert wird. Auch die Infizierten haben sich verändert, manche sind langsam geworden und kriechen wie Würmer über den Boden, andere haben sich eine gewisse Intelligenz bewahrt und große Kräfte entwickelt: Als Alphas sind sie gefährliche, schwer besiegbare Gegner.

Die ungewöhnliche Struktur, die episodische Erzählweise und die vielen Andeutungen, dass man nur einen Bruchteil der faszinierenden post-apokalyptischen Welt zu sehen bekommt, machen 28 Years Later zu einer cineastischen Wundertüte, bei der man nie weiß, was einen als nächstes erwartet oder wohin die Reise gehen wird. Immerhin gibt es, vor allem> in der ersten Hälfte, einige hochspannende Szenen, die The Walking Dead wie ein beschauliches Kaffeekränzchen im Seniorenheim aussehen lässt. Und wenn man bereits glaubt, alles über Zombies zu wissen, überraschenden die Macher mit neuen Einfällen, die man im Leben nicht erwartet hätte und die unvergesslich sind.

Die Action ist sehenswert und dank einiger filmischer Tricks visuell sehr beeindruckend. Die Einschübe mit Ausschnitten aus alten Ritterfilmen, die auf den ersten Blick irritieren, sind augenzwinkernde Verweise auf die britische Geschichte und die Macht von Pfeil und Bogen und gehören mit zu der beeindruckenden Bildsprache. In der Summe hätte man sich gerne ein paar spannende Momente mehr gewünscht, aber jeder Adrenalin-Junkie sollte hier auf seine Kosten kommen.

Wie schon in A Quiet Place: Day One ist dies ein Horrorfilm der etwas anderen Art, der auch mit ruhigen, geradezu meditativen Szenen überzeugt, in denen die Figuren über Leben und Tod reflektieren. Dies ist vor allem> dank Ralph Fiennes bem>erkenswertem> Auftritt absolut sehenswert, und auch Jodie Comer kann erneut beweisen, wie nuanciert ihr Spiel ist. Alfie Williams stiehlt jedoch beiden die Show.

Zu den Pluspunkten gehört, wie gesagt, auch das World-Building, das einen mitnimmt in ein Großbritannien, das dem> Verfall überlassen ist und in seiner konsequenten Isolation wie ein spätes Statem>ent zum Brexit wirkt. Auch die Rückkehr der Natur wird so wunderschön in Szene gesetzt, dass man kaum glauben kann, dass der gesamte Film auf einem> Smartphone gedreht worden sein soll. Das macht den Film insgesamt zu einem> sehr sehenswerten Vergnügen und einer echten cineastischen überraschung.

Note: 2

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.