Robert Zemeckis war in den Achtzigern und Neunzigern ein Star-Regisseur, dessen Filme man gesehen haben musste. Das lag weniger an seiner einzigartigen Bildsprache oder seinem Gefühl für Atmosphäre und Timing, sondern vor allem an seiner fantasievollen Art, Geschichten zu erzählen, die einen immer wieder in den Bann schlugen: Zurück in die Zukunft, Falsches Spiel mit Roger Rabbit, Forrest Gump, Contact oder Cast Away sind alles Klassiker der Filmgeschichte und jeder für sich unverwechselbar.
Seit Beginn dieses Jahrhunderts läuft es jedoch nicht mehr rund für ihn. Das war vor allem selbstverschuldet, hatte er sich doch lange Jahre zu sehr vom Motion-Capture-Verfahren begeistern lassen und Filme gedreht, in denen zwar echte Schauspieler vor der Kamera standen, die aber später im Computer digital verändert oder übermalt wurden. Der Polarexpress, Die Legende von Beowulf oder Eine Weihnachtsgeschichte sind so entstanden, kamen aber bei den Zuschauern nicht gut an. Ich habe nach der Sicht der Trailer dankend auf sie verzichtet. Mit Flight kehrte er schließlich zum Realfilm zurück, aber irgendwie war die Magie verschwunden. Von seinen letzten sechs oder sieben Filmen habe ich lediglich The Walk gesehen. Und damit stehe ich nicht alleine da. Waren Zemeckis‘ Filme früher Kassenhits, sind sie heute eher Kassengift.
Als letztes Jahr Here in die Kinos kam, war ich dennoch neugierig, weil das Konzept so ungewöhnlich war. Aber den Kritikern gefiel er nicht, das Publikum blieb ebenfalls fern, und so verschwand er schneller aus den Kinos als ich eine Karte kaufen konnte. Jetzt ist er bei Prime Video zu sehen und ich habe ihn nachgeholt.

Here
Nach dem Verschwinden der Dinosaurier wird die Landschaft neu geformt, Jahrmillionen vergehen, den Mensch taucht auf, zuerst indigene Ureinwohner, dann erste Siedler. Im 18. Jahrhundert errichtet ein Sohn Benjamin Franklins ein Herrenhaus, dem um 1900 herum eine Siedlung folgt. Ein Haus beherbergt zuerst Pauline (Michelle Dockery) und ihre Familie, denen der Erfinder Leo (David Finn) und seine Frau Stella (Ophelia Lovibond) folgen. Schließlich kauft es der Zweiter-Weltkriegsveteran Al (Paul Bettany), dessen Frau Rose (Kelly Reilly) dort ihren Sohn Richard (Tom Hanks) zur Welt bringt und aufzieht. Dieser heiratet Margaret (Robin Wright), die das Haus zwar nicht mag, dort aber viele Jahrzehnte leben wird.
Es ist fast unmöglich, die Geschichte des Films wiederzugeben, weil sie nicht von Menschen, sondern einem Ort handelt. Die Stelle, an der in grauer Vorzeit Dinosaurier auf der Flucht vor einem Meteoritenschauer um ihr Leben rannten, an der ein Indianer seine große Liebe kennenlernt und später beerdigt, an der beinahe amerikanische Geschichte geschrieben wurde, und die schlussendlich ein Wohnzimmer ist. Die Kamera bewegt sich nicht, der ganze Film ist eine einzige, lange Einstellung, innerhalb derer es Überblendungen zu den anderen Zeitebenen gibt. Oft öffnen sich dabei kleine Fenster, die einem zeigen, was früher dort war, bevor das Bild ganz dorthin wechselt.
Es dauert eine Weile, bis man sich an diesen unsteten Rhythmus gewöhnt hat, keine einzige Szene dauert vermutlich länger als dreißig Sekunden, wodurch man immer nur kleine Schnipsel zu sehen bekommt. Diese permanente Bewegung in der Zeit, wenn schon nicht im Raum, sorgt für Unruhe und Verwirrung. Zumindest am Anfang. Da Zemeckis jedoch, der mit Eric Roth das Drehbuch geschrieben hat (nach einer Graphic Novel von Richard McGuire), immer wieder zu denselben Figuren zurückkehrt, erhält man mit der Zeit Fixpunkte, an denen man sich orientieren kann. Dennoch ist das Ganze sehr theaterhaft in seinem starren, guckkastenähnlichen Format.
Die Figuren, um die sich der größte Teil der Zeit dreht, sind Richard und Margaret, aber auch Al und Rose spielen eine größere Rolle. Die anderen tauchen nur gelegentlich auf und werden eher oberflächlich behandelt, was schade ist, denn über sie hätte man auch gerne etwas mehr erfahren, vor allem, was aus ihnen geworden ist. Das gilt auch für die afro-amerikanische Familie, die zuletzt für nur gute zehn Jahre in dem Haus lebt, das Richard und den Seinen so lange ein Zuhause war.
Man lernt die Familie dennoch gut kennen, den polternden Al, der beruflich ständig scheitert und mit seinem Leben unzufrieden ist, oder seine etwas einfältige, schüchterne Frau. Richard wäre gerne Maler geworden, muss dann aber Geld verdienen, weil Margaret schwanger ist. Margaret selbst wäre gerne Anwältin geworden, ein Traum, der schließlich für ihre Tochter in Erfüllung geht. Und mit der Zeit mag man diese Figuren auch.
Zemeckis erzählt vom Leben an sich, von den Träumen und Hoffnungen der Menschen, die sich nur selten erfüllen, vom reißenden Fluss der Zeit, der alles verschlingt, von Jahrzehnten, die so schnell wie ein Wimpernschlag vergehen. Er erzählt auch von Geburt und Tod, von schicksalhaften Momenten, Brüchen in der Biografie, von Liebe und Verlust. Here ist ein Kaleidoskop des Kinos, Fragmente vieler Geschichte fallen durcheinander und ordnen sich neu an, immer überraschend, immer faszinierend.
Man braucht Zeit für diesen Film, Geduld und vermutlich die richtige Stimmung, aber wenn man sich auf ihn einlässt, ist er ein kleines Wunder. Er funktioniert nicht nach den üblichen dramaturgischen Gesetzen, er widersetzt sich filmischen Strukturen und setzt ihnen die Starrheit seiner Kamera entgegen, spannt dabei aber den ganz großen Bogen und webt einen Zauber, der noch lange danach anhält. Unwillkürlich denkt man über die Figuren nach, über ihre Leben, die man nur bruchstückhaft präsentiert bekommt und die sich dennoch zu einem Bild zusammensetzen, das nachhaltig in Erinnerung bleibt. Man denkt aber auch über die eigene Familie nach, über Biografien, Hoffnungen, Enttäuschungen und verpasste Möglichkeit. Über Liebe, Verlust, das Leben an sich. Welcher Film vermag das schon?
Nicht alles ist gelungen. Die Distanz der Kamera verhindert weitgehend Nahaufnahmen und reduziert damit die Mimik der Darsteller. Diese wurden für viele Szenen digital verjüngt, was sehr gut gelungen ist, vielleicht besser als jemals zuvor, dafür sind die Altersmasken relativ schlecht. Auch hätte man sich oft gerne eine „richtige“ Geschichte gewünscht, etwas mehr Dramatik oder zumindest eine filmische Überhöhung des Alltags. Was Zemeckis zeigt, ist oft banal, es wiederholt sich, es ist langweilig, selten lustig, hin und wieder tragisch. Es ist wie das Leben selbst. Und wenn er einen an etwas erinnert, dann daran, dass nichts bleibt, alles verändert sich, alles fließt. Here ist eine Mediation über Zeit und Vergänglichkeit, die uns vor Augen führt, dass wir in der Hektik des Alltags nicht das Wesentliche vergessen sollen: einander zu lieben.
Note: 2-