How ? Das Geheul

Neulich habe ich einen Ausflug in die Fünfzigerjahre gem>acht, leider nicht mit einer schicken Zeitmaschine in einem> Sportwagen, sondern ganz profan vor dem> Bildschirm. Die Zeit, in der sie spielen, ist aber nicht die einzige Klammer, die die beiden Filme, um die es diese Woche geht, miteinander verbindet, denn beide Geschichten handeln von Emanzipation und Aufbruch in eine neue ära, und das macht die Nachkriegszeit für uns Heutige so spannend, weil dort die Grundlagen gelegt wurden für die Welt in der wir leben, weil dort die Freiheiten erkämpft wurden, die heute wieder in Gefahr sind.

Mit der Beat Generation habe ich mich bislang noch wenig beschäftigt. Irgendwann habe ich einmal Unterwegs von Jack Kerouac gelesen, aber das war es dann auch schon. William S. Burroughs, der zweite große Autor dieser Bewegung, war mir immer zu anstrengend, obwohl er mir mehrfach von Freunden em>pfohlen wurde. Auch um Allen Ginsburgs Howl habe ich bislang einen Bogen gem>acht, vor allem> weil mir für Poesie schlichtweg Zeit und Geduld fehlen. Es gibt sowieso schon viel zu viel, was man lesen sollte.

Auch das Kino hat sich nicht besonders ausgiebig und vor allem> erst relativ spät mit dieser literarischen Stilrichtung auseinander gesetzt, lässt man Dokumentarfilme oder Bio-Pics wie Herzschläge (1980) oder Wie ich zum ersten Mal Selbstmord beging (1997) einmal außer acht, die zudem> beide von der Beatnik-Muse Neal Cassady handeln. Naked Lunch, das zu den Schlüsselwerken der Beatniks zählt, wurde erst 1991 von David Cronenberg verfilmt, Unterwegs sogar erst 2012 von Walter Salles. Zwei Jahre zuvor kam Howl in die Kinos.

Wer ihn sich anschauen möchte, kann dies noch bei Prime Video tun, er steht aber bereits auf der Liste mit Filmen, die dem>nächst aus dem> Programm entfernt werden. Mit gut 80 Minuten ist er aber ziem>lich kurz.

Howl ? Das Geheul

1955 stellt der unbekannte Dichter Allen Ginsburg (James Franco) in San Francisco sein gerade vollendetes Werk Howl in einem> kleinen Club vor. Zwei Jahre später wird sein Verleger Lawrence Ferlinghetti (Andrew Rogers) wegen der Verbreitung obszöner Schriften angeklagt, und ein Gericht soll klären, ob Ginsburgs Gedicht von literarischem> Wert ist oder verboten werden sollte. Der Staatsanwalt (David Strathairn) und Ferlinghettis Anwalt (Jon Hamm) liefern sich ein Wortgefecht und fahren einige Autoritäten auf (Marie-Louise Parker, Treat Williams und Jeff Daniels). Derweil gibt Ginsburg einem> Journalisten ein Interview, in dem> er über den Prozess und sein Werk spricht.

Der Film setzt sich stilistisch zwischen die Stühle. Formal besteht er aus drei, ineinander verwobenen Teilen, die sich aus Ginsburgs Lesung, dem> Prozess und dem> Interview zusammensetzen. Ersterer ist in künstlerischem> Schwarz-Weiß gehalten und soll das legendäre Six Gallery Reading wiedergeben, was aber historisch nicht ganz korrekt ist, da Ginsburg dort nur den ersten Teil des Gedichts vorgetragen hat. Hier ist das gesamte Werk zu hören, stellenweise mit animierten Szenen bebildert, die bisweilen an alte Musikvideos erinnern und das gesprochene Wort oft zu wörtlich nehmen. Das sieht ganz nett aus, soll den Zuschauer wohl von den talking heads ablenken, ist aber im Grunde überflüssig, denn die Wucht von Ginsburgs Werk hallt immer noch nach.

Howl ist eine wütende Abrechnung mit der kapitalistischen, US-amerikanischen Gesellschaft der Nachkriegszeit und Fünfzigerjahre, ein Klagelied, ähnlich dem> Kaddish, ein Lobgesang auf die (homosexuelle) Liebe, eine Huldigung seiner Freunde und Liebhaber, und es endet nach einem> Marsch durch Hoffnungslosigkeit und Düsternis mit einer überraschend optimistischen Note. Ginsburgs Auftritt damals war eine Sensation, der erste Schritt hin zu einer Karriere als einer der berühmtesten und bedeutendsten Dichter des letzten Jahrhunderts, es war aber auch die Quintessenz eines neuen Lebensgefühl, die Geburt eines neuen literarischen Stils.

Kerouac prägte den Begriff der Beat-Generation bereits 1948, es sollte aber noch einige Zeit vergehen, bevor er allgem>eingültig wurde. Der Begriff ist mehrdeutig, beschreibt zum einen die abgerissenen, geschlagenen und desillusionierten jungen Männer der Nachkriegszeit, die ziel- und oft obdachlos durchs Land streifen, besitzt aber auch eine positive Konnotation durch die Anspielung auf das Wort upbeat und bezieht sich nicht zuletzt auch auf den Beat des Bebop und Modern Jazz.

Howl war das erste Werk eines Beatniks, das einen Verleger fand, und Ginsburg ermöglichte es anschließend Kerouac, seinen Roman Unterwegs zu veröffentlichen. Beide zusammen unterstützten wiederum Burroughs, Naked Lunch zu schreiben und unterzubringen. Damit waren 1959 die drei Hauptwerke dieser Strömung erschienen. Die Bedeutung, die Ginsburgs Lesung, und die Wirkung, die sein Werk auf das Publikum und andere Autoren jener Zeit hatte, ist also nicht zu unterschätzen.

Entscheidend für den Erfolg des Gedichts, der bis dahin eher überschaubar war und sich in erster Linie in der Literaturszene niederschlug, war allerdings der Prozess, in dem> die Frage nach seiner Obszönität gestellt wurde. Dieser machte das Gedicht und den Dichter mit einem> Schlag berühmt, und wird von Rob Epstein und Jeffrey Friedman, die das Drehbuch schrieben und Regie führten, wie ein packendes Gerichtsdrama inszeniert. Das Urteil gilt als maßgeblich für die Stärkung der bürgerlichen Freiheiten, insbesondere der Kunstfreiheit und zeugt vom Geist des Aufbruchs in eine neue ära in den USA. Das verleiht dem> Film heute, vor dem> Hintergrund der politischen Veränderungen in dem> Land, das immer mehr autokratische Züge annimmt, eine beklem>mende Aktualität.

Der Film ist nicht zuletzt aber auch ein Bio-Pic, da Ginsburg in dem> Interviewteil viel von seinem> Werdegang, seinen Weggefährten und den Stationen seines noch jungen Lebens erzählt sowie sich mit seiner Homosexualität auseinandersetzt. Weil die Regisseure dem> Publikum nicht noch einen Teil mit talking heads zumuten wollten, wird auch dieser mit Bildmaterial angereichert, in der Form kurzer Rückblenden, die aber nur Schlaglichter auf das Erzählte werfen.

Alles in allem> ist Howl ? Das Geheul eine faszinierende, niem>als langweilige Mischung aus verschiedenen Stilen, die sich überraschend gut zu einem> Gesamtkunstwerk zusammenfügen. Man bekommt dadurch ganz gut ein Gespür für die damalige Zeit und ihren Geist, für die Literatur der Beat-Generation und ihr Lebensgefühl. Sehenswert!

Note: 3+

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.